Särge von Menschen, die am Coronavirus verstorben sind.
picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

Übersterblichkeit
Weniger Corona-Tote in Deutschland als vermutet

Die WHO hat ihre Schätzungen zur Übersterblichkeit der Jahre 2020 und 2021 präzisiert. Für Deutschland kommt sie auf ein niedrigeres Ergebnis.

14.12.2022

Die Übersterblichkeit weltweit lag nach einer Auswertung in den ersten beiden Jahren der Corona-Pandemie 2020 und 2021 deutlich höher als die offiziell gemeldeten Covid-19-Todeszahlen. Vor allem in Ländern mit mittleren Einkommen war die Diskrepanz groß, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Fachzeitschrift "Nature" berichtet. Weltweit starben demnach in den beiden Jahren rund 14,83 Millionen Menschen mehr als ohne die Pandemie zu erwarten gewesen wäre. Die WHO hatte im Mai schon einmal von 14,9 Millionen zusätzlichen Todesfällen berichtet. Damals wurde die teils sehr komplexe Methodik kritisiert. Für die Veröffentlichung in "Nature" verfeinerte und aktualisierte die WHO die Analyse nun.

Für Deutschland berechnete das WHO-Datenanalyseteam die ursprüngliche Schätzung neu und kam zu dem Schluss, dass es in den beiden Jahren eine Übersterblichkeit von 122.000 – und nicht 195.000 – gab. Eine Studie der Universität Duisburg-Essen hatte für 2020 auch die demografische Entwicklung berücksichtigt und kam zu dem Schluss, dass ein Teil der zusätzlichen Todesfälle auf die wachsende Zahl der Über-80-Jährigen zurückzuführen sei.

In ärmeren Ländern ist die Übersterblichkeit nicht so hoch gewesen, weil die Bevölkerung dort in der Regel jünger sei und daher weniger Menschen an Covid-19 starben, wie die WHO in "Nature" berichtet. Besonders betroffen von hoher Übersterblichkeit seien Länder mit mittleren Einkommen in Südamerika gewesen. Peru habe beispielsweise fast doppelt so viele Todesfälle gehabt wie zu erwarten gewesen wäre. In Mexiko, Bolivien und Ecuador habe die Zahl um 50 Prozent höher gelegen.

Professor Hanno Ulmer, Statistiker an der Medizinischen Universität Innsbruck, gab gegenüber dem "Science Media Center" allerdings zu bedenken, dass es in Peru während der Pandemiejahre zusätzlich zu starken Denguefieber-Ausbrüchen gekommen war. Er betont, dass die WHO-Arbeit die allgemeine Übersterblichkeit in den Pandemiejahren 2020 und 2021 gut analysiert, aber nicht unbedingt die Zahl der Covid-19-Toten in einer Gegend exakt wiedergibt.

Übersterblichkeit zweieinhalb mal so hoch wie die Anzahl der gemeldeten Corona-Toten

Weltweit betrachtet lag die Übersterblichkeit laut WHO mehr als zweieinhalb mal so hoch wie die gemeldeten Covid-19-Todesfälle allein es hätten vermuten lassen: Ende 2021 zeigte die WHO-Statistik 5,4 Millionen Covid-19-Tote. Die nun veröffentlichte Zahl von 14,83 Millionen zusätzlichen Toten umfasst allerdings auch Todesfälle, bei denen die Todesursache nicht richtig angegeben war, solche von vermutlich infizierten, aber nicht getesteten Patienten sowie Todesfälle von Menschen mit Krankheiten oder Verletzungen, die wegen der Überlastung der Gesundheitssysteme nicht rechtzeitig behandelt werden konnten.

In einem Kommentar von Enrique Acosta vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in "Nature" heißt es, dass die Zahlen mit Vorsicht zu betrachten seien, weil es nur bei 37 Prozent der Länder eine monatliche Statistik mit allen Todesfällen gegeben habe. 43 Prozent der Länder hätten gar keine Zahlen vorlegt. Deshalb mussten die Statistiker Annahmen machen, die nach Einschätzung von Acosta teils problematisch sind.

Dass es für viele Länder keine verlässlichen Daten zu Sterbefällen vor und während der Pandemie gibt, sieht auch Christoph Rothe, Statistik-Professor an der Universität Mannheim, als problematisch an. Die WHO habe diese Werte stattdessen mithilfe statistischer Verfahren aus den Daten vergleichbarer Länder mit besserer Informationsbasis geschätzt. Die daraus resultierenden Ergebnisse seien mit einer gewissen Unsicherheit verbunden. Die sich aus dem Verfahren ergebende globale Übersterblichkeit von etwa 14,8 Millionen Todesfällen in den Jahren 2020 und 2021 "sollte aber von der richtigen Größenordnung sein", so Rothe.

zuletzt aktualisiert am 15.12.2022 um 9.48 Uhr, zuerst veröffentlicht am 14.12.2022

dpa/ckr