Ein Mann zieht ein überdimensionales Sparschwein an einem Seil eine Klippe rauf
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Forschungsförderung
Kein Geld für Querdenker?

Wissenschaftler mit Forschungsvorhaben abseits des Mainstreams finden oft nur schwer eine Förderung. Auf welche Töpfe können sie zurückgreifen?

Von Katrin Schmermund Ausgabe 7/17

Volker Busskamp forscht zwischen drei Disziplinen. Er setzt auf methodische Kombinationen, von denen andere die Finger lassen, und er leitet ein kleines Forschungsteam, was ihm die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2013 nicht zugetraut hatte.

Der promovierte Neurowissenschaftler hat ein klares Ziel vor Augen: Er will durch die Forschung an der Schnittstelle zwischen Neurobiologie, Stammzellforschung und Bioingenieurwissenschaften bessere Behandlungsmöglichkeiten für neurogenerative Erkrankungen wie Alzheimer entwickeln. Daran arbeitet er mit seinem Projektteam am DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien (CRTD) an der TU Dresden. Finanziert wird dies über ein Freigeist-Fellowship der VolkswagenStiftung.

Hohes Sicherheitsdenken behindert wissenschaftlichen Nachwuchs

"Zuerst hatte ich mich für das Emmy Noether-Programm der DFG beworben", sagt Volker Busskamp. "Aber da habe ich eine Absage bekommen, weil die DFG meine Führungseigenschaften als unzureichend und mein Forschungsvorhaben als zu komplex und ambitioniert einschätzte." Seine Gründe für die Bewerbung bei der DFG waren pragmatisch: Je nach Bewilligung kann das Budget höher sein als das des Freigeist-Fellowships. "Die eine Million Euro, die ich von der VolkswagenStiftung für fünf Jahre erhalten habe, klingen zwar erst einmal viel, aber in der experimentellen Forschung der Naturwissenschaften ist das Geld ganz schön schnell weg – vor allem, weil auch wissenschaftliche Mitarbeiter und Hilfskräfte davon bezahlt werden müssen."

Nach der Absage der DFG hat Volker Busskamp sein Konzept für die Bewerbung bei der VolkswagenStiftung konkretisiert. Das hohe "Sicherheitsdenken" in der deutschen Forschungsförderung mache ihn aber immer noch nachdenklich. "Viele Geldgeber betonen zwar, sie suchten 'riskante' Projekte. Doch was gefördert wird, ist oft totaler Mainstream und arg konventionell angelegt", findet Volker Busskamp.

Tatsächlich risikoreiche und auch interdisziplinäre Forschung werde nur selten unterstützt – vor allem, wenn einiges an Fördermitteln benötigt werde. Bei der VolkswagenStiftung sei das anders. Den Gutachtern sei vor allem wichtig gewesen, dass die Forscher für ihre Ideen brennen und das Können dafür mitbringen, alles dafür zu tun, dass ihr Vorhaben gelingt, oder ein alternatives Vorgehen entwickeln können, falls es doch nicht klappen sollte.

"Wir wollen ermöglichen, dass junge Wissenschaftler mit unkonventionellen und kreativen Ideen ihr eigenes Forschungsprofil entwickeln können", erklärt Dr. Johanna Brumberg, Förderreferentin bei der VolkswagenStiftung. "Dabei haben wir natürlich mehr Freiheiten als öffentliche Geldgeber." Die signalisierten Freiheiten sind jedoch mit hohen Erwartungen an die Qualifikation der Fellows verbunden. Die Anzahl der Auserwählten ist mit aktuell 30 Freigeist-Fellows gering.

Zunehmendes Interesse an risikoreicher Forschung

"Die Förderung außergewöhnlicher und risikoreicher Forschungsvorhaben von Nachwuchswissenschaftlern ist tatsächlich ein Nischenthema", sagt Professor Georg Krücken, Direktor des International Centre for Higher Education Research (INCHER) an der Universität Kassel. Dabei seien immer mehr von ihnen an einer entsprechenden Förderung interessiert, betont Dr. Gero Bornefeld, der an der RWTH Aachen Wissenschaftler in der Forschungsförderung berät. Unabhängig voneinander befragt, nennen beide das Freigeist-Fellowship als beste Fördermöglichkeit. Darüber hinaus sei die Möglichkeit, sich über das gleichnamige Programm der DFG die Eigene Stelle einzuwerben für Promovierte eine sehr gute Chance, um ein außergewöhnlicheres Forschungsvorhaben zu realisieren, sagt Georg Krücken.

