Berufungsverfahren
So können Wissenschaftler beim "Vorsingen" überzeugen
Der akademische Probevortrag und das anschließende Gespräch mit der Berufungskommission hat aufgrund der Relevanz für den Auswahlprozess eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Jährlich werden in Deutschland rund 1.500 Universitätsprofessuren ausgeschrieben. Geht man von sechs eingeladenen Bewerberinnen und Bewerbern aus, führt dies zu einer statistischen Annahme von rund 9.000 jährlichen Probevorträgen an deutschen Universitäten.
Der organisatorische Aufwand im Hinblick auf die Vor- und Nachbereitung von Probevorträgen für die jeweiligen Berufungskommissionen ist gewaltig. Dies gilt aber auch und gerade für die Bedeutung des Probevortrages im jeweiligen Auswahlprozess der Berufungskommission. Wenngleich die Berufung auf eine Universitätsprofessur nach aktueller Rechtslage durch die jeweilige Hochschulleitung auf Vorschlag des Fachbereichsrats erfolgt, wird deutlich, dass gerade ein gelungener Probevortrag den Ausschlag für die Besetzung einer Professur geben kann. Welche Dos und Don’ts sind demzufolge konkret zu beachten?
Berufungsordnung: Prinzip der Bestenauslese
Obwohl von den Landeshochschulgesetzen nicht geregelt, geben die auf gesetzlicher Grundlage erlassenen Berufungsordnungen eine ausreichende Rechtsgrundlage, um wesentliche Entscheidungen des Berufungsverfahrens der Berufungskommission zu überantworten. Diese Berufungskommission hat sich im Hinblick auf den Listenvorschlag an dem Prinzip der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG zu orientieren.
Wer ist also die oder der Bestgeeignete für die ausgeschriebene Universitätsprofessur? Als Kriterien sind die fachliche, didaktische, aber auch persönliche Eignung heranzuziehen. Die Berufungskommission stellt sich diesen Fragen in einem komplexen Auswahlverfahren. Kernbestandteil dieses Verfahrens ist, neben der Vorauswahl der einzuladenden Kandidatinnen und Kandidaten nach Prüfung der konkreten Bewerbungsunterlagen, die Vorbereitung der Probevorträge sowie des anschließenden Gesprächs mit der Berufungskommission.
Landeshochschulrechtlich ist zumeist vorgesehen, dass die vom Fachbereichsrat verabschiedete Dreierliste zur Besetzung einer Universitätsprofessur mit externen und zumeist auch vergleichenden Gutachten versehen werden soll. Die Berufungskommission wird erfahrungsgemäß allerdings nur von den besten vier oder fünf Kandidatinnen und Kandidaten nach den Probevorträgen und den internen Gesprächen mit der Berufungskommission Gutachten einholen.
Gerade der Probevortrag hat insoweit eine weitere entscheidende Auswahlfunktion für die Berufungskommission. Eine exzellente und umfassende Vorbereitung auf den Probevortrag stellt sich damit als conditio sine qua non für alle Bewerberinnen und Bewerber dar. Häufig finden sich hier in der Praxis Fehler. Denn der Probevortrag unterscheidet sich von anderen Vortragsformen, insbesondere wissenschaftlichen Kongressvorträgen, erheblich. Zu Recht wird der Probevortrag als eine Vortragsform sui generis bezeichnet.
Verständlicher Ausblick auf wissenschaftliche Tätigkeit
In der Praxis vieler Berufungsverfahren ist festzustellen, dass Bewerberinnen und Bewerber trotz scheinbar nicht optimaler "Papierform" von der Berufungskommission dennoch bei der Aufstellung der Berufungsliste berücksichtigt werden. Zugleich gelingt es wissenschaftlich starken Kandidatinnen und Kandidaten nicht, im Probevortrag zu überzeugen. Hintergrund ist oftmals der Umstand, dass vielen Bewerberinnen und Bewerbern die strukturellen Besonderheiten eines Probevortrags nicht hinreichend geläufig sind. Denn bei einem Probevortrag handelt es sich weder um einen wissenschaftlichen Vortrag noch um eine Lehrveranstaltung. Im Regelfall wird der Probevortrag als "Compositum Mixtum" aufzufassen sein.
Im Rahmen eines – klassischerweise – 20minütigen Probevortrags sollte zwingend darauf geachtet werden, zu Beginn sämtliche Mitglieder der Berufungskommission sowie die anderen Anwesenden (hier gilt es zu berücksichtigen, dass Probevorträge hochschulöffentlich sind) in die Thematik einzuführen und den Vortrag mit einem verständlichen Ausblick auf die wissenschaftlichen Perspektiven des jeweiligen Referenten und des Fachs vor Ort zu beschließen. Relevant ist dabei ein niedrigschwelliger Ansatz.
"Neben den inhaltlichen Besonderheiten des Probevortrags kommt es darauf an, die Zeitvorgabe der Berufungskommission tunlichst einzuhalten."
