Eine Frau sitzt am Schreibtisch, im Hintergrund eine Wanduhr
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Zeitempfinden
Die Zeit auf der eigenen Seite

Zeit ist relativ. Mal verfliegt sie rasend schnell, mal dehnt sie sich scheinbar endlos in die Länge. Wie machen wir uns die Zeit zum Verbündeten?

Von Isabell Winkler 10.11.2019

Time flies when you are having fun. Das ist zumindest im englischsprachigen Raum eines der bekanntesten Sprichwörter, um zu erklären, wann Zeit subjektiv schnell vergeht. Auch im Deutschen kennt vermutlich jeder das Gefühl, dass Zeit "verfliegt", wenn man etwas Angenehmes erlebt oder sich mit einer interessanten Aufgabe beschäftigt, und dass sie sich sehr lang anfühlen kann, wenn man warten muss oder einen langweiligen Vortrag hört.

Menschen scheinen danach zu streben, dass die Zeit im Moment des Erlebens möglichst schnell vergeht. Muss man warten, lenkt man sich ab. Kaum jemand erträgt gern Wartezeit oder zäh dahinfließende Zeiträume. Scheint eine Zeitspanne schnell zu vergehen, wird sie als positiver wahrgenommen und das Erlebte meist besser bewertet, zeigen die Untersuchungen von Sackett und Kollegen (2010), in denen den Teilnehmern vorgetäuscht wurde, dass mehr oder weniger Zeit als gedacht vergangen ist.

Selbst langweilige Aufgaben wurden als amüsanter wahrgenommen, wenn die Probanden dachten, es seien bereits zehn statt nur fünf Minuten vergangen. Musikstücke wurden besser bewertet und Lärm als weniger störend empfunden, wenn die Geschwindigkeit einer elektronischen Uhr um 20 Prozent erhöht wurde. Somit wäre es also erstrebenswert zu bewirken, dass Personen, die auf einen Service warten müssen, oder Studierende in Vorlesungen die Zeit als schnell vergehend wahrnehmen. Welche Möglichkeiten dafür gibt es?

Zeitempfinden hängt von drei Faktoren ab

Faktor 1: Das beste und sicherste Mittel ist es natürlich, Wartende mit spannenden Tätigkeiten zu beschäftigen und den Studierenden Wissensinhalte so zu vermitteln, dass sie interessant sind und die Zeit in der Veranstaltung Spaß macht. Denn einer der einflussreichsten Faktoren auf die menschliche Zeitwahrnehmung ist das Ausmaß an Aufmerksamkeit, das auf das Vergehen der Zeit gerichtet wird. Achtet man auf die Zeit, scheint sie langsamer zu vergehen; ist man mit anderem beschäftigt, vergeht die Zeit subjektiv schnell.

Modelle der prospektiven Zeitwahrnehmung, also dem Zeitempfinden im gegenwärtigen Augenblick, erklären das durch die Existenz eines (bisher nicht lokalisierten) Taktgebers, also einer inneren Uhr, die regelmäßig Takte abgibt, die für ein bestimmtes Zeitintervall gesammelt, gezählt und deren Anzahl mit der von anderen im Referenzgedächtnis gespeicherten Dauern verglichen wird. Die Menge an Aufmerksamkeit, die auf die Zeit gerichtet wird, moduliert, wie viele der abgegebenen Takte registriert werden.

Es wird dabei davon ausgegangen, dass die menschliche Aufmerksamkeit begrenzt ist und aufgeteilt werden muss. Je mehr Aufmerksamkeit durch eine Aufgabe absorbiert wird, desto weniger steht für das Achten auf die Zeit zur Verfügung. Am besten nachvollziehbar ist dieses durch viele Untersuchungen gut belegte Phänomen vermutlich anhand von Flow, definiert als angenehmer Zustand völliger Absorption von einer Tätigkeit, in dem die Zeit ungewöhnlich schnell zu vergehen scheint.

Im Gegensatz dazu werden Perioden, in denen irgendeine Art von Selbstregulationsprozess nötig ist, wie beim frühen Aufstehen, dem Unterdrücken von (unangemessenen) Emotionen, dem Lenken der Aufmerksamkeit weg von verführerischen Ablenkungen hin zu vernünftigen Aufgaben, als übermäßig lang dauernd empfunden. Das liegt daran, dass dabei die Aufmerksamkeit nicht im gleichen Umfang wie beim Flow von der zu bewältigenden Aufgabe eingenommen wird, sondern ungenutzte Aufmerksamkeit häufiger auf das Vergehen der Zeit gerichtet wird. Man fragt sich: Wie spät ist es? Wie lange muss ich noch durchhalten?

Die Zuhörer im Rahmen einer Vorlesung in Flow zu versetzen (ohne dass ein gewisses Maß an Selbstregulation beim Zuhören nötig ist) ist jedoch ein anspruchsvolles Ziel, das vielleicht nicht immer erreicht werden kann, genauso wenig wie Wartende so zu beschäftigen, dass sie sich über die Wartezeit freuen. Es gibt jedoch noch zwei weitere Faktoren, die die Zeitwahrnehmung beeinflussen.

