Kreuzgang des Zisterzienserkloster Maulbronn
mauritius images/Bildarchiv Monheim GmbH/Alamy

Produktivität
Auf die Umgebung kommt es an

Produktives Arbeiten erfordert Phasen der Konzentration sowie kreative Pausen. Wie kann man seine Umgebung verändern, um besser auf Ideen zu kommen?

Von Henning Beck Ausgabe 8/17

Manchmal passiert es, dass man auf dem Weg von einem Zimmer ins andere plötzlich nicht mehr genau weiß, was man eigentlich wollte. Also würde man beim Übertreten einer Türschwelle vergessen, was man gerade noch vorhatte. Offenbar beeinflusst unsere Umgebung maßgeblich die Art und Weise, wie wir denken – und worauf wir besonders achten. Ändert sich dann das Umfeld, bleibt das für unser Denken nicht ohne Folgen, und was eben wichtig war, wird plötzlich vergessen.

Das zeigt, wie sehr unsere geistigen Prozesse von unserem räumlichen Umfeld abhängig sind. Kein Wunder, dass man deswegen versucht, seine Umgebung so aufzumöbeln, dass sie eine produktive Arbeitsatmosphäre schafft. Doch worauf kommt es an, wenn man gute Ideen räumlich anlocken will und gleichzeitig fokussiert denken muss? Tischkicker aufstellen, um Start-up-Flair zu versprühen? Oder Großraum-Büros einsetzen, um den Ideenaustausch zu fördern?

Blick öffnen

Auch wenn wir unser Gehirn oft wie eine Arbeitsmaschine behandeln, in Wirklichkeit unterliegt unsere mentale Produktivität individuellen Schwankungen. Neben Phasen der Konzentration auf eine konkrete Aufgabe, benötigen wir auch Momente des Austauschs mit anderen Meinungen genauso wie Augenblicke der Entspannung und des Abschweifens. Dieser Dreiklang aus Fokussierung, Perspektivwechsel und Kontemplation bringt die Stärken unseres Denkens besonders gut zur Geltung – und das sollte sich auch in unserem Umfeld widerspiegeln.

Als Steve Jobs die ersten Entwürfe für das neue Pixar-Hauptquartier in Kalifornien austüftelte, hatte er die Idee, nur eine einzige Toilette in das Gebäude zu integrieren. Wohlgemerkt: in einem Gebäude mit Hunderten von Mitarbeitern. Schließlich, so die Überlegung, müsste jeder irgendwann einmal am Tag die Toilette aufsuchen und egal aus welcher Abteilung man kommt, auf dem Weg dorthin trifft man sich. So tauscht man sich informell viel schneller aus und nimmt leichter neuartige Perspektiven ein. Auch wenn das Pixar-Gebäude schlussendlich natürlich mehrere Toiletten aufweist, das Prinzip ist trotzdem verwirklicht: Je mehr Begegnungsstätten man schafft, desto innovativer wird das gesamte Unternehmen.

Denn gute Ideen entstehen nicht irgendwo, sondern dann, wenn sich Leute mit unterschiedlichen Blickwinkeln treffen und austauschen. Ein innovatives Umfeld ist deswegen ein Austauschumfeld. Die Architektur spielt dabei eine maßgebliche Rolle, denn Menschen neigen dazu, in Stockwerken zu denken: Nur wer einem auf der selben Etage häufig über den Weg läuft, kann auch zum Ideenaustausch beitragen. Räumlich getrennte Stockwerke wirken dann wie eine geistige Barriere. Eine offene Gestaltung von Gebäuden kann diese Grenze jedoch überwinden. Nicht nur, dass der Blick dann einfacher auf andere Abteilungen, Arbeitsgruppen oder Labore gerichtet wird; genauso wichtig ist, dass man gezielt nach fremden (oftmals naiven) Perspektiven fragt.

Der Kreuzgang als Ort der Begegnung

Kreuzgänge waren ein wichtiger Bestandteil mittelalterlicher Klöster. In ihnen konnten Menschen aufeinandertreffen. Dies sollte sie aus ihren Gedanken reißen und auf neue Ideen bringen.

Ein cleverer Trick, wie dies in neuen Gebäuden umgesetzt wird, besteht darin, zentrale Begegnungsstätten zu schaffen. Diese Idee ist beileibe nicht neu: Schon im alten Rom umfassten bessere Wohnhäuser ein mittiges Atrium. Ein wichtiger Bestandteil mittelalterlicher Klöster war ein zentraler Kreuzgang. Der Vorteil: In der Mitte liegende Begegnungsstätten ermöglichen den schnellen und unkomplizierten Austausch von Menschen. Je innovativer ein Gebäude werden soll, desto cleverer setzt es solche Austauschregionen ein: Ob es eine einladende Dachterrasse, ein gemeinsam genutztes wissenschaftliches Gerät oder ein gemeinschaftlicher Billardtisch ist – Hauptsache, man bricht sein Denken dadurch, dass man ein Umfeld der Begegnung schafft.

