Globale Umfrage
Weltweit großer Mangel an Forschungszeit
Die Ergebnisse der weltweit durchgeführten "Researcher of the Future"-Umfrage zeigen, wie Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz (KI), neue Forschungspraktiken und sich verändernde politische Gegebenheiten die Forschung tiefgreifend beeinflussen. Der Wissenschaftsverlag Elsevier hat die Ergebnisse am 4. November veröffentlicht. Die Umfrage basiert auf Antworten von über 3.200 Forschenden aus Wissenschaft und Industrie in 113 Ländern und weist dabei wachsende regionale Unterschiede in den Einstellungen aus. 130 der Befragten sind in Deutschland tätig.
Judy Verses, Präsidentin der Abteilung "Akademiker und Regierung" bei Elsevier, sagte anlässlich der Veröffentlichung: "Diese Studie zeigt deutlich, wie groß die Bereitschaft der Forschenden ist, Neues voranzutreiben – und wie konsequent sie trotz wachsenden Drucks an Vertrauen und ethischen Standards festhalten." Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sähen in KI ein kraftvolles Werkzeug, das ihre Arbeit grundlegend verbessern und ihre Wirkung steigern könne. "Dafür brauchen sie jedoch verlässliche Lösungen, denen sie vertrauen können – Lösungen, die Forschungsintegrität, Genauigkeit und Verantwortlichkeit an erste Stelle setzen", so Verses.
Forschende trotz steigendem Druck der Integrität verpflichtet
Forschende sehen sich der Umfrage zufolge mit einer stetig wachsenden Informationsflut, immer mehr Verpflichtungen in Lehre und Verwaltung, unsicherer Finanzierung und einem steigenden Publikationsdruck konfrontiert. All diese Faktoren schmälern demnach die Zeit, die für die eigentliche Forschung bleibt. Sie können somit auch die Karriereentwicklung beeinträchtigen. Trotz dieser Herausforderungen blieben Forschende dem Report zufolge ihrer Verpflichtung zu Qualität und Integrität in der Forschung treu.
- 45 Prozent der Befragten geben an, ausreichend Zeit für ihre Forschung zu haben.
- 33 Prozent erwarten in den kommenden zwei bis drei Jahren mehr Fördermittel für ihr Fachgebiet – in Nordamerika und Europa sind die Erwartungen am geringsten.
- 68 Prozent empfinden den Publikationsdruck als höher als noch vor zwei bis drei Jahren.
- 74 Prozent halten peer-reviewte Forschung für vertrauenswürdig und sehen den Peer-Review-Prozess als zentral für die wissenschaftliche Integrität, den Aufbau von Vertrauen und eine größere Reichweite an.
Forschende adaptieren KI-Technologie – Unterstützung gefragt
Die Mehrheit der Forschenden sieht KI als wegweisend für ihre Arbeit. 58 Prozent nutzen aktuell KI-Tools – 2024 waren es noch 37 Prozent. 32 Prozent sind der Meinung, dass ihre Institution über eine gute KI-Governance verfügt. Im Umgang mit KI ausreichend geschult fühlen sich 27 Prozent.
Die Mehrheit (58 Prozent) der Befragten ist der Meinung, dass KI-Tools aktuell zu Zeitersparnis führen. Allerdings ist es sehr unterschiedlich, in welchen Bereichen Forschende den größten Mehrwert beim Einsatz von KI-Tools sehen. Genutzt werden sie vor allem, um neueste Forschungsarbeiten aufzufinden und zusammenzufassen (61 Prozent), Literaturrecherchen durchzuführen (51 Prozent), Forschungsdaten zu analysieren (38 Prozent), Förderanträge aufzusetzen (41 Prozent) oder Forschungsberichte beziehungsweise wissenschaftliche Artikel zu verfassen (38 Prozent).
Für kreativere Aufgaben wie Hypothesenbildung oder Studiendesign werden generische KI-Tools dagegen seltener verwendet. Forschende, die den Nutzen von KI erkannt haben, würden mit größerer Wahrscheinlichkeit auch für diese Zwecke sichere, speziell zugeschnittene und zuverlässige KI-Tools nutzen.
