Reiskörner auf einem Schachbrett
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Exponentielles Wachstum
Wie Corona-Maßnahmen verständlich erklärt werden können

Forscher haben untersucht, wie Menschen exponentielles Wachstum besser begreifen können. Entscheidend sei die Art der Kommunikation.

12.12.2020

Die meisten Menschen unterschätzen exponentielle Entwicklungen, wie sie beispielsweise in der Corona-Pandemie auftreten. Wie rasante Anstiege dargestellt werden, beeinflusst aber die Vorstellung der Menschen von deren Ausmaß. Die richtige Kommunikation hilft daher, die Akzeptanz von Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zu erhöhen. Wie es gelingt, hat ein Forscherteam der ETH Zürich und der Hochschule Luzern untersucht.

In einem Experiment haben die Forschenden 400 Probanden einen Sachverhalt dargestellt und dabei auf verschiedene Weise nach ihrer Einschätzung gefragt. Das Szenario: Ein Land verzeichnet rund 1.000 Covid-19-Infektionen. Die Fallzahl wächst exponentiell um täglich 26 Prozent, so dass innerhalb von 30 Tagen eine Millionen Menschen infiziert sind. Durch eindämmende Maßnahmen könnte die Wachstumsrate von 26 auf 9 Prozent gesenkt werden.

Die Studienteilnehmenden sollten dann einschätzen: Wie viele Infektionen können durch die Maßnahmen vermieden werden? Wie viel Zeit könnte man durch die Maßnahmen gewinnen, bis die Marke von einer Million Fälle erreicht ist? Wie viele Infektionen werden es nach 30 Tagen sein, wenn sie sich nicht alle drei Tage, sondern nur noch alle acht Tage verdoppeln? Letzteres entspricht einer Senkung der Wachstumsrate von 26 auf 9 Prozent.

Über 90 Prozent der Teilnehmenden habe die Infektionszahlen nach 30 Tagen in dem Szenario viel zu niedrig eingeschätzt, wenn dieses über Wachstumsraten kommuniziert wurde. Deutlich zutreffender seien ihre Schätzungen gewesen, wenn sie stattdessen von der Verdopplungszeit ausgingen. Außerdem konnten sich die Menschen schlecht vorstellen, wie viele Infektionen in dem Szenario verhindert werden könnten. Im Schnitt tippten sie auf 8.600 vermiedene Fälle, tatsächlich sind es fast eine Million. Deutlich besser seien die Schätzungen gewesen, wenn nach der Anzahl der gewonnen Tage bis zum Erreichen der Millionenmarke gefragt wurde.

Wirkung leichter über Zeit zu verstehen

Die Forschenden kamen daher zu dem Schluss, dass prozentuale Wachstumsraten wenig geeignet sind, um eine exponentielle Entwicklung zu kommunizieren. Verständlicher seien Zeiteinheiten, sowohl in der Verdopplungszeit als auch in der "gewonnenen" Zeit. Damit kämen die Botschaften besser an. Nach Einschätzung der Forschenden berichteten Medien und Behörden bisher zwar über Verdopplungszeiten und Fallzahlen, aber kaum über gewonnene Zeit.

Ein Beispiel für die im Experiment verständlichste Formulierung der Lage sei: "Dank den heute ergriffenen Präventionsmaßnahmen können wir davon ausgehen, dass sich die Fallzahlen nicht mehr alle drei Tage verdoppeln, sondern nur noch alle acht Tage. Dadurch gewinnen wir 50 Tage Zeit, bis die Marke von einer Million Infektionen erreicht würde, und können weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie einleiten."

Der Mitteilung der ETH Zürich zufolge haben frühere Studien bereits gezeigt, dass es wenig bringt, Menschen über ihren "exponential growth bias" an sich aufzuklären. Personen unterschätzten exponentielles Wachstum selbst dann, wenn ihnen dieses Problem bekannt sei, etwa aus der Legende des indischen Kaisers und seines "Schachbrett-Problems". Wirksamer sei daher die Kommunikation der Zeitwirkung von Wachstumshemmern. Dies könne auch für andere exponentielle Entwicklungen gelten, etwa in der Finanzbranche, bei rechtlichen Entscheidungen oder bei Umweltentscheidungen.

ckr