Diese soziale Komponente der Innovationskraft wird häufig unterschätzt, dabei spielt der räumliche Austausch eine Schlüsselrolle. Als ein US-amerikanisches Softwareunternehmen den Ideenprozess seiner Projektteams verbessern wollte, richtete es wöchentliche Feierabendbier-Meetings ein. Doch das brachte nicht viel. Durch Zufall fand man eine bessere Lösung: Als die Kantine umgestaltet wurde, wurde auch die Länge der Kantinentische vergrößert. Plötzlich saßen sich fremde Menschen aus unterschiedlichen Abteilungen gegenüber und kamen miteinander ins Gespräch – der beste Nährboden für gute Ideen.

Scheuklappen anlegen

Ein offenes Umfeld ist gut – aber nicht immer. Denn gute Ideen anzulocken ist das eine. Sie auszuarbeiten das andere. Deswegen sind Orte wichtig, an denen man konzentriert und weitgehend ungestört arbeiten kann. Der Ansatz, Großraumbüros zu nutzen, um Ideen kreativ durcheinander laufen zu lassen, ist deswegen nicht ungefährlich. Denn in einem lauten Büroumfeld kann aus einer möglicherweise bereichernden Inspiration nur zu leicht eine nervende Ablenkung werden. Da kann es besser sein, Büroräume nicht zu groß werden zu lassen, um fokussierte Arbeitsphasen zu ermöglichen und Störungen zu vermeiden.

Je stärker man Elemente des sozialen Austauschs einsetzt, um sich gegenseitig mit Ideen zu versorgen, desto wichtiger werden im Gegenzug Rückzugsräume, in denen man ungestört arbeiten kann. Denn gute Ideen entstehen im Wechsel zwischen konzentrierter Arbeit und dem Austausch mit seinen Mitmenschen. Sich auf ein Problem zu fokussieren, davon zurückzutreten, Pause zu machen, sich mit anderen auszutauschen und dann konzentriert weiterzuarbeiten, das ist eine sehr effektive Art, um gute Ideen zu entwickeln.

Langeweile nutzen

Konzentration in ungestörten Rückzugsräumen und Orte des kreativen Austauschs sind absolut wichtig für gute Ideen – doch nicht genug. Fragt man Menschen, wo ihnen neue Einfälle und kreative Problemlösungen kommen, dann hört man immer wieder Orte wie "unter der Dusche", "beim Sport", "beim Autofahren" oder "bei der Hausarbeit". Nicht, dass man sich gute Ideen herbeiduschen könnte, doch ganz offenbar scheint "am Schreibtisch" oder "im Büro" kein Top-Ort für neuartige Einfälle zu sein. Denn damit wir auf ungewöhnliche Lösungen kommen, müssen wir uns manchmal von dem konkreten Problem entfernen und den Kopf frei machen. Man könnte auch sagen: sich langweilen.

Langeweile hat heutzutage einen schlechten Ruf. Der Langweiler gilt als unproduktiv und ineffizient. Dabei ist die clever gesetzte Pause elementarer Bestandteil produktiver Arbeit. Auch hier kann ein kluges Umfeld diesen Perspektivwechsel unterstützen – durch Orte, an denen man sich bewusst von seiner Arbeit lösen kann ohne gleich mit einer neuen Aufgabe konfrontiert zu werden. Das kann eine Cafeteria, eine gemütliche Sitzecke oder eine kleine Bibliothek sein. Wichtig ist in jedem Fall, die Möglichkeit zu schaffen, dass man für einen kurzen Moment abschalten kann. Denn nur wer von einem konkreten Problem einen Schritt zurücktritt, kann es neuartig betrachten.

Mischung finden

Es gibt nicht die Universallösung, um eine besonders innovative und ideenfreundliche Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Dennoch zeigt sich, dass ein produktives Umfeld unsere wichtigsten Arbeitsmodi unterstützt: Begegnungsräume ermöglichen den informellen Austausch von Perspektiven und verändern den eigenen Blickwinkel. Konzentriertes Arbeiten muss durch kleine und störungsarme Büros ermöglicht werden, um Tiefgang und Reife von Ideen zu entwickeln. Orte der Ablenkung und Entspannung sind schließlich wichtig, um vom konkreten Problem zurückzutreten und es neuartig zu betrachten. Je besser diese Mischung aus unterschiedlichen Umgebungen verwirklicht wird, desto besser werden innovative Ideen angelockt.