Trotz steigender Nutzung bleiben ethische Bedenken und Zweifel an der Zuverlässigkeit bestehen. 23 Prozent der Befragten halten KI-Tools für ethisch verantwortungsvoll entwickelt, während 38 Prozent das Gegenteil glauben. 22 Prozent beurteilen KI-Tools aktuell als vertrauenswürdig, 39 Prozent dagegen als unzuverlässig. Als wichtige Vertrauensfaktoren für die Nutzung von KI-Tools werden demnach angesehen: die Transparenz durch automatische Quellenangaben (59 Prozent), die Aktualität bei den Trainingsdaten durch Hinzuziehung neuester wissenschaftlicher Literatur (55 Prozent), die Sicherheit in Bezug auf faktische Genauigkeit (55 Prozent), die Qualität der von Fachleuten geprüften Trainingsinhalte (55 Prozent) sowie die regelmäßige Prüfung der Tools durch Expertinnen und Experten (49 Prozent).
"Richtig eingesetzt, kann KI den Erkenntnisgewinn beschleunigen, unser Verständnis erweitern und die gesellschaftliche Relevanz der Wissenschaft stärken."
Robin Brooker, Dozent für Kriminologie an der University of Reading
Dazu sagte Robin Brooker, Dozent für Kriminologie an der University of Reading, laut einer Elsevier-Pressemitteilung: "Die Frage ist nicht mehr, ob KI in der Forschung genutzt wird, sondern wie. Richtig eingesetzt, kann sie den Erkenntnisgewinn beschleunigen, unser Verständnis erweitern und die gesellschaftliche Relevanz der Wissenschaft stärken." Durch mehr Effizienz verschaffe KI Forschenden Freiräume für Kreativität, Interpretation und Erkenntnis und damit für die eigentlichen Treiber wissenschaftlichen Fortschritts.
Ausreisewillig wegen Pessimismus bezüglich der Finanzierung
Fast ein Drittel (29 Prozent) der Forschenden erwägt, ins Ausland zu gehen (5 Prozentpunkte weniger als 2022). Gründe sind vor allem bessere Fördermöglichkeiten, eine ausgewogenere Work-Life-Balance und mehr Freiheit bei der Themenwahl.
Etwa ein Drittel der Befragten erwartet in den nächsten zwei bis drei Jahren mehr Fördermittel. In Deutschland liegt der Wert bei 14 Prozent, in den USA bei neun, in China bei 44 Prozent. 49 Prozent der Umzugswilligen nennen Finanzierungsunsicherheiten als Hauptgrund. Beliebteste Ziele sind Kanada (27 Prozent), Deutschland (26 Prozent) und die USA (26 Prozent), die damit nahezu gleichauf liegen.
40 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA denken allerdings über einen Umzug in den nächsten Jahren nach. Das sind 16 Prozentpunkte mehr als 2022 und auch deutlich mehr als die 29 Prozent, die weltweit im Durchschnitt einen Umzug erwägen. Deutschland wollen 24 Prozent verlassen (2022: 17 Prozent) – am liebsten mit dem Ziel Dänemark, Vereinigtes Königreich oder der Schweiz.
63 Prozent weltweit sehen heute mehr wissenschaftliche Kollaboration gegeben als früher: Im Asien-Pazifik-Bereich sind es 68 Prozent, in Nordamerika 55 und in Europa 59 Prozent. Von denjenigen, die mehr Zusammenarbeit beobachten, kooperieren 68 Prozent häufiger mit Kolleginnen und Kollegen anderer Disziplinen, 53 Prozent mit Forschenden aus anderen Ländern.
Über die Studie "Researcher of the Future"
Die "Researcher of the Future"-Studie wurde von Elsevier durchgeführt, um zu untersuchen, wie Forschende auf rasante technologische, kulturelle und institutionelle Veränderungen reagieren. Die Untersuchung beleuchtet vier zentrale Bereiche: die transformative Rolle von KI in der Forschung, die Herausforderungen bei der Wahrung von Forschungsintegrität, neue Formen der Zusammenarbeit und Mobilität sowie steigende Erwartungen an den gesellschaftlichen Impact der Forschung.
cva