Ein Mensch in Jeans und schwarzem Pullover hält vor seinen Kopf eine blaues, rundes Stück Karton, auf dem eine leere Batterie mit rotem Reservebalken grafisch dargestellt wird als Symbol für Erschöpfung.
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Psychische Gesundheit
Burnout an Hochschulen

Wie sich die Gefahren psychischer Belastungen für Forschende und Lehrende identifizieren lassen. Drei Maßnahmen, die zu ihrer Verhinderung beitragen.

Es ist kein Geheimnis, dass der Druck auf Forschende und Lehrende kontinuierlich zunimmt. So steigen die institutionellen Herausforderungen immer weiter an – mehr Publikationen in Top-Journals, steigende Erwartungen an die Qualität der Lehre, höhere Zahl der Forschungsanträge, intensivere Betreuung von Doktoranden, die wiederum mehr und qualitativ hochwertiger publizieren sollen. Darüber hinaus erleben die Forschenden und Lehrenden den Einzug neuer Technologien – insbesondere führt der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) zu neuen Herausforderungen. Beispielsweise müssen Aufgaben so formuliert werden, dass der Zugriff auf ChatGPT keinen Sinn macht beziehungsweise nicht ausreicht. 

Vor ähnlichen Herausforderungen stehen auch die Forschenden: Zwar hilft KI-basierte Software bei der Literaturanalyse, dem Zusammenfassen wissenschaftlicher Artikel und der statistischen Analyse. Gleichzeitig steigen aber die Erwartungen bezüglich Geschwindigkeit und Qualität der Arbeit – dabei sind die Tools nicht perfekt und benötigen teils erhebliche Nacharbeit. 

Kombiniert mit einer unsicheren Beschäftigungslage, insbesondere für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, führt die Arbeitsweise, wie wir sie an den Universitäten und Fachhochschulen beobachten, zu permanentem Druck. Dieser kann leicht zu dauerhaftem Stress führen, der wiederum in Burnout oder Burnout-ähnlichen Zuständen mit negativen Konsequenzen nicht nur für die Personen, sondern auch für die Hochschulen resultieren kann.

Mentale Gesundheit in der Wissenschaft 

Auch wenn Burnout oft als "Disease of the Century" bezeichnet wird, handelt es sich nicht um eine Krankheit, sondern um ein arbeitsbezogenes Phänomen (die WHO definiert Burnout als "a syndrome conceptualized as a result of chronic work-related stress that has not been successfully managed"). Das Ergebnis ist jedoch dasselbe: Personen, die unter Burnout leiden, melden sich krank. 

Die Diagnosen sind vielfältig und reichen von Rückenschmerzen bis zur Depression. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entscheiden sich dann oft für einen Ausweg – indem sie Academia verlassen und in die Praxis wechseln. Meist wird als Grund, die Wissenschaft zu verlassen, die hohe Belastung durch Lehre, Publikationen, Drittmittelakquisition und anderes angeführt. 

Tatsächlich geht es aber oft nicht um die Arbeit selbst, sondern um die psychologische Belastung, das heißt darum, wie wir uns bei dieser Arbeit fühlen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gut mit der mentalen Belastung aus ihren vielfältigen Aufgaben umgehen, während andere damit Schwierigkeiten haben und ihre Motivation verlieren.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen die jeweiligen Belastungen unterschiedlich wahr. Die Anforderungen an die verschiedenen Tätigkeitsfelder unterscheiden sich deutlich und verlangen dementsprechend ganz unterschiedliche Fähigkeiten. Wenn jedoch die Arbeit den individuellen Fähigkeiten nicht entspricht, erlebt die Person eine Überbelastung ihrer Kapazitäten. Wenn beispielsweise eine Forscherin auf der kommunikativen Ebene nicht gut mit Studierenden umzugehen weiß, wird sie durch zusätzliche Lehre stark belastet, während eine Aufgabe im Forschungsbereich (zum Beispiel Entwicklung eines ökonometrischen Modells) für sie völlig in Ordnung wäre. 

Umgekehrt würde dasselbe für einen lehrorientierten Wissenschaftler gelten. Es geht also weniger um die "Arbeit" einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers an sich, sondern vielmehr um einen "Fit" zwischen den durchzuführenden Aufgaben und den individuellen Fähigkeiten. Eine Prävention von Burnout ist erst dann möglich, wenn man die Talente, Einstellungen und Fähigkeiten der Personen antizipiert und die Arbeitsprozesse entsprechend gestaltet. 

Dies kann sowohl von den Institutionen (Hochschule, Fakultät, Lehrstuhl, Gremien und andere) gestaltet werden als auch von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst: Wir haben im akademischen Bereich den Luxus, weitgehend selbst entscheiden zu können, wie wir unsere Zeit nutzen – abgesehen von den Anforderungen an die Lehre können wir die übrige Zeit für Forschung, administrative Arbeit, weitere Lehraktivitäten, Gremienarbeit, Projektakquisition und Ähnliches verwenden. Es geht darum, die eigene Arbeit selbstbestimmt zu gestalten (Job Crafting) – und zwar so, dass sie mich am wenigsten erschöpft oder mich sogar glücklich(er) macht.

Balance von Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen 

Was können wir tun, um Burnout gar nicht erst entstehen zu lassen? Da Burnout das Ergebnis einer psychologischen und / oder physiologischen Überbelastung auf der individuellen Ebene ist, müssen wir die psychologischen und physiologischen Arbeitsanforderungen (Job Demands) und Arbeitsressourcen (Job Resources) zusammenbringen. Beide Begrifflichkeiten kommen aus der Organisationspsychologie (Job Demands- Resources Model) und haben eine ganz spezifische Bedeutung. 

Psychologische und physiologische Arbeitsanforderungen sind diejenigen Aspekte der Arbeit, die uns Energie rauben. Dazu zählen Auseinandersetzungen mit Studierenden, Kolleginnen und Kollegen oder Doktoranden, Konflikte mit der Abrechnungsstelle für Konferenzreisen, Dispute mit Dekanin oder Kanzler, frustrierende Diskussionen mit Reviewern (psychologische Arbeitsanforderungen, sogenannte "emotionale Arbeit") sowie Aktivitäten wie eine komplexe statistische Berechnung auf einem ungeeigneten Bildschirm oder Arbeiten bei schlechter Beleuchtung (physiologische Arbeitsanforderungen). 

Diese Anforderungen kosten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler viel Energie, die "nachgetankt" werden muss. Das geschieht, indem wir beispielsweise spazieren gehen, schlafen, Urlaub machen. Demgegenüber stehen die psychologischen und physiologischen Arbeitsressourcen. Das sind Aspekte der Arbeit, die uns Energie bringen und dabei helfen, mit den Arbeitsanforderungen umzugehen. Dazu zählen Lob von Kolleginnen und Kollegen, Anerkennung in Form von akzeptierten Publikationen, moralische Unterstützung durch Betreuerin, Professor, Team und Ähnliches. 

Oft ist der Unterschied zwischen einer Arbeitsanforderung und einer Arbeitsressource eine Frage der Wahrnehmung. So kann die Abhängigkeit eines Doktoranden von einer Professorin oder einem Professor sowohl Stress (wenn die Beziehung nicht gut verläuft) als auch Freude (wenn Unterstützung oder sogar Freundschaft vorhanden sind) bedeuten. Der "Fit" zwischen Arbeitsanforderungen und -ressourcen ist nicht einfach zu erreichen: Nur selten helfen letztere dabei, die Arbeitsanforderungen zu kompensieren. In den meisten Fällen verlangsamen die Arbeitsressourcen lediglich das Entstehen einer mentalen Erschöpfung. 

"In den meisten Fällen verlangsamen die Arbeitsressourcen lediglich das Entstehen einer mentalen Erschöpfung."

Beispielsweise mag an dem Tag, an dem endlich unsere Publikation angenommen wurde, große Freude entstehen. Das Hochgefühl kann sich auch auf andere Aktivitäten in den folgenden Tagen übertragen. Hier müssen insbesondere Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler achtsam sein, denn aus dem Höhenflug heraus kann es schnell zum Hamsterrad-Effekt kommen: Wird bei der Folge von Arbeiten-Publizieren- Feiern das Element "Feiern" oder "Ausspannen" (im Sinne von Ressourcen nachtanken) vernachlässigt, nimmt die Gefahr eines Burnout zu.

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Wie kann Burnout verhindert werden? 

Aus der Vielzahl an Möglichkeiten möchten wir die Folgenden skizzieren: Erstens müssen wir uns unserer eigenen Neigungen und Fähigkeiten bewusst sein. Es macht wenig Sinn, dem Beispiel von Kolleginnen und Kollegen nacheifern zu wollen, wenn wir selbst nicht über die gleichen Fähigkeiten verfügen. In diesem Fall ist die Kooperation mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und das "Auslagern" eigener Schwächen ein guter Weg. 

"Es macht wenig Sinn, dem Beispiel von Kolleginnen und Kollegen nacheifern zu wollen, wenn wir selbst nicht über die gleichen Fähigkeiten verfügen."

Auch wenn man vermutet, dass "diese Aufgabe keiner mag", ist dies oft eine Fehleinschätzung, da man die Kolleginnen und Kollegen auf Basis der eigenen Wahrnehmung der Realität einschätzt. Es kann durchaus sein, dass genau diese "erschöpfende" Aufgabe für einen Kollegen "energiebringend" ist. So mögen es einige am liebsten, vor Studierenden zu stehen, zu lehren und auf die Emotionen der Studierenden einzugehen, während andere administrative und politische Aufgaben bevorzugen, indem sie Rollen im Dekanat oder diversen Gremien übernehmen. Vorteilhaft ist auf jeden Fall eine offene Kommunikation über die eigenen Schwächen und Stärken; so sind alle Teammitglieder weniger erschöpft, wenn sie das tun, was zu ihren individuellen Neigungen passt. 

Zweitens muss auf der institutionellen Ebene, das heißt hinsichtlich der Arbeitsprozesse in der Hochschulverwaltung, ein stärkeres Bewusstsein für mentale Gesundheit entwickelt werden. Leider wird selten zugegeben, dass es Probleme in der Organisation gibt. Und wenn doch, dann werden die Probleme oft nicht adressiert oder sie werden direkt ignoriert. Der erste Schritt bei der Prävention von Burnout ist, zu akzeptieren, dass es einen permanenten Stress gibt. 

Um festzustellen, ob und inwiefern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überlastet sind, gibt es mehrere Möglichkeiten. Die Ansätze reichen von direkter Befragung bis zur Beobachtung (unterbewusst erkennen wir durchaus Emotionen anderer Menschen; wir müssen aber lernen, das bewusst zu tun). Letztlich geht es um das erwähnte Job Crafting, also die weitgehend eigene Gestaltung (beziehungsweise die Gestaltung im Team) von Arbeitsprozessen, sodass sie weniger erschöpfend sind. 

"Letztlich geht es um das erwähnte Job Crafting, also die weitgehend eigene Gestaltung von Arbeitsprozessen, sodass sie weniger erschöpfend sind." 

Allerdings ist die Landschaft der Hochschulen sehr unterschiedlich und somit auch das Job Crafting. Während eine Universitätsprofessorin mit eigenem Lehrstuhl kein Job Crafting benötigt, da sie im Rahmen ihres Lehrstuhls die Arbeit frei gestalten kann, sollten jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Juniorprofessorinnen sowie Juniorprofessoren, Postdocs und auch Professorinnen und Professoren, die in einer Department-Struktur arbeiten, mehr Möglichkeiten gegeben werden, ihre Arbeitsprozesse selbst zu gestalten. 

Drittens sollte auf politischer Ebene darüber nachgedacht werden, inwieweit es sinnvoll ist, bestimmte Lehrdeputate oder Publikationserwartungen pro Person vorzuschreiben. Es wäre unseres Erachtens zielführender, einen bestimmten Output von der Hochschule zu erwarten und dieser die Möglichkeit zu geben, das Lehr- und Forschungsdeputat anhand von Kompetenzen und individuellen Fähigkeiten der Forschenden und Lehrenden aufzuteilen. 

So wird in Deutschland für den Erwerb einer Universitätsprofessur neben der Lehrtätigkeit (und einer Vielzahl anderer Aufgaben) explizit die Durchführung von Forschungs- oder Entwicklungsprojekten (Habilitation oder Habilitationsäquivalent) verlangt. Dieser Ansatz entspricht dem deutschen Verständnis von Humboldts Idee der Einheit von Forschung und Lehre. 

Im Gegensatz dazu stehen dem wissenschaftlichen Personal in Großbritannien drei Pfade zur Verfügung: Lehrprofessur, Forschungsprofessur sowie ein kombinierter Pfad. Das Humboldtsche Ideal würde dann institutionell und nicht individuell verstanden werden. 

Neues Verständnis von Effektivität und Effizienz 

Burnout und ähnliche Zustände ergeben sich aus problematischen Arbeitsbedingungen, unter anderem wegen Stress aufgrund hoher Lehrbelastung, der Notwendigkeit, Emotionen zu verbergen beziehungsweise Emotionen zu zeigen, die man nicht fühlt, andauernder Konflikte oder der Angst, die Professur nicht zu bekommen, weil "noch ein A-Paper fehlt". 

Die Ausrichtung an traditionellen Kennziffern für Effektivität (zum Beispiel Benotung von Vorlesungen durch Studierende, Anzahl von Publikationen in bestimmten Rankings, Mitwirkung in Berufungsausschüssen) und Effizienz (zum Beispiel Einsatz von finanziellen und personellen Inputs, um die gewünschten beziehungsweise vorgeschriebenen Outputs zu erreichen) greift heutzutage zu kurz. Denn damit schauen wir nur auf die materiellen und immateriellen Ressourcen und vergessen darüber die psychologischen und physiologischen Ressourcen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. 

Mit einem neuen Verständnis könnten die mentalen Gesundheitsprobleme wie andauernde Müdigkeit, Mangel an Motivation, Flucht aus der Wissenschaft und andere vermieden oder zumindest reduziert werden. Wie wäre es, wenn in der Unistatistik neben der Zahl nicht erfolgreicher Einreichungen bei Top-Journals auch die Zahl der Personen stehen würde, die danach die Wissenschaft verlassen haben? Oder wenn neben den Ergebnissen der administrativen Arbeit auch die Anzahl der Burnout-Fälle unter den Hochschulmitarbeitenden stehen würde? 

Das würde vermutlich ein viel genaueres Bild vom Stand der Forschung und Lehre vermitteln. Dazu ist ein Umdenken auf allen drei Ebenen (individuell, institutionell, politisch) erforderlich. Das würde hoffen lassen, dass sich Forschung und Lehre mit der Zeit einem Burnout-freien Zustand annähern.