Gero Bornefeld nennt darüber hinaus die vergleichsweise kleinen Förderinitiativen der VolkswagenStiftung: "Offen – für Außergewöhnliches" und "Experiment! – Auf der Suche nach gewagten Forschungsideen", wobei sich die zweite nur an Natur-, Ingenieur- und Lebenswissenschaftler richtet.

Weiterhin seien hochschulinterne Initiativen eine Option, sagt er mit Verweis auf das Programm "Exploratory Research Space (ERS)" der RWTH Aachen. Die Geldsumme sei jedoch in der Regel vergleichsweise gering und könne nur als Anschubfinanzierung gelten.

Reinhart-Koselleck Projekte für erfahrene Forscher

Für "etablierte und renommierte" Forscher gibt es nach Ansicht von Georg Krücken mehr Spielräume, etwa mit einer Förderung über die Reinhart-Koselleck Projekte der DFG. Das Angebot richtet sich an "berufene beziehungsweise berufbare" Wissenschaftler mit „besonders innovativen oder im positiven Sinne risikobehafteten“ Projekten. Die Fördersumme liegt zwischen 500.000 und 1,25 Millionen Euro für fünf Jahre.

"Die Koselleck-Projekte sind ein enormer Vertrauensvorschuss, der verdient sein will", erklärte der ehemalige DFG-Präsident Matthias Kleiner in einem Artikel der DFG von 2009. Laut Ausschreibung verdienen sich Wissenschaftler diesen durch einen "herausragenden wissenschaftlichen Lebenslauf".

In Baden-Württemberg gibt es seit 2016 den Preis für mutige Wissenschaft. 30.000 Euro können Wissenschaftler erhalten, die "entgegen den Erwartungen der Peers Erfolge erzielt, sich auf ihrem Weg gegen Widerstände durchgesetzt, oder neue Erkenntnisse ermöglicht haben, weil sie an Vorarbeiten anknüpfen, die produktiv 'gescheitert' sind". Für einen Preis wie diesen müssen Wissenschaftler jedoch vorher erst einmal die Möglichkeit gehabt haben, ihre Forschung zu finanzieren.

Auf Bundesebene gebe es keine Förderprogramme mit einem spezifischen Label, sagt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Das bedeute aber nicht, dass innovative Projekte nicht gefördert würden. Es sei schlicht ein Auswahlkriterium bei allen Bewerbungen und werde nicht im Namen genannt. Für den Berater Gero Bornefeld hat das jedoch zur Folge, dass die Programme für ihn nicht als solche "sichtbar" seien.

EU-Förderung als Option

Außerhalb der deutschen Förderlandschaft nutzen immer mehr Wissenschaftler eine Förderung über den Europäischen Forschungsrat (ERC). "Er finanziert grundlagenorientierte Wissenschaft und ist für Forscher mit risikoreichen Vorhaben eine gute Adresse", sagt Gero Bornefeld. Seit 2007 hat das EU-Instrument 13 Milliarden Euro für mehr als 7.000 Projekte in Europa ausgeschüttet. Einen Freifahrtschein gibt es aber auch hier nicht. Die Erfolgsquote liegt bei rund zehn Prozent.

Wenn die Gutachter einen Projektantrag für schlecht halten, droht eine Antragssperre von bis zu zwei Jahren. Unterstützt werden laut eines Sprechers die "innovativsten, gewagtesten Ideen", die "risikoreiche 'blue sky'-Forschung". Das dahinterstehende Credo: "high-risk, high-gain". Also kein Geld ohne Gewinn?

"Schon vor Beginn müssen Wissenschaftler den Nutzen ihrer Forschung aufzeigen – und dabei geht es neben dem wissenschaftlichen unter anderem auch um den wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Nutzen", sagt Georg Krücken. "Das führt zu Zielkonflikten, die qualitativ hochwertiger Forschung abträglich sind." Gero Bornefeld sieht das differenzierter: "Das Ergebnis muss – und kann – nicht immer der konkrete Technologiesprung sein", sagt er. Wichtig sei allerdings, "den Gutachtern zu vermitteln, dass man eine klare Vorstellung vom Ergebnis und davon hat, welchen gesellschaftlichen Nutzen es haben könnte."

