Eine Frau steigt mit Aktenkoffer auf eine Leiter. Im Hintergrund ist die britische Fahne auf eine Wand gemalt.
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Personalentwicklung
Eingewoben in die Struktur britischer Hochschulen

Wissenschaftliche Personalentwicklung ist international verschieden. Ein Gespräch mit Professorin Susanne Braun über deutsch-britische Unterschiede.

Von Charlotte Pardey 14.06.2021

Forschung & Lehre: Wie schätzen Sie die Personalentwicklung im wissenschaftlichen Kontext in Deutschland ein? Können Sie einen Vergleich zu Großbritannien ziehen, wo sie aktuell lehren?

Susanne Braun: In der Wissenschaft geht es traditionell um herausragende fachliche Leistungen. Studierende, ebenso wie Doktorandinnen und Doktoranden werden zu Expertinnen und Experten in ihrem Fach ausgebildet. Personalentwicklung wird jedoch immer wichtiger, vor allem dann, wenn es darum geht, mit anderen zusammen eine Forschungsleistung zu erbringen: Fragen werden komplexer, Teams sind oft multidisziplinär und international. In Deutschland liegt der Hauptfokus dabei auf der Führungskräfteentwicklung, begründet durch die Strukturen, in denen man im akademischen Bereich arbeitet. Ein klassischer Lehrstuhl vereint gerade in naturwissenschaftlichen Disziplinen sehr viele Funktionen. Neben Forschung und Lehre sind die wissenschaftliche Betreuung von Promovierenden, Postdoktorandinnen und Postdoktoranden, die strukturelle Führung von großen Teams und das Einwerben von Drittmitteln zu nennen. Aus dieser Vielfalt ergeben sich Herausforderungen. Es ist schön zu beobachten, dass in Deutschland immer mehr Maßnahmen der Personalentwicklung auf diese eingehen. In Großbritannien sieht man sich als Professor oder Professorin weniger als Führungskraft. Am Beispiel der Betreuung von Promovierenden gesprochen ist man eher ein fachlicher Mentor oder eine fachliche Mentorin.

Porträtfoto von Professorin Susanne Braun
Susanne Braun ist Professorin in Leadership und PhD Programm Lead am Department für Management und Marketing der Durham University Business School in Großbritannien. Zuvor war sie am Centre for Leadership and People Management der LMU München tätig. Durham University Business School

F&L: Welche Themen sind in der universitären Personalentwicklung in Großbritannien wichtiger?

Susanne Braun: In Großbritannien sind Themen wie Diversität, Inklusion und die Vermittlung der individuellen Werte der Universität zentral. Gemeint sind beispielsweise die Tradition, in der die Hochschule steht, aber auch die genauen Forschungsschwerpunkte und die Übereinkunft, was der wissenschaftliche Beitrag der Einrichtung sein sollte. Es geht auch um die Gestaltung der Zusammenarbeit und weitere Werte wie Integration oder Respekt. Diese in das Verhalten aller zu übertragen, die in der Einrichtung tätig sind, ist nicht einfach, da durch die Internationalität der Studierenden und Lehrenden diverse Hintergründe und Erfahrungsspielräume zusammenkommen. Diversität ist an britischen Hochschulen eine im Alltag erlebbare Herausforderung, das motiviert, sich in diesem Bereich fortbilden zu wollen. Diese Themen sind in Deutschland zwar nicht unwichtig, aber doch bisher noch weniger stark im Bewusstsein. Das Bedürfnis, sich in Deutschland mit Diversität auseinanderzusetzen ist kleiner, da die faktische Diversität in der Gruppe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Studierenden geringer ist.

F&L: Welche Rolle spielt die Personalentwicklung in Ihrem Erfahrungsraum jeweils beim Sicherstellen von hochwertiger Lehre?

Susanne Braun: In Deutschland liegt die Verantwortung für die Qualität der Lehre bei der Person der oder des Lehrenden. Entsprechend gibt es unterschiedliche individuelle Personalentwicklungsangebote, mit denen die Lehrenden an ihrer Lehrqualität arbeiten können. Im Vergleich dazu liegt im Vereinigten Königreich die Verantwortung viel deutlicher beim Department. Die Aspekte der Personalentwicklung, die die Qualitätssicherung der Lehre betreffen, sind stärker als in Deutschland in die Struktur der Hochschule eingewoben. Kommt ein neuer Professor oder eine neue Professorin beispielsweise an die Durham University Business School, so bekommt er oder sie, unabhängig ob es sich um ein Assistant, Associate oder Full Professorship handelt, einen Mentor oder eine Mentorin zur Seite gestellt. Innerhalb des Departments geben sich die Lehrenden zudem alle ein bis zwei Jahre gegenseitig Feedback zur Qualität ihrer Lehre. Das ist institutionalisiert, es werden "best practices" gesammelt und die Erkenntnisse dem ganzen Department zur Verfügung gestellt. Vielleicht hat jemand beispielsweise ein neues Softwaretool erfolgreich angewandt oder eine bestimmte Reflexionsaufgabe gestellt, die auch in Zukunft verwendet werden sollte. Ein weiteres Beispiel für die Verteilung von Verantwortung innerhalb des Departments ist die Promovierendenausbildung: Innerhalb der drei bzw. vier Jahre dauernden Programme findet jährlich ein "progress review" statt. Diese Überprüfung des Fortschritts geschieht nicht durch die Betreuenden des oder der Promovierenden, sondern durch Kolleginnen und Kollegen aus dem Department.

