Illustration von miteinander verbundenen Personen in Zahnrädern
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Gruppendynamik
Eine Rangordnung macht Arbeitsgruppen erfolgreicher

Die Hierarchie im Team ist für dessen Erfolg von besonderer Bedeutung. Wie Sie Rang- und Machtpositionen in Gruppen erkennen und richtig nutzen.

Arbeitsgruppen sind schwierig zu beherrschende Kollektive, die in ihrer intellektuellen wie sozialen Entwicklung eigentlich nie stillstehen. Ob ein Montage-, Innovations-, Entscheidungs- oder Hochleistungsteam (zum Beispiel ein polizeiliches Sondereinsatz-Kommando) effektiv ist und seine Ziele erreicht, hängt letztlich nicht nur von seiner richtigen Zusammensetzung und Führung ab, sondern ganz wesentlich auch von der Natur der internen Arbeits-, Kommunikations- und Machtprozesse.

Gerade das Thema Macht in Teams wird häufig unterschätzt. Kann zum Beispiel ein bestimmtes Teammitglied mehr "für sich herausholen" als andere oder den Teammitgliedern seine persönlichen "terms of trade" aufzwingen? Genießt jemand einen besonderen Respekt? Und ist dieses Vermögen stabil oder einem ständigen Behauptungskampf unterworfen? Salopp und zugespitzt: Kann der Mobbende zum Gemobbten werden – und der Außenseiter am Ende zum Anführer?

Rangdynamisches Modell

Für dieses dynamische Verständnis von Status und Macht, für deren subjektiv verliehenen und relationalen Charakter hat sich unter anderem der österreichische Psychotherapeut und Psychiater Raoul Schindler (1923-2014) interessiert und in seinem sogenannten rangdynamischen Modell prägend angenähert. Schindler gründete 1959 gemeinsam mit dem Psychoanalytiker Hans Strotzka unter anderem den Österreichischen Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG) und war damit zugleich Wegbereiter einer ganzheitlichen Gruppenforschung.

Anders als die relativ statische, sich an Stärke, Aktivität und Alter orientierende "Hackordnung" auf dem Hühnerhof, die der norwegische Zoologe Thorleif Schjelderup-Ebbe in seiner Dissertation von 1921 beschrieb, sind die Rangpositionen in zwischenmenschlichen Gruppen komplexer und veränderlicher. Diese sind nicht auf ein Kräftespiel zwischen "Führer und Gruppe" beschränkt und basieren auch nicht auf einem kontinuierlichen Ranggefälle vom Ersten bis zum Letzten.

Da sich auf dem zweiten Platz hinter dem Leader häufig mehrere Gleichwertige befinden und die Presti­ge­verhältnisse ab der dritten Position ebenfalls oft nur noch geringfügige Unterschiede aufweisen, hat sich Schindler in der Analyse auf vier Positionen beschränkt und innerhalb dieser Positionen darauf verzichtet, weitere Rangstufen zu bilden. Die konkreten Rollen und Rangstufen können sich mit der Zeit verändern und auch situativ wechseln, sind also nicht unbedingt persönlichkeitsdeterminiert.

Diese vier Positionen sind, jeweils mit griechischen Buchstaben gekennzeichnet:

Von Alphas und Omegas

der Alpha, der als Anführer durch seine Ziele, Maßnahmen und Motivationskraft die Richtung bestimmt, der also gewissermaßen vorangeht. Ein Alpha ist häufig ein charismatisch-mitreißender Typus. In weiterer Konkretisierung lassen sich der heroische, der empathische und der narzisstische Alpha differenzieren. Letzterer beschäftigt die Gazetten wie die Forschung (die zum Beispiel gerade über demütige, "humble" Leader diskutiert) gleichermaßen;

der Beta, der als Fachexperte eine Position eher am Rande einnimmt, sich seine Unabhängigkeit aber durch nützliche Leistungen erhält. Trotz seines oft wenig mitreißenden, eher nüchternen Temperaments ist er aufgrund seiner überlegenen Expertise geschützt. Betas sind nach dem Alpha die Nummer zwei im Team und oft Kandidaten für deren Nachfolge. Daraus können Spannungen entstehen;

die Gammas folgen als "Arbeitsbienen" dem Alpha, identifizieren sich mit seiner Initiative und treten für ihn ein. Als Mitläufer stützen und schützen sie den Alpha und verleihen ihm durch ihren gleichgerichteten Willen emotionale Stärke. Ohne genügend leistungsbereite Gammas kann kein Alpha seine Ziele erreichen. Waren Ringo Starr und George Harrison für die Beatles am Ende nicht genauso wichtig wie die Doppelalphas Lennon und McCartney?

der Omega, der als Skeptiker oder Opponent als letzter nachfolgt, zögernd oder gehemmt, vielleicht sogar ängstlich.

Die interessanteste (und meist unterschätzte) Figur ist der Omega, der – trotz seiner Unbeliebtheit und formalen Herabstufung – eine essenziell wichtige Funktion in der und für die Gruppe übernimmt. Als ewiger Zweifler, Nörgler und Außenseiter scheint er den Gruppenfortschritt zunächst zu bremsen: Die anderen reiben sich fortwährend an ihm und nehmen den Alpha auch gegen ihn in Schutz; der Omega wird so schnell zum "Prügelknaben" und "Sündenbock". Gleichwohl verkörpert er Positionen und Teilwahrheiten, mit denen die Gruppe sich unter dem herrschenden Arbeitsdruck meist nicht (mehr) beschäftigen möchte. Falsche Überzeugungen, bequeme Routinen und eingeschlagene Irrwege legt der Omega offen und zwingt die anderen somit zur kritischen Reflexion ihres Selbstverhaltens – und zur Argumentation. Damit ist ein Omega letztlich unverzichtbar für die Entwicklung und soziale Reifung eines jeden Teams!

Beziehungsmuster und Gruppenleistung

Erfahrene Analytiker und Therapeuten benötigen etwa zwanzig Minuten zur Diagnose des jeweiligen Ranggefüges. Sie beginnen in der Regel mit der Bestimmung der Omega-Position und fixieren dann als komplementäres Gegenstück den Alpha. Basis dieser Einstufung sind Mimik, Gestik, Aussagen und reale Handlungen eines Gruppenmitglieds. Ergänzend können sogenannte Soziogramme als sympathiebasierte Beziehungsmuster herangezogen werden.

Hat sich eine Gruppe formiert, spricht Schindler von der fertigen Gruppe beziehungsweise der gruppalen Bezogenheit. "Aus dem Durcheinander des allgemeinen Alphaanspruchs haben sich Prestigeverhältnisse abgeklärt und eine Rangordnung wurde (…) gewonnen, die freilich mehr oder minder unbewusst und auch mehr oder minder labil sein kann". Die Herausbildung einer Rangordnung besitzt eine tragende Bedeutung für die Teamreife, wobei dieser Prozess letztlich nie abgeschlossen ist: "Eine Gruppe arbeitet eigentlich ständig daran, sich zu definieren" .

In Gruppen und Teams existieren letztlich eine machtbasierte Rangstruktur und eine sympathiebasierte Beziehungsstruktur parallel nebeneinander. Die Erfahrung zeigt: Je strukturierter das (Rang-)Gefüge eines Teams ist, desto erfolgreicher ist es unter sonst gleichen Bedingungen bei der Erreichung seines Ziels, je unstrukturierter eine Gruppe nach innen ist, desto eher sind Misserfolge vorprogrammiert.