Volker Busskamp erhält mittlerweile zusätzliche Gelder über ein ERC-Projekt. Beworben hat er sich aber erst, nachdem er ein Jahr als Freigeist geforscht hatte. Ansonsten hätte er – auch wegen seiner zu geringen Anzahl an publizierten Artikeln während der Postdoc-Phase – keine Chance gehabt.

Weniger Risikofreude durch Peer-Review-Prozess

Für jüngere Wissenschaftler hängt nichts weniger als ihre Karriere von ihren ersten Forschungsentscheidungen ab. Schließlich müssen es ihre Studien in die peer-reviewed Journals schaffen. Das Problem: "In den Gremien sitzen je nach Fachbereich oftmals dieselben renommierten Gutachter, die herrschende Lehrmeinungen vertreten", sagt Georg Krücken.

"Ich muss zugeben, dass auch ich jungen Wissenschaftlern an meinem Institut rate, ein nicht zu hohes Risiko einzugehen." Gero Bornefeld empfiehlt, sich auf jeden Fall einmal um eine reguläre Förderung über die DFG zu bemühen. "Damit haben Wissenschaftler auch einen Vorteil bei einer späteren Bewerbung über den ERC."

Über Fördermöglichkeiten informieren könnten sich Wissenschaftler etwa direkt über die Förderorganisationen, die Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen (KoWi) oder die Nationalen Kontaktstellen, sagt Gero Bornefeld. "Als Wegweiser durch den Förderdschungel sind neben dem Web sicherlich die Förderberatungen an den Hochschulen ein sehr sinnvoller Startpunkt für die Recherche."

Professoren sollten Drittmittel überlegt einwerben

Doch nicht immer sind Drittmittel notwendig: "Professoren könnten oftmals auf hohem Niveau forschen, ohne dafür Drittmittel einzuwerben", sagt etwa Georg Krücken. Das gelte insbesondere für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Bei Naturwissenschaftlern sei es anders. "Sie können den Großteil der Forschung nicht ohne personelle und materielle Ressourcen durchführen, die über die Grundfinanzierung hinausgehen."

Grundsätzlich gelte aber, dass Zeit und Konzentration wichtiger als Drittmittel seien. "Es wäre interessant zu wissen, ob Luhmann oder Koselleck so wegweisende Theorien hätten entwickeln können, wenn sie sich schon über größere Drittmittelvorhaben finanziert hätten, denn deren Leitung kostet viel Zeit, die von der Arbeit in 'Einsamkeit und Freiheit' abgeht", sagt Georg Krücken.

Er plädiert für mehr Professuren, um auch Nachwuchswissenschaftler unabhängiger zu machen. Dabei denke er nicht an Tenure-Track-Stellen. "Schon während meiner Forschungszeit in den USA habe ich die Erfahrung gemacht, dass die damit verbundenen regelmäßigen Evaluationen eher dazu führen, dass im Mainstream geforscht wird, weil Wissenschaftler ständig greifbare Ergebnisse vorlegen müssen."

Deutschland im internatio­nalen Vergleich

In der außergewöhnlichen Forschung ist Deutschland laut Georg Krücken aber insgesamt besser aufgestellt als andere Länder. Zwar käme gerade in den Ingenieur- und Naturwissenschaften viel Geld aus der Industrie, was die Forschungsfreiheit aufgrund wirtschaftlicher Interessen "an der einen oder anderen Stelle" einschränke. "Insgesamt ist der Druck, wirtschaftlich nutzbare Ergebnisse zu erzielen, in Deutschland aber geringer als in anderen Ländern."

Förderinitiativen für risikoreiche Forschung

Eigene Stelle, Deutsche Forschungsgemeinschaft
Freigeist-Fellowships, VolkswagenStiftung
Preis für mutige Wissenschaft, MWK Baden-Württemberg
Reinhart Koselleck-Projekte, Deutsche Forschungsgemeinschaft