Die beiden dunklen linearen Verfärbungen sind die Wagenspuren, die die Forscherinnen und Forscher in Flintbek entdeckten.
Dieter Stoltenberg

Archäologie
Weltweit älteste Radspuren dokumentiert

Auf einem Friedhof in Norddeutschland haben Forschende die bislang ältesten Spuren von Rädern entdeckt. Ob das Rad dort erfunden wurde, ist fraglich.

11.04.2022

Vor einigen Jahren haben Archäologinnen und Archäologen bei Ausgrabungen auf einem der größten Großsteingrab-Friedhöfe Europas in Flintbek (Kreis Rendsburg-Eckernförde) in Schleswig-Holstein Spuren von Wagenrädern aus der Zeit etwa 3.400 Jahre vor unserer Zeitrechnung entdeckt. Den Untersuchungen zufolge ist es der früheste Nachweis dieser Art weltweit. Wagenspuren kenne sie sonst nur aus etwas jüngeren Zeiten, teilte Professorin Doris Mischka mit, die die Spuren dokumentiert hat.

Die Ausgrabungen in Flintbek haben die Kenntnisse über das Leben der Menschen vor mehreren Tausend Jahren erweitert. Die zum Teil spektakulären Ergebnisse, wie der Fund der Wagenradspuren, hat Mischka in einer jetzt von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Buch veröffentlichten wissenschaftlichen Dokumentation aus dem Jahr 2012 zusammengefasst. Die Professorin forscht und lehrt inzwischen am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten demnach fest, dass die Breite der zwei zunächst unscheinbaren, braunen Linien im Boden genau mit der Breite von jungsteinzeitlichen Holzrädern übereinstimmt, die unter anderem in den Mooren Norddeutschlands gefunden wurden. Zudem entsprechen die Abstände der beiden Rillen zueinander genau der Breite jungsteinzeitlicher Wagenachsen. Die Forschenden sehen darin einen eindeutigen Beweis dafür, dass die Menschen beim Bau der Gräberfelder die damals neue Technologie der Nutzung von Rädern und Wagen nutzten – der früheste Nachweis dieser Innovation, die somit vermutlich nicht im Nahen Osten erfunden wurde, wie bislang angenommen.

Wurde das Rad in Norddeutschland erfunden?

"Es gibt Darstellungen, die älter sein könnten und auch Radfunde aus Feuchtbodensiedlungen zum Beispiel aus der Schweiz, die älter sein könnten", so Mischka. Es sei nicht ausgeschlossen, dass im Norden noch ältere Wagenspuren zu finden seien. "Es kommt auf die günstigen Erhaltungsbedingungen an." In Flintbek seien die Wagenspuren mit einem Grabhügel zeitnah überbaut worden. "Auch die frühesten bekannten Pflugspuren sind auf diese Weise überliefert."

Wo das Rad erfunden wurde, sei nicht einfach zu beantworten. "Es gibt mehrere Regionen, die in Frage kommen", sagt Mischka. Die meisten ihrer Kollegen und Kolleginnen präferierten die Steppenregionen nördlich des Schwarzen Meeres oder das Zweistromland.

Der Kieler Archäologe Professor Johannes Müller, Herausgeber der Publikationsreihe zu den Funden des Kieler Forschungsprojekts, äußerte sich beeindruckt zu den Ergebnissen: "Es ist eindeutig, dass die Menschen in Mitteleuropa ebenso früh wie jene des Nahen Ostens hochtechnologisiert waren. Das Ergebnis rückt Flintbek in das Zentrum einer der entscheidenden Innovationen der Menschheit."

dpa/ckr