

Nobelpreise 2024
Medizin-Nobelpreis für Rollenklärung der microRNA
Die Nobelversammlung am Karolinska Institutet vergibt den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2024 an die US-amerikanischen Forscher Professor Victor Ambros und Professor Gary Ruvkun für die Entdeckung der microRNA und ihrer Rolle bei der Genregulation.
Die beiden Molekularbiologen interessieren sich für die Entwicklung verschiedener Zelltypen und haben so microRNA entdeckt – eine neue Klasse winziger RNA-Moleküle, die eine entscheidende Rolle bei der Genregulation spielen. Dies erläuterte Thomas Perlmann, Generalsekretär des Nobelpreis-Komitees am späten Vormittag des 7. Oktober am Karolinska Institut in Stockholm. Ambros (70) arbeitet an der University of Massachusetts Medical School, Gary Ruvkun (72) an der Harvard Medical School sowie am Massaschusetts General Hospital.
Ihre bahnbrechende Entdeckung der Rolle von microRNA enthülle ein völlig neues Prinzip der Genregulation, das sich für mehrzellige Organismen, einschließlich des Menschen, als wesentlich erweise: Regulatorische microRNAs kontrollieren post-transkriptional die Übersetzung (Translation) und den den Abbau von mRNA im Zytoplasma. Dank ihrer Grundlagenforschung wisse man inzwischen, dass das menschliche Genom über Tausend microRNAs kodiert und diese grundlegend wichtig für die Entwicklung und Funktion von Organismen seien.
Rätseln um Genmutationen beim Spulwurm
Victor Ambros und Gary Ruvkun waren während ihrer Postdoc-Phase im selben Labor tätig und haben danach unabhängig voneinander im selben Feld der Genmutation weitergeforscht, wie Perlmann in seiner Bekanntgabe erläuterte. Erst deutlich später hätten sie sich wieder über ihre Erkenntnisse ausgetauscht. Sie hätten unabhängig voneinander mutierte Spulwurmstämme untersucht, die Defekte im Aktivierungszeitpunkt genetischer Programme aufwiesen.
Die beiden Preisträger hätten ihre Forschung verglichen, was nach der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse 1993 in zwei Artikeln in der Zeitschrift "Cell" laut Angaben des Nobelpreis-Komitees zunächst wenig Resonanz hervorgerufen habe. Erst als im Jahr 2000 Ruvkuns Forschungsgruppe die Entdeckung einer weiteren microRNA veröffentlichte und die Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf den menschlichen Organismus verdeutlicht habe, hätten Forschende in den folgenden Jahren Hunderte verschiedener microRNAs identifiziert.
Heute wisse man, dass die Genregulation durch microRNA bei mehrzelligen Organismen universell sei. Diese Grundlagenforschung könne laut Professor Olle Kämpe, Vize-Vorsitzender des Nobelpreis-Komitees, zukünftig wichtige Behandlungsmöglichkeiten beispielsweise bei Krebserkrankungen eröffnen.
Die Medizin-Nobelpreise der letzten fünf Jahre
2023: Die Biochemikerin Professorin Katalin Karikó (Ungarn) und der Mediziner PhD Drew Weissman (USA) wurden für ihre Grundlagenforschung zu mRNA-Impfstoffen geehrt. Damit konnte die COVID-Pandemie effektiv bekämpft werden.
2022: Svante Pääbo (Schweden) erhielt die Auszeichnung für seine Forschung zur menschlichen Evolution. Der in Leipzig tätige Wissenschaftler war der erste, der das Neandertaler-Genom entschlüsselte und gilt als Begründer der Paläogenetik.
2021: David Julius (USA) und der im Libanon geborene US-Forscher Ardem Patapoutian, die Zellrezeptoren entdeckt hatten, über die Menschen Temperaturen und Berührungen wahrnehmen.
2020: Harvey J. Alter (USA), Michael Houghton (Großbritannien) und Charles M. Rice (USA), die maßgeblich zur Entdeckung des Hepatitis-C-Virus beigetragen hatten.
2019: William Kaelin (USA), Peter Ratcliffe (Großbritannien) und Gregg Semenza (USA). Sie hatten herausgefunden, wie Zellen den Sauerstoffgehalt wahrnehmen und sich daran anpassen.
Seit der ersten Auszeichnung im Jahr 1901 wurden insgesamt 227 Menschen mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet, darunter 13 Frauen. Im vergangenen Jahr war er an die in Ungarn geborene Biochemikerin Katalin Karikó und den US-Immunologen Drew Weissman gegangen. Sie erhielten ihn für ihre Grundlagenarbeit an der mRNA-Technologie, die die rasante Entwicklung von Corona-Impfstoffen ermöglicht hat.
Preis für Lösungen in einer Welt mit vielen Herausforderungen
Die Nobelpreise sollen laut Nobels Testament diejenigen ehren, die der Menschheit in den einzelnen Kategorien im vorangegangenen Jahr den größten Nutzen erwiesen haben. Gerade in den Wissenschaftskategorien kommt es häufig vor, dass mehrere Preisträgerinnen und Preisträger gemeinsam geehrt werden, die zum Beispiel zum selben Themenfeld geforscht haben.
"Der Nobelpreis spielt eine zunehmend wichtige Rolle in der heutigen Welt, indem er viele der Probleme anspricht, denen Gemeinschaften begegnen, etwa die Leugnung der Wissenschaft, Menschenrechtsverletzungen und Desinformation auf vielen Ebenen", sagt die kommissarische Leiterin der Nobelstiftung, Anna Sjöström Douagi im Interview mit der Deutschen Presseagentur. Als ein Beispiel nennt sie den Medizin-Nobelpreis für Karikó und Weissman, deren Arbeit die rasend schnelle Impfstoffentwicklung in der Corona-Pandemie ermöglicht hatte. "Der Preis ist somit eine Kraft für das Gute", sagt Sjöström Douagi. Immer wieder unterstreiche er die Bedeutung von freier Wissenschaft, freier Meinungsäußerung, freien Gesellschaften und dem freien Austausch über Grenzen hinweg – alles Dinge, die die Welt dringend brauche.
Ausblick auf die Nobelpreiswoche
Mit der Bekanntgabe in der Preiskategorie Physiologie oder Medizin wird traditionell die Nobelpreis-Saison eingeläutet. Am Dienstag und Mittwoch werden die Preisträgerinnen und Preisträger in den Kategorien Physik und Chemie auserkoren, ehe am Donnerstag der Literaturnobelpreis folgt. Am Freitag wird der Friedensnobelpreis in Oslo vergeben. Zum Abschluss folgt Anfang kommender Woche der Nobelpreis in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften. Diese Auszeichnung geht nicht auf das Testament des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896) zurück, sondern wird im Gedenken an ihn von der schwedischen Reichsbank gestiftet.
Feierlich überreicht werden alle Nobelpreise traditionell an Nobels Todestag am 10. Dezember. Dotiert sind die Auszeichnungen in diesem Jahr erneut mit elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 970.000 Euro) pro Kategorie. Teilen sich zwei Ausgezeichnete die Ehrung, wird dieses Preisgeld unter ihnen aufgeteilt.
cva/dpa