gezeichnetes Portrait von Prof. Dr. Benjamin List
Foto: Henning Kretschmer / Zeichnung: Studio Nippoldt

Chemie-Nobelpreis
"Unser Auftrag ist Exzellenz"

Benjamin List hat 2021 den Chemie-Nobelpreis erhalten. Ein Gespräch über Konkurrenz, gute Forschungsbedingungen, Angela Merkel und "grüne" Chemie.

Von Claudia Krapp 04.03.2022

Forschung & Lehre: Herr Professor List, was hat sich für Sie mit dem Nobelpreis verändert?

Benjamin List: Die Zeit seit dem 6. Oktober war für mich durch viele mediale Auftritte geprägt. Das mache ich gerne, weil ich so ein wenig zur Aufklärung beitragen kann. Denn die Katalyse als Technologie ist angesichts ihrer Bedeutung für unser Leben in der Öffentlichkeit etwas verkannt. Durch die mediale Aufmerksamkeit bin ich aber auch aus meinem Forschungsalltag herauskatapultiert worden. Am liebsten würde ich  dort weiter machen, wo wir im Herbst waren, denn wir waren und sind mit diesem Labor in der besten Phase meines Lebens bisher.

F&L: Die Position als Direktor des weltbekannten MPI in Mülheim haben Sie schