picture alliance/dpa/CTK | Michal Krumphanzl

Wissenschaftliches Prekariat
Die akademische Welt verliert ihren Nachwuchs

Akademische Karrieren sind oft prekär, gerade am Anfang. Die OECD ist den Schwierigkeiten nachgegangen.

09.06.2021

Weltweit ist eine große Zahl an Postdoktoranden und Postdoktorandinnen in befristeten Verträgen angestellt, ohne Aussicht auf dauerhafte Anstellung. Diese Situation beschreibt eine neue Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als Prekarität der jungen Forschenden. Ihr Wohlergehen leide, so dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre akademische Laufbahn aufgäben. Gerade die Besten gingen so der Forschung verloren, argumentiert die OECD und gibt Empfehlungen zur Verbesserung der Situation.

Trotz unterschiedlicher Strukturen und Forschungssysteme, sei die prekäre Situation von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern ein verbreitetes Phänomen in den OECD-Ländern. Dies läge mitunter an gestiegenen Promovierendenzahlen: Zwischen 2014 und 2019 seien diese im Durschnitt der OECD-Länder um 25 Prozent gestiegen. Im Anschluss an die Promotion fänden sich die Promovierenden in befristeten Arbeitsverhältnissen wieder, die oft auf Teilzeit ausgelegt seien, da nicht genügend Stellen für Postdoktorandinnen und Postdoktoranden zur Verfügung stünden. Zwischen den Forschenden herrsche dadurch eine hohe Konkurrenz. Die Auswahlprozesse für die wenigen sicheren Anstellungspositionen seien undurchsichtig.

Die Diversität der wissenschaftlichen Arbeitswelt sei ebenfalls fraglich: Nachwuchswissenschafterinnen und -wissenschaftler mit einem privilegierten Hintergrund könnten sich die unsichere Lebenssituation eher leisten als Forschende mit einem weniger etablierten Hintergrund. Viele würden dadurch zwischen am Übergang von einem frühen zu einem mittleren Karrierelevel aus der Wissenschaft in die Wirtschaft wechseln.

Mit Drei-Jahres-Verträgen und Tenure-Tracks gegen den Braindrain

Der OECD-Report empfiehlt, dass die Arbeitsbedingungen verbessert werden sollten, beispielsweise mit einer Vertragsmindestlaufzeit von drei Jahren für Postdoktorandinnen und Postdoktoranden. Karrierewege sollten transparenter gestaltet sein, beispielsweise durch die Einführung eines Tenure-Systems. Die Tenure-Track-Stellen sollten nach einem transparenten Leistungsprinzip vergeben werden und denjenigen offenstehen, die vorher vereinbarte Ziele in einer bestimmten festgelegten Zeit erfüllten. Personalentwicklung müsse verstärkt angeboten werden. Es sollte auf Chancengleichheit, Diversität und Inklusion geachtet werden. Forschende sollten in ihrer Karriere besser unterstützt werden, damit die talentiertesten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Forschung nicht den Rücken kehren.

Die einzelnen OECD-Länder würden die prekäre Lage der jungen Forschenden bereits mit unterschiedlichen Maßnahmen angehen. Deutschland beispielsweise versuche, die Postdoc-Phase kurz zu halten und sehr knapp befristete Verträge zu verhindern, indem die Arbeitsverhältnisse möglichst der Projektlaufzeit angepasst werden. Auch werde in Deutschland angestrebt, dass statt Stipendien Anstellungsverhältnisse geschaffen werden (hier verweist die OECD auf die Max-Planck-Gesellschaft). Außerdem sei der Tenure Track bereits 2017 eingeführt worden.

Allgemein müssten die Maßnahmen in den einzelnen Ländern hinsichtlich ihrer Nützlichkeit überprüft werden. Die Corona-Pandemie habe eine zusätzliche Verschlechterung der Karriereaussichten bewirkt, besonders betroffen seien Frauen und jüngere Forschende. Die Stärkung der wissenschaftlichen Laufbahn sei auch deshalb wichtig, weil Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler bei der Überwindung der wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen der Corona-Pandemie eine zentrale Rolle spielten.

cpy