"Die Aspekte der Personalentwicklung, die die Qualitätssicherung der Lehre betreffen, sind stärker als in Deutschland in die Struktur der Hochschule eingewoben."

F&L: Wie ist es um Evaluationen der Lehre durch die Studierenden bestellt?

Susanne Braun: In Großbritannien wird großen Wert darauf gelegt, wie die Studierenden die jeweilige Lehre bewerten. Die Beurteilungen der verschiedenen Lehrenden werden verglichen, auch von Kurs zu Kurs. Am Ende des Terms nehmen die Lehrenden im "Module Leader Report Form" Stellung zu den Dingen, die bewertet wurden. Das wird ebenfalls auf Departmentebene diskutiert. So wird die Perspektive der Studierenden miteinbezogen in die Personalentwicklung im Bereich Qualität der Lehre. Darüber hinaus werden hohe Standards in der Lehre durch eine allgemeine Lehrqualifikation gesichert, das Post Graduate Certificate in Academic Practice (PGCAP). Bei dem mehrstufigen Programm werden Lehr- und Bewertungskompetenzen vermittelt. Das Zertifikat kann sich zwar in einzelnen Kursinhalten unterscheiden, aber da es von der britischen Higher Education Academy akkreditiert wird, besteht eine Vergleichbarkeit innerhalb Großbritanniens. Ein erfolgreich absolviertes PGCAP führt zum Fellowship der Higher Education Academy. Dieses Fellowship ist wiederum ein wichtiges Kriterium bei der Bewerbung um neue Stellen. In Deutschland sind ähnliche Programme institutions- oder landesspezifisch und meist auf freiwilliger Basis, ein bundesweit vergleichbares verpflichtendes Zertifikat gibt es meiner Einschätzung nach nicht.

F&L: Auf die anders gelagerte Verantwortung der britischen Departments in der Promovierendenausbildung haben Sie hingewiesen. Inwiefern unterscheidet sich die Wahrnehmung der Promovierenden im Vereinigten Königreich von denen in Deutschland und was bedeutet das für die Personalentwicklung dieser Gruppe?

Susanne Braun: In Großbritannien werden Promovierende im Vergleich zu Deutschland stärker als Studierende wahrgenommen. Britische Promovierende sind Angehörige ihres jeweiligen PhD Programms und des übergeordneten Departments. Wenn sie als "student tutors" arbeiten, dann geschieht dies für das Department und nicht für ihre Betreuenden, also ihre Professorinnen oder Professoren. Sie gelten nicht als eigentliche Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der jeweiligen Hochschule. Demgegenüber arbeiten Promovierende in Deutschland häufig als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für einen Lehrstuhl und gehören fest zum Universitätspersonal. Daraus ergeben sich in der Personalentwicklung andere Aufgaben: In meiner Tätigkeit am Center for Leadership and People Management der LMU München haben wir für Doktorandinnen und Doktoranden beispielsweise Fortbildungen zum Thema "Upward Leadership" angeboten, also zur Führung der Führungskraft. Fortbildungsangebote für Promovierende verfolgen in Großbritannien weniger die Ziele der klassischen Personalentwicklung, sondern widmen sich der Vermittlung von Forschungsmethoden und wissenschaftlicher Praxis. Es geht etwa um statistische Methoden oder wissenschaftliches Schreiben, nicht um Führungsaufgaben. Seit letztem Jahr biete ich beispielsweise für die Promovierenden unseres Departments eine informelle Workshopreihe an, sowohl zu methodischen Aspekten, aber auch zu Themen wie der erfolgreichen Zusammenarbeit mit den Betreuenden oder der Selbstmotivation. Die Reihe ist mein Versuch, zwischen den Promovierenden eine Gemeinschaft der gegenseitigen Unterstützung herzustellen. Viele Promovierende haben aktuell Schwierigkeiten, ihre Forschung durchzuführen, Zugang zu Interviews zu bekommen und ihren Zeitplan einzuhalten. Durch die Workshopreihe erhalten sie soziale Unterstützung. So etwas gehört natürlich nicht formal zur Personalentwicklung. Es entspringt dem, was ich als Bedarf unter den Promovierenden wahrgenommen habe, ganz besonders, weil viele pandemiebedingt von Freunden und ihren Familien isoliert leben müssen.