Mann zeichnet Treppe
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Befristungen
Kaum Besserung für Forscher-Nachwuchs

Das BMBF hat den Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 vorgestellt. Die Lage für junge Wissenschaftler bleibt angespannt.

19.02.2021

Die Karriere an einer Hochschule ist für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiterhin schwierig. Zwar steigen die Beschäftigtenzahlen im Mittelbau, die Befristung der Verträge bleibt aber der Hauptgrund für einen Berufswechsel und eine aufgeschobene Familienplanung. Das geht aus dem aktuellen Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 (BuWiN) hervor, den das BMBF am Freitag vorgestellt hat.

Knapp 168.000 Personen waren 2018 hauptberuflich als wissenschaftliches oder künstlerisches Personal an Hochschulen tätig. Gegenüber 2005 ist diese Zahl um zwei Drittel gestiegen. Die Zahl der Universitätsprofessuren ist hingegen nur um 17 Prozent auf rund 27.500 Stellen gestiegen. Bezogen auf die Qualifikationsstufe waren knapp 174.000 Promovierende, 282.000 Promovierte, rund 5.100 Personen mit laufendem Habilitationsverfahren, rund 1.200 Nachwuchsgruppenleitungen sowie rund 1.600 Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren in der Wissenschaft tätig. Zudem gab es 519 Tenure-Track-Professuren an deutschen Hochschulen. Dieser Karriereweg etabliere sich langsam, die Habilitation sei jedoch weiterhin üblich.

Zum Erhebungszeitpunkt waren 92 Prozent des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an Hochschulen befristet beschäftigt. Daran hat sich seit 2010 kaum etwas verändert und betrifft gleichermaßen Männer und Frauen und alle Fächer. Die Befristungsquote ist bei Personen unter 35 Jahren höher (98 Prozent) als bei Personen zwischen 35 und 45 Jahren (77 Prozent). Die durchschnittliche Vertragslaufzeit von Promovierenden liegt bei 22 Monaten, bei Postdocs bei 28 Monaten. Die durchschnittliche Promotionsdauer beträgt 4,7 Jahre.

Da die Promotionsdauer länger sei als die Vertragsdauer, sei diese offensichtlich zu kurz, sagte Karl Ulrich Mayer, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats, der die Autorinnen und Autoren des Berichts beraten hat. Verbessert habe sich hingegen die Betreuung der Promovierenden. Inzwischen haben laut Bericht drei Viertel der Promovierenden eine Betreuungs- oder Promotionsvereinbarung abgeschlossen. Das ermögliche einerseits eine verlässlichere Erhebung der Promotionen und gebe den Promovierenden zudem Sicherheit, sagte Mayer bei der Vorstellung des Berichts. Im Schnitt betreue ein Professor oder eine Professorin sieben Doktoranden und treffe diese meist mehrmals im Semester. Auch dort sieht Mayer noch Luft nach oben.

Promotion mit 104 Jahren

Lucio "Chiquito" Caicedo dürfte die durchschnittliche Promotionsdauer wohl eher als kurz bewerten. Der 104-jährige Kolumbianer arbeitete über 30 Jahre hinweg mehr oder weniger an seiner Doktorarbeit. Diese beschäftigte sich mit der Frage, wieviel Wasser einem Fluss entnommen werden kann, ohne die Umwelt zu schädigen. Jetzt hat Caicedo seine Dissertation abgegeben, meldete "University World News" vergangenen Freitag.

Mathematische Probleme kosteten den Langzeit-Promovenden offenbar Zeit. Aber es wollten von ihm eben auch noch diverse Unternehmen gegründet und geführt werden. So verrannen die Jahre – und wenn der Lockdown nicht gekommen wäre, müsste die University Manchester womöglich noch heute auf die Dissertation ihres Absolventen warten.

"He admits the COVID-19 lockdown allowed him to focus solely on his research", heißt es in dem Beitrag. Mit der Abgabe der Arbeit ist Caicedo eine Sorge los und hat die nächste auch schon am Bein: "The last time I submitted something, it took 25 months for the subject discussion, and I had to write around 170 emails clarifying my points of views." So long.

Mit durchschnittlich 31 Jahren schließen die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler die Promotion ab. Die Juniorprofessur erreichen sie im Schnitt mit 35,2 Jahren, eine W2-Neuberufung mit über 41,7 Jahren und eine W3-Neuberufung mit über 43,2 Jahren. Im Vergleich zum letzten Bericht von 2017 hat sich das Berufungsalter nach Stufen dabei kaum verändert. Mayer zufolge muss sich das ändern: Er bezeichnete insbesondere die Postdoc-Zeit zwischen Promotion und Juniorprofessur als zu lang und überflüssig.

Wissenschaftliche Karrierewege nicht familienfreundlich

Er warnte zudem vor einem zu erwartenden verschärften Wettbewerb innerhalb des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Corona-Pandemie führe zu Verlängerungen von Promotionen und Forschungsprojekten und erhöhe dadurch insgesamt das wissenschaftliche Personal, dass auf eine begrenzte Anzahl an Professuren dränge.

Dem Bericht zufolge bleibt aber ohnehin nur jeder Fünfte nach der Promotion an einer Hochschule oder Forschungseinrichtung. Jeder dritte Promovierte wechselt stattdessen in den öffentlichen Dienst, die übrigen in die Wirtschaft.

Die Wahrscheinlichkeit, eine Promotion zu beginnen, ist bei Frauen geringer als bei Männern und bei Personen mit Kindern geringer als bei Kinderlosen. Zudem gründen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler nach wie vor seltener eine Familie als altersgleiche Hochschulabsolventen, die außerhalb der Wissenschaft beschäftigt sind. Zentrale Gründe dafür seien berufliche Unsicherheiten, mangelnde Vereinbarkeit und eine geringe finanzielle Sicherheit, weshalb bestehende Kinderwünsche – zumindest während der Promotionszeit – nicht realisiert würden.

Die sogenannte "Leaky-Pipeline", wonach mit jeder Karrierestufe in der Wissenschaft der Frauenanteil sinkt, besteht laut Bericht weiter. Der Frauenanteil habe sich aber in allen Gruppen über die Jahre sukzessive erhöht.

"Nachwuchs" unpassende Bezeichnung

Der BuWiN wird seit 2008 einmal pro Legislaturperiode von einem unabhängigen wissenschaftlichen Konsortium erstellt. Er beruht auf Statistiken und Längsschnittstudien zu Karrierewegen, Beschäftigungsbedingungen und Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses. Im aktuellen Bericht wurden diese Methoden verbessert und liefern daher verlässlichere Daten als die vorherigen Berichte.

Der umstrittene Begriff des "wissenschaftlichen Nachwuchses" umfasst im aktuellen Bericht wissenschaftlich tätige Promovierende oder Promovierte sowie wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis 45 Jahren ohne Professuren. Die brandenburgische Forschungsministerin Dr. Manja Schüle kritisierte den Begriff. Er suggeriere, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerinnen "noch nicht fertig" seien, obwohl sie systemrelevante Aufgaben innerhalb des Wissenschaftsbetriebs übernähmen. Der Verweis, sie befänden sich in einer Qualifikationsphase, rechtfertige keine prekären Arbeitsbedingungen. "Wenn selbst Juniorprofessoren und Wissenschaftler mit zahlreichen Publikationen zum Nachwuchs zählen, läuft etwas falsch", sagte sie bei der Vorstellung des BuWiN. Für den nächsten Bericht wünscht sie sich eine andere Bezeichnung.

ckr