Schwanger im Labor
Schwangerschaft mit Labortätigkeit vereinbaren
Die Wissenschaft gilt – insbesondere in den Naturwissenschaften – als besonders familienunfreundlich. Lange Arbeitszeiten, befristete Verträge und fehlende Unterstüt-zungssysteme sind keine Seltenheit. Doch es gibt immer mehr Bestrebungen, die Situation für Mütter und Väter, die in der Forschung tätig sind, zu verbessern. Etwa mit Initiativen wie die Zertifizierung "familiengerechte Hochschule", welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleisten soll.
Doch in einem Punkt herrscht geschlechterspezifische Ungleichheit, denn: An den meisten Hochschulen dürfen schwangere Naturwissenschaftlerinnen aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen nicht mehr im Labor arbeiten. Dafür ausschlaggebend ist Paragraph 11 des Mutterschutzgesetzes, in dem es sinngemäß heißt, dass der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin eine schwangere Frau keine Tätigkeiten ausüben lassen darf, die eine "unverantwortbare Gefährdung" für sie oder ihr Kind darstellen. Das betrifft beispielsweise den Umgang mit toxischen Biostoffen oder körperliche Belastungen wie das Tragen einer Schutzausrüstung. Dieses Gesetz gilt bereits mit dem Bekanntwerden der Schwangerschaft, also schon vor dem gesetzlichen Mutterschutzzeitraum.
Im Kontext von Publikationsdruck und Konkurrenzdenken kann diese schwangerschaftsbedingte Pause für Wissenschaftlerinnen zu erheblichen Nachteilen führen. Mit sogenannten "Schwangerschaftslaboren" möchten Forschungseinrichtungen – etwa das Institute of Molecular Biotechnology (IMBA) in Wien oder das Leibniz-Institut für Virologie (LIV) in Hamburg – Abhilfe schaffen. Dabei handelt es sich um speziell eingerichtete Labore, die weder das ungeborene Kind noch die Schwangere selbst einer Gefahr aussetzen.
Konkret heißt das: Chemikalien oder andere schädliche Stoffe, die nachweislich fruchtschädigend oder krebserregend sind, haben im Schwangerschaftslabor nichts zu suchen. Denn das Mutterschutzgesetz unterscheidet nicht zwischen Labor- und Büroarbeit, sodass allgemeine Richtlinien für Schwangere – wie das Vermeiden von langem Stehen – auch im Schwangerschaftslabor gelten. Offizielle Zahlen zur Verbreitung von Schwangerschaftslaboren in Deutschland gibt es laut Wissenschaftsministerium nicht.
Schwanger im Labor
Lebensmittelchemikerin Dr. Hannah Zenker forscht seit fast zwei Jahren an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) in Erlangen zur Allergenität von Milchproteinen. Das Labor, in dem sie arbeitet, wirkt auf den ersten Blick nicht außergewöhnlich: Eine Waage, mehrere Packungen Einweghandschuhe, diverse Zentrifugen und zahlreiche Pipetten sind zu sehen. Doch es ist anders als übliche Labore – denn Zenker ist zum Zeitpunkt des Treffens für diesen Artikel im fünften Monat schwanger.
Die 31-Jährige erwartet ihr zweites Kind. Bislang lässt nur eine kleine Wölbung unter dem locker-sitzenden Laborkittel auf ihren Zustand schließen. Als Zenker von ihrer Schwangerschaft erfuhr, wurde ein wenig genutzter Raum am Institut zum temporären Schwangerschaftslabor umfunktioniert. Zenker erzählt: "Natürlich lässt sich ein perfekt ausgestattetes Labor nicht einfach so aus dem Boden stampfen. Wir mussten den Raum erst mal so einrichten, dass Arbeiten möglich ist."
"Schwangerschaft ist für viele Forscherinnen ein belastendes Thema – das sollte es in meinen Augen nicht sein."
Dr. Hannah Zenker, Lebensmittelchemikerin
Gefährliche Arbeitsschritte übernehmen nun studentische Hilfskräfte oder Kolleginnen und Kollegen. Den Großteil ihrer Experimente kann die Lebensmittelchemikerin dank Schwangerschaftslabor jedoch selbstständig fortführen: "Für mich ist das eine wirklich wichtige Gleichstellungsmaßnahme. Schwangerschaft ist für viele Forscherinnen ein belastendes Thema – das sollte es in meinen Augen nicht sein."
