Gruppe von Absolventen mit Doktorhut
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Promovieren in den USA
Doktorgrad Ph.D.

Der Weg zum Doktorgrad Ph.D. in den USA unterscheidet sich deutlich von dem in Deutschland. Doch beide steuern in dieselbe Richtung.

Von Eva Bosbach 04.04.2018

Es ist nicht überraschend, dass die Größe und Diversität der USA sich auch in dessen Hochschul- und Promotionssystem wiederspiegelt. So gibt es eine große Bandbreite an postsecondary institutions, die alle im weitesten Sinne zu Hochschulen gezählt werden können. Auf die 325 Millionen Einwohner der USA  kommen derzeit über 6.500 Hochschuleinrichtungen. Davon verleiht nur ein Bruchteil – 436 im Jahr 2016 – forschungsbasierte Doktorgrade, den research doctorate Ph.D. Somit bilden weniger als zehn Prozent der Institutionen die Forscher und Hochschullehrer für die gesamte große und heterogene Gruppe aller Hochschuleinrichtungen aus.

Unter den promotionsanbietenden Hochschulen wird zwischen öffentlichen (public), privaten gemeinnützigen (private, not-for-profit) und privaten gewinnorientierten (private, for-profit) Einrichtungen unterschieden. Die Höhe der Stipendien für Doktoranden ist meist an privaten Einrichtungen höher und der Umfang der dafür im Gegenzug verlangten Lehrleistungen der Doktoranden niedriger. Ein weiterer Unterschied ist die Selektivität der Doktorandenprogramme bei der Zulassung. Ein Beispiel aus der Anglistik: Von den etwa 300 Bewerbern für das Promotionsprogramm der öffentlichen City University of New York (CUNY) werden 30 Doktoranden ausgewählt, bei der privaten Columbia University  bewerben sich jährlich auf etwa 15 Promotionsplätze 700 Kandidatinnen und Kandidaten. Die Promotionsbedingungen können also im gleichen Fach an zwei Universitäten in der gleichen Stadt sehr verschieden sein.

Ph.D. über strukturierte Promotionsprogramme

Insgesamt werden in den USA jährlich über 50.000 Forschungs-Doktorgrade verliehen, die zu 100 Prozent in strukturierten Promotionsprogrammen erworben werden. Dabei absolvieren die Doktorandinnen und Doktoranden, die sich in aller Regel nach dem Bachelorabschluss bei graduate schools bewerben, erst eine zwei- bis dreijährige Kursphase (course work). Diese umfasst Pflicht- und Wahlseminare, Kolloquien, spezielle Literaturseminare (journal clubs), Laborrotationen in den Naturwissenschaften, und mehrere Prüfungen.

Der Übergang zur Dissertationsphase ist selektiv angelegt und beinhaltet meist eine umfangreiche schriftliche, zum Teil auch mündliche Prüfung, sowie weitere Teilleistungen wie einen publizierten Artikel, Rezensionen, Präsentationen bei Tagungen oder bestandene Hausarbeiten (problem sets). Beim Nichtbestehen der Übergangsprüfung scheiden Kandidaten oft mit einem Masterabschluss aus der graduate school aus.

"Die lange Durchschnitts-Promo­tionsdauer ist auch in den USA ein viel diskutiertes Thema."

Die lange Durchschnitts-Promotionsdauer ist auch in den USA ein viel diskutiertes Thema. Obwohl sie in allen Fachdisziplinen über die Jahrzehnte abgenommen hat, beträgt sie je nach Fach sechs bis 12 Jahre. Ein Faktor ist dabei der Beginn der Doktorandenausbildung bereits nach dem Bachelorabschluss mit einer meist zweijährigen Kursphase, die in etwa dem deutschen Masterstudium entspricht. Ein weiterer Faktor ist, dass es in den USA keine Habilitation gibt, sodass die Doktoranden zumindest theoretisch alle Kenntnisse und Qualifikationen für eine akademische Laufbahn während der Promotion erwerben müssen. In den Ingenieur- und Naturwissenschaften wird diese Funktion durch eine quasi fest zur Promotion dazugehörende Postdoc-Phase unterstützt.

Als weitere Ursachen werden die ungenügende Finanzierung der Doktoranden genannt sowie damit zusammenhängend die systemimmanenten Forschungs- und Lehrassistentenstellen, die viele Vorteile haben, allerdings überwiegend keinen engen Bezug zum Dissertationsthema, sodass sie sich tendenziell promotionsverlängernd auswirken. Lösungsansätze sind eine Verdichtung und Verkürzung der Kursphase sowie ein noch verbindlicheres Monitoring der Promotionsfortschritte.

