Das Bild zeigt eine Hängematte in einem Birkenwald.
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Ferienzeit
Plädoyer für eine "echte" Pause

Viele Forschende nutzen die Semesterpause, um sich ganz in ihre wissenschaftliche Arbeit zu vertiefen. Nicht zu kurz kommen sollten Erholungsphasen.

Von Henrike Schwab 26.07.2024

Obwohl Erholungsphasen bekanntermaßen so wichtig sind, kommen sie im Alltag oft zu kurz. Dr. Isabella Helmreich vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung betont: "Man sollte sich immer wieder klar machen, dass der Mensch nicht für einen permanenten Hochleistungsmodus gemacht ist. Unvollständige Erholung gilt als Risikofaktor für erhöhtes Stresserleben und kardiovaskuläre Mortalität." Dr. Stefan Poppelreuter, Experte für das Thema Arbeitssucht, stimmt zu: "Wir brauchen dieses Wechselverhältnis von Phasen, in denen wir körperlich und im Wissenschaftsbetrieb vor allen Dingen auch geistig auf der Höhe sind und Leistung bringen, und Erholungsphasen für Körper und Seele, wo man sich anderen Dingen zuwendet, wo man den Körper vielleicht auch mal anderen Belastungen aussetzt.“ 

Erholung lasse sich dann auch physiologisch nachweisen: Stresshormone seien weniger nachweisbar im Blut, die Herzfrequenz und das allgemeine Wohlbefinden veränderten sich. Die Urlaubsdauer sei für den Erholungseffekt weniger entscheidend, so Helmreich, solange sie mindestens eine Woche betrage.

Von "Balkonien" bis zu Mastery-Erlebnissen

Das, was als erholsam erlebt werde, sei dabei individuell sehr unterschiedlich: "Der eine ruht sich am besten gemütlich zu Hause auf 'Balkonien' aus und trifft Freunde, der nächste braucht den klassischen Strandurlaub oder will sich einfach in einem Hotel verwöhnen lassen und andere wiederum lieben Städtetrips oder können nur durch Mastery-Erlebnisse wie zum Beispiel Bike- oder Klettertouren, Rucksackreisen in fremde Länder oder durch soziales Engagement in der nahen oder weiten Welt abschalten", sagt Helmreich. Auch Poppelreuter hebt hervor, dass Erholung in erster Linie bedeute, etwas anderes zu tun als sonst: "Bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern könnte das zum Beispiel bedeuten, sich viel zu bewegen statt viel zu sitzen, vielleicht auch mehr zu schlafen, als man das üblicherweise tut, mehr an einem Ort und nicht nur ständig unterwegs zu sein, zur Ruhe zu kommen."

Ein "Tapetenwechsel" ist also nicht zwingend erforderlich, um Erholung zu finden. Dennoch könne der räumliche Abstand hilfreich sein, so Poppelreuter: "Das, was wir tun und in unserem Setting erfahren, prägt natürlich unsere Sicht. Es wäre wünschenswert, immer mal wieder über diesen Tellerrand hinauszuschauen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es heutzutage immer weniger vergönnt, Universalgelehrte zu sein, so wie das früher einmal war. Stattdessen spezialisiert man sich immer mehr, was zu eingeschränkter Perspektivenvielfalt führen kann. Sich anderen Dingen, anderen Personen, anderen Kulturen, anderen Erfahrungen gegenüber zu öffnen, kann also eine sehr sinnvolle Pause darstellen." 

"Sich anderen Dingen, anderen Personen, anderen Kulturen, anderen Erfahrungen gegenüber zu öffnen, kann eine sehr sinnvolle Pause darstellen."

Dr. Stefan Poppelreuter

Eine solche Pause könne auch kreative Prozesse in Gang setzen: "Es ist vielfach dokumentiert, dass gerade die Pause den Rahmen schaffen kann, um auf die Lösung eines Problems zu kommen oder eine Perspektive für die Beantwortung einer Fragestellung zu erhalten. Diese Form der Abwechslung ist natürlich keine Garantie, aber doch eine Chance für einen kreativen Prozess."

Dass es bei intrinsisch motivierten Menschen auch im Urlaub "weiterarbeitet", findet Poppelreuter entsprechend ganz normal. Man müsse sich nicht vollständig von den zu Hause wartenden Aufgaben abschotten. Zwischendurch einmal einen Blick in die E-Mails zu werfen oder eine anstehende Entscheidung zu treffen, könne auch beruhigen – und entlasten: "Es ist ja oft so, dass die Woche vor und die Woche nach dem Urlaub richtig schlimm sind. Weil man noch alles fertig bekommen will, um in Ruhe in den Urlaub gehen zu können, und danach von den angestauten Dingen erschlagen wird."

"Wir sollten uns selbst immer wichtig genug nehmen, uns diese Zeit zu gönnen."

Dr. Isabella Helmreich

Frisch zurück aus dem Urlaub, steige die Stressbelastung dann gleich wieder an. "Leider verfliegt der Urlaubseffekt schnell wieder", sagt auch Helmreich, "schon nach wenigen Wochen ist man wieder auf dem Vorurlaubsniveau. Deswegen hat das Sprichwort 'Nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub' ganz seine Berechtigung." Es könne jedoch helfen, ein Stück weit aus der Erinnerung heraus zu leben, so Poppelreuter. Steine, Muscheln, Pflanzen oder Fotos auf dem Schreibtisch könnten Erinnerungen an besondere Momente auslösen. "Diese schönen Augenblicke trage ich dann mit in meinen Alltag hinein – so können sie auch noch nachträglich Wirkung entfachen."

Noch wichtiger sei es allerdings, kleine Pausen im Alltag zu suchen. Der Körper benötige regenerative Phasen auch über den Tag, die Woche, den Monat hinweg, betont Poppelreuter. Erholung auf den Urlaub zu verschieben, würde zu höheren Abnutzungserscheinungen oder höheren Einschränkungen von Kreativität führen. Auch Helmreich stellt fest, dass Pausen aktiv in den Alltag einzubauen seien – und zwar vor, während und nach der Arbeit. "Wir sollten uns selbst immer wichtig genug nehmen, uns diese Zeit zu gönnen", so Helmreich. Erholung passiere nämlich nicht automatisch.

Resilienz

In Kürze erscheint mit "Resilienz – die Kunst der Widerstandskraft. Was uns stark macht in der Krise" ein neues Buch zum Thema von Isabella Helmreich, Donya Gilan und Omar Hahad. Es gibt einen Überblick über die Geschichte der Resilienzforschung und vermittelt Basiswissen zu verschiedenen Aspekten der Resilienz.