Faktor 2: Das Ausmaß körperlicher oder emotionaler Aktivierung (engl. Arousal) und die Erwartung der Länge eines Zeitintervalls. Zur Erklärung der Wirkung von Arousal auf die Zeitwahrnehmung nutzen wir wieder die Taktgebermodelle. Diese postulieren, dass sowohl körperliche Anstrengung (wie beim Sport) als auch das Empfinden emotionaler Aufregung (zum Beispiel kurz vor einer mündlichen Prüfung) den Taktgeber beschleunigen und damit dafür sorgen, dass die gleiche objektive Dauer unter hohem Arousal subjektiv als deutlich länger erlebt wird.

In den Untersuchungen von Schwarz und Kollegen (2013) zeigte sich, dass sich das Dauerempfinden bei anstrengenden Aufgaben ausdehnt, unabhängig davon, ob dabei die Herzrate erhöht wird (wie bei Sportübungen) oder sogar gesenkt (wie beim Atemanhalten aufgrund des Taucherreflexes, bei dem die Herzfrequenz vermindert wird, um den Sauerstoffverbrauch zu reduzieren).

Der Taktgeber der inneren Uhr basiert somit also nicht auf der Wahrnehmung des Herzschlages, wie häufig angenommen. Die Reduktion körperlicher Anstrengung, um das Zeitempfinden zu verkürzen, wird im Universitätsalltag vermutlich eine untergeordnete Rolle spielen. Um eine mögliche emotionale Aktivierung (wie beispielsweise Prüfungsangst oder entstehender Ärger aufgrund von Wartezeiten) zu verringern, können Strategien zur Entspannung helfen. Beim Warten kann das entspannende Musik sein; vor Prüfungen helfen möglicherweise Informationen, um Ängste zu reduzieren.

Faktor 3: Vielleicht der stärkste von außen kontrollierbare Einflussfaktor auf die Zeitwahrnehmung dürfte das Erzeugen einer Erwartung über die Dauer eines Zeitintervalls sein. Egal, woher die Erwartungen kommen: Jeder Mensch hat immer eine Vorstellung davon, wie lange etwas dauern wird, selbst in neuartigen Situationen. Dabei sind Menschen in der Regel optimistische Schätzer, was gelegentlich zu Fehlplanungen führt.

Glaubt ein Proband etwa, nur fünf Minuten warten zu müssen, bevor eine Untersuchung beginnt, werden es dann aber 15 Minuten, so entsteht durch den Kontrasteffekt zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Dauer ein sehr langsames Zeitempfinden, das von Unmut begleitet sein kann, zeigen Tanaka und Yotsumoto (2017).

Für die Beeinflussung des Zeitempfindens gilt es also, die Dauererwartung möglichst zu erhöhen, so dass ein Kontrast eher in die entgegengesetzte Richtung entsteht: Wenn beispielsweise eine Wartezeit oder eine Seminaraufgabe deutlich kürzer dauert, als die Teilnehmer erwartet haben, wird die investierte Zeit als vergleichsweise schnell vergehend erlebt und damit wahrscheinlich auch als positiver bewertet.

Erinnerung: Zeit wird anders wahrgenommen

Anders funktioniert das Zeitempfinden in der Erinnerung bezogen auf bereits vergangene Zeitspannen. Diese retrospektive Zeitwahrnehmung wird mit anderen (taktgeberfreien) Modellen erklärt. Da die jeweiligen Zeitspannen aus dem Gedächtnis reproduziert werden müssen, ist entscheidend, wie viele (unterschiedliche) Gedächtnisinhalte aus diesem Zeitintervall erinnert werden: Je mehr, desto länger wird die Dauer geschätzt.

Menschen bewerten bei dieser Art von Zeitwahrnehmung ein schnelles Zeitvergehen als eher ungünstig. Zumindest ist dies bei den bekannten Klagen über die im Laufe des Lebens immer schneller zu vergehen scheinende Zeit der Fall.

Winkler und Kollegen (2017) haben die Ursachen dieses Alterseffektes der Zeitwahrnehmung untersucht und herausgefunden, dass im Wesentlichen drei Faktoren zu dem Phänomen beitragen: im Lebensverlauf immer weniger werdende neue Lebensereignisse (weil es zunehmend schwieriger wird, wirklich Neues zu erleben), ein zunehmendes Ausmaß an Routinen im Lebensalltag (was zu weniger gut voneinander separierbaren Gedächtnisinhalten führt) und zunehmender Zeitdruck (der dazu führt, Lebensereignisse weniger intensiv wahrzunehmen beziehungsweise weniger Neues auszuprobieren).  

Es gibt insgesamt also einiges, das man tun kann, um das Zeitempfinden zu beeinflussen. Am effektivsten, um sowohl im momentanen Augenblick eine möglichst hohe Geschwindigkeit der Zeit zu erreichen, rückblickend aber eine lange Dauer zu erinnern, dürfte es sein, interessante, intrinsisch motivierende Dinge zu erleben, von denen viele im Gedächtnis bleiben, und gewohnte Routinen zu durchbrechen.