

Transfer
Wie innovativ forscht Europa?
Welchen Einfluss haben Fördergelder des Europäischen Forschungsrats (ERC) wie die Starting, Colsolidator und Advanced Grants auf den technologischen Fortschritt? Dieser Frage hat sich eine im Oktober in der Fachzeitschrift "Research Policy" veröffentlichte Studie eines italienisch-US-amerikanischen Forschungsteams gestellt. Das Ergebnis zeigt ein gemischtes Bild des europäischen Forschungssystems, das auch schon den Draghi-Report geprägt hat: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Forschung in Europa seien zwar erstklassig, aber der Transfer zu wirtschaftlich verwertbaren Innovationen gelinge nicht immer – ein Effekt, der als "Europa-Paradox" bekannt ist und in der Forschung kontrovers diskutiert wird.
Der Transfer von Forschung in kommerziell wertvolle Produkte und Dienstleistungen benötige unterstützende Ökosysteme, so die aktuelle Studie. Dazu gehörten beispielsweise eine Startup-Szene, die das entwickelte Wissen aufnehmen könne und Investitionskapital, die diese finanziere. Beides sei in Europa weniger gegeben, als zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Für ihre Betrachtung des Zusammenhangs von Forschung und Innovationen haben die Forschenden wissenschaftliche Publikationen mit Patentanmeldungen abgeglichen und ausgewertet, auf welche Studien die Patentanmeldungen verweisen. Sie haben geprüft, ob Forschung, die vom ERC finanziert wird, mehr Verweise erhält, als ähnliche Forschung aus Europa, die nicht vom ERC gefördert wird.
Anwendungsorientierte ERC-Forschung sorgt für mehr Erfindungen
Die Wahrscheinlichkeit, dass ERC-Veröffentlichungen in Patenten zitiert werden, sei ebenso hoch wie bei vergleichbarer nicht ERC-geförderter Forschung. Wenn ERC-Publikationen allerdings zitiert würden, erhielten sie pro Publikation mehr Zitationen. Dies zeige, dass ERC-Forschung, wenn sie einen hohen Anwendungswert habe, Grundlage von einer größeren Anzahl an vermarktbaren Erfindungen sei als andere europäische Forschung.
Erfindungen, die auf ERC-Forschung beruhten, seien durchschnittlich wichtiger und damit einflussreicher: Sie würden häufiger in weiteren Patenten zitiert als eine Vergleichsgruppe (22 Prozent mehr in Patenten der US-amerikanischen Patentbehörde USPTO und 9 Prozent mehr bei Patenten der europäischen Patentbehörde EPO). Dies zeige laut den Autoren, dass auf ERC-Forschung zu einer höheren Wahrscheinlichkeit qualitativ hochwertige Erfindungen beruhten als auf ähnlicher europäischer Forschung.
Deutlich mehr Patente in USA angemeldet
Das Forschungsteam habe über 32.000 Patente analysiert, die ERC-Artikel zitieren. Es habe 11.450 ERC-geförderte Publikationen ermittelt, die in mindestens einem Patentdokument zitiert wurden. Dabei seien mit knapp 56 Prozent die meisten der 32.000 Patente mit ERC-Verweis bei der US-amerikanischen Patentbehörde angemeldet worden, was den Standortvorteil der USA zeige. Etwa 24 Prozent seien als internationale Patente eingereicht worden und nur 9,5 Prozent als Patent bei der europäischen Patentbehörde EPO. Bei einem Drittel der Patente, die auf ERC-geförderter Forschung basieren, sei jeweils eine Hochschule Patentanmelder (US-amerikanische Hochschulen bei den Anmeldungen bei USPTO und europäische Hochschulen bei EPO-Anmeldungen). Dies läge deutlich über den Anteilen bei den Vergleichsgruppen, die nicht auf ERC-Forschung basieren und zeige die bedeutende Rolle der Hochschulen beim Vorantreiben von Wissenstransfer in die Wirtschaft.
In absoluten Zahlen sei aber der Unternehmenssektor (56 Prozent) führend darin, wissenschaftliche Entdeckungen auf Basis von ERC-Projekten in ertragreiche Innovationen umzuwandeln und gleichzeitig bei der US-amerikanischen und der europäischen Patentbehörde Patente anzumelden. Firmen und Universitäten aus den USA vereinen laut Studie dabei auf sich einen Anteil von rund 41 Prozent und übertreffen somit die europäischen Organisationen, die gemeinsam auf knapp 33 Prozent kommen. "Dies zeigt die riesigen Aufnahmefähigkeiten des US-amerikanischen Innovations-Ökosystems", so die Studienautoren.
Die Forschenden stellten fest, dass Startups zu einem großen Anteil (beispielsweise 16 Prozent bei USPTO) hinter den Patenten stünden, die sich auf ERC-Forschung beziehen. Allgemein würden mehr als ein Drittel aller Patente von Startups angemeldet, was ihre Bedeutung für die Förderung von Innovationen zeige. In den USA existiere eine dynamische Startup-Szene, die Innovationen vorantreibe. In Europa sei die Situation anders, da dort nicht die gleiche Startup-Umgebung herrsche. Regularien und Bürokratie störten neue Unternehmen und Betätigungen. Dies behindere die vollständige Kapitalisierung der exzellenten und bahnbrechenden Wissenschaft in der EU. Auch ERC-Forschung stehe daher vor der Herausforderung des "Europa-Paradox".
cpy