Ungeachtet dessen müssen die Bewerberinnen und Bewerber selbstverständlich ihre konkreten Forschungsvorhaben (zumeist eine Auswahl) erläutern. Als Richtschnur für das Verhältnis von allgemein verständlichen zu wissenschaftsspezifischen Themen wird das Verhältnis von 30/70 fungieren können. In naturwissenschaftlichen Fächern, dies trifft insbesondere in der Medizin zu, wird es den Vortragenden regelmäßig gestattet, das Thema des Probevortrags selbst festzulegen.
Demgegenüber ist die Festsetzung des Themas des Probevortrags in geisteswissenschaftlichen Fächern durch die Berufungskommission vielfach der Regelfall. Unabhängig davon sollte versucht werden, Überschneidungen der Vortragsthemen mit denen anderer Bewerberinnen und Bewerber zu vermeiden. Denn auch der Inhalt des Probevortrags sollte ein Alleinstellungsmerkmal darstellen. Kommt es zu inhaltlichen Überschneidungen, ist zu empfehlen, die persönlichen Perspektiven in der Forschung herauszustreichen. Grundsätzlich ist anzuraten, im Rahmen des Probevortrags die eigenständige wissenschaftliche Vita darzustellen und nicht einen Vortrag über Forschungsergebnisse im Fach zu halten.
Neben diesen inhaltlichen Besonderheiten des Probevortrags kommt es zudem darauf an, die Zeitvorgabe der Berufungskommission tunlichst einzuhalten. Wenig souverän wären in diesem Kontext insbesondere zu lange, aber auch zu kurze Probevorträge.
Aufbrechen des klassischen Vortragsformats
Neben diesem klassischen Probevortrag sind in der Vergangenheit auch verschiedentlich einige Neuerungen festzustellen. Zu verzeichnen ist hierbei insbesondere das Aufbrechen des klassischen 20-Minuten Formats durch die Etablierung von zwei neuen Vortragsformen. Neben einem genuin wissenschaftlichen Vortrag in einem zeitlichen Umfang von rund 20 Minuten wird vielfach auch ein Lehrvortrag als Lehrprobe in einem Umfang von zumindest zehn Minuten angefordert. Gelegentlich wird das Thema der Lehrprobe sehr kurzfristig, mitunter sogar erst am Tag der Lehrprobe selbst den Vortragenden bekanntgegeben.
Hintergrund dieses Ansinnens dürfte die Feststellung der Improvisationsfähigkeit und der Stressresilienz der Vortragenden sein. Zudem hat sich an einigen Standorten und Fächern die Usance herausgebildet mit den Vortragenden am Vorabend des Probevortrags ein gemeinsames Abendessen als "Get together" zu veranstalten. Während der Coronazeit ist dies in dieser Form nicht möglich. Es ist davon auszugehen, dass die Praxis – sobald möglich – aber wieder aufleben wird.
Auch in diesem Zusammenhang darf vermutet werden, dass die Berufungskommission die Persönlichkeit und Interaktionsfähigkeiten der Kandidatinnen und Kandidaten näher ergründen will. Insgesamt gilt, dass die Usancen der Berufungskommissionen im Hinblick auf den Probevortrag und das anschließende Gespräch mit der Berufungskommission höchst unterschiedlich sind.
"Ein häufiger Fehler im Probevortrag ist die mangelnde Bezugnahme auf das Publikum."
So ist allein die Frage, ob den Vortragenden die Namen der anderen Eingeladenen und die Vortragstitel übermittelt werden, höchst uneinheitlich. Während einige Standorte hier maximal transparent vorgehen, agieren andere Standorte nach wie vor so, als handele es sich hierbei um ein aus Rechtsgründen zu schützendes "Betriebsgeheimnis". Dies ist mitnichten der Fall. Auch ist höchst unterschiedlich, ob die Kandidatinnen und Kandidaten bei den Vorträgen der anderen Eingeladenen zugegen sein dürfen. Während einige Standorte und Kommissionen bereits im Vorfeld Transparenz im Hinblick auf die anderen Eingeladenen sowie deren Vortragstitel herstellen, werden an anderen Standorten die Eingeladenen hierüber völlig im Unklaren gelassen. Ein Rechtsanspruch auf Mitteilung aller Vortragenden besteht für die Betroffenen nicht. Es ist allerdings aus Gründen der Ausgestaltung von fairen und transparenten Berufungsverfahren den jeweiligen Standorten dringend anzuraten, eine maximale Transparenz und damit auch einen frühzeitigen und umfassenden Informationsfluss sicherzustellen.
Ein häufiger Fehler im Probevortrag ist die mangelnde Bezugnahme auf das Publikum. Bei der Verwendung von Präsentationsgrafiken ist auf eine sinnvolle Gestaltung der Folien zu achten. Diese sind insbesondere nicht mit Inhalten zu überfrachten. Kernaufgabe der Eingeladenen wird es zweifelsohne sein, nicht nur durch wissenschaftliche Exzellenz zu überzeugen, sondern auch durch eine kooperative Persönlichkeit. Das gilt sowohl bei klassischen als auch bei digitalen Berufungsverfahren, bei denen die virtuelle Umgebung zusätzliche Nervosität oder Verunsicherung verursachen kann. Das Ziel sollte sein, die Passgenauigkeit durch den gesamten Auftritt zu unterstreichen. Es ist daher anzuraten, den Probevortrag vor dem Ernstfall mehrfach zu proben.