Kind oder Karriere
In Deutschland werden nur etwa 35 Prozent der naturwissenschaftlichen Masterabschlüsse von Frauen erworben. Noch deutlichere Unterschiede in der Geschlechterverteilung gibt es nach der Promotion: Laut einem Bericht des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2022 sind gerade einmal 22 Prozent der Personen mit einer MINT-Professur an deutschen Hochschulen weiblich.
Bei dieser niedrigen Quote spielt auch die Vereinbarkeit von Kind und Karriere eine Rolle. Den richtigen Zeitpunkt für die Familienplanung zu finden, sei in der Forschung ein Riesenthema – das bestätigt auch Zenker: "Schwangerschaft, Mutterschutz und Stillzeit – das haut schon ganz schön rein!".
Schwangerschaftslabore könnten da ein Schritt in die richtige Richtung sein. Doch der Bau ist alles andere als selbstverständlich. Professorin Heike Feldhaar, Gleichstel-lungsbeauftragte der Universität Bayreuth, nennt vor allem Raumknappheit als Hindernis für viele Forschungseinrichtungen: "Ich fürchte ein dauerhaftes Schwangerschaftslabor führt zu einem sehr selten genutzten leeren Raum. Angesichts des beschränkten Platzes ist das deshalb schwierig umzusetzen."
Auch an ihrer Universität gäbe es daher kein entsprechendes Angebot. In der Industrie hält Feldhaar das Konzept hingegen für zukunftsreich: "In großen Firmen mit routinierten Abläufen, die womöglich auch noch mehrere schwangere Mitarbeiterinnen gleichzeitig haben, ist das sicherlich eine effiziente Möglichkeit zur Chancengleichheit."
Mögliches Sicherheitsrisiko
Es gibt auch Gleichstellungsbeauftragte, die sich gegen eine Förderung von Schwangerschaftslaboren aussprechen. Sie begründen dies damit, dass die Separierung schwangerer Forscherinnen neben dem sozialen Aspekt vor allem sicherheitsbedingt schwierig sei. Schließlich sollten in einem Labor immer mindestens zwei Forschende anwesend sein, damit im Notfall jemand Hilfe holen könne.
Eine Abtrennung des Schwangerschaftslabors vom Normalbetrieb mittels Glasscheibe könnte dieses Sicherheitsrisiko minimieren. Außerdem berichten schwangere Forscherinnen von sogenannten "Fall-down"-Alarmsystemen, die dieses Problem ebenfalls umgehen. Dabei handelt es sich um Geräte, die Alarm schlagen, sobald eine Person zu Boden geht. Anschließend erfolgt eine automatische Benachrichtigung an die zuständigen Sicherheitsbeauftragten.
Walter Rosenthal, Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK), betont jedoch, dass pauschale Lösungen angesichts der Vielfalt der persönlichen Risiken und Gefahren sowie der wissenschaftlichen Sinnhaftigkeit kaum möglich seien: "Das gilt insbesondere für das Angebot sogenannter Schwangerenlabore, die in Einzelfällen einen adäquaten Beitrag leisten mögen, in der Summe gegenwärtig aber nicht das zentrale Instrument sind, um mutterschutzbezogene Nachteile auszugleichen."
Der Selbst- und Fremdschutz von Mutter und Kind müsse im Sinne des Gesetzes im Mittelpunkt aller Maßnahmen stehen, so Rosenthal. Deshalb sollten Unterstützungsangebote und Nachteilsausgleiche stets individuell gestaltet werden. Es sei daher sinnvoll, nach Mitteilung der Schwangerschaft regelmäßig das Gespräch zu suchen, wie eine Frau während Schwangerschaft und Elternzeit adäquat unterstützt werden kann: "Etwa durch eine Akzentverschiebung im Forschungsdesign oder durch eine entlastende Aufgabenteilung im Team."
Die Einrichtung eines Schwangerenlabors kann also einer von vielen Schritten sein, um die Gleichstellung in der Wissenschaft zu verbessern und sie familienfreundlicher zu gestalten. Das bekräftigt auch Gleichstellungsbeauftragte Feldhaar. Aktuell gebe es zudem nur eine Handvoll Förderprogramme, die speziell auf die Bedürfnisse von Forscherinnen mit Kind zugeschnitten sind, etwa das Stipendium der Christiane Nüss-lein-Volhard-Stiftung: "Bei den aktuellen Finanzierungsmöglichkeiten könnte man zu dem Schluss kommen, dass es für eine Wissenschaftlerin nicht vorgesehen ist, schwanger zu werden." Das Einrichten von Kindertagesstätten und die Verlängerung von Förderzuschüssen könne somit nur das erforderliche Minimum sein, um die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie zukünftig zu erleichtern.