Verbesserung der Betreuungsqualität durch graduate schools 

Im Gegensatz zu Deutschland, wo nach wie vor nur circa 20 Prozent aller Doktoranden in einem strukturierten Programm sind, promovieren in den USA alle Doktoranden in einer graduate school. Diese fachübergreifende Dachstruktur unterhält eine Reihe von Maßnahmen, die eine höhere Betreuungsquantität erzeugen und in der Regel auch die Betreuungsqualität verbessern. Ein wichtiger Aspekt ist die multiple Betreuung während der gesamten Promotion. Es gibt stets mehrere Betreuer, Mentoren und Ansprechpartner, sowohl innerhalb des Fachbereichs (in der Regel mindestens vier Mitglieder des doctoral committees), als auch in der fachübergreifenden graduate school. Teilleistungen der Promotion werden in der Regel im Vorfeld festgelegt, mit transparenten Fristen versehen und an Doktoranden und Betreuer kommuniziert.

So achten Mitglieder der Kommission während regelmäßiger und zum Teil schriftlich dokumentierter Besprechungen auf den Promotionsfortschritt und die Qualität der Dissertation.
Eine noch vor die Aufnahme in das Doktorandenprogramm geschaltete Maßnahme der Qualitätssicherung ist in vielen geisteswissenschaftlichen Programmen die Abgabe einer 10-20 seitigen Arbeitsprobe als verpflichtender Teil des generell formalisierten, selektiven Aufnahmeverfahrens.

Ein weiteres Instrument ist oftmals die verpflichtende Abgabe des Dissertationsexposés spätestens nach einem Jahr. Das Exposé muss in einem formalisierten Verfahren von den Kommissionsmitgliedern genehmigt und in manchen Programmen von den Doktoranden verteidigt werden. Ein ähnlich aufwändiges Verfahren ist vielerorts auch nach der Abfassung des ersten Kapitels der Dissertation und nach weiteren Kapiteln üblich. So wird in regelmäßigen Abschnitten durch Fachvertreter ein gemeinsamer Maßstab gesetzt für die durchgängige Qualität der Arbeit.

Am Ende muss die Dissertation verteidigt (thesis defense) aber nicht verpflichtend veröffentlicht werden – möglicherweise eine Konsequenz der stark diversifizierten Hochschullandschaft, in der nicht in jedem Fall ein öffentlich kommunizierter eigener Forschungsnachweis für die weitere berufliche Karriere essenziell ist.

Promotion: Erworbene Kompetenzen müssen auch auf nicht-akademische Berufe vorbereiten

Zu lang, zu teuer, und auf einen idealisierten akademischen Arbeitsmarkt vorbereitend, den es schon lange nicht mehr gibt: So wird die Kritik an der Promotionskultur in den USA in dem "2018 Trends Report" des Chronicle of Higher Education zusammengefasst. Aber der Bericht gibt auch konstruktive Beispiele, wie dieser Kritik entgegengewirkt wird. So unterstützen Fachgesellschaften wie die American Historical Association Programme, in denen Doktoranden Einblicke in den außerakademischen Arbeitsmarkt erhalten und die dort nötigen Qualifikationen erlernen können. Auch die traditionelle Form der Dissertation als Monographie wird vielerorts überdacht und Alternativen wie kumulative Dissertationsleistungen erprobt.

"Die traditionelle Funktion der Promo­tion als Vorbereitung auf eine Hochschul­laufbahn verschiebt sich."

Das Ziel liegt auf der Hand – Doktoranden sollen während der Promotion Kompetenzen erwerben, die sie auch auf nicht-akademische Berufe vorbereiten. Gleichzeitig müssen, durch die fehlende Habilitation und dadurch frühere selbständige Tätigkeit in Forschung und Lehre, alle dafür benötigten Qualifikationen im Kern während der Promotion erlangt werden. So ändert sich zurzeit die Funktion des Doktorgrads in den USA in eine Richtung, die aus der deutschen Promotionskultur bekannt ist: Die traditionelle Funktion als Vorbereitung auf eine Hochschullaufbahn verschiebt sich in Folge einer breiten Diskussion über eine nötige Anpassung der Inhalte an die Realität der späteren beruflichen Bedürfnisse der Absolventen in Richtung der aus Deutschland bekannten polyvalenten Funktion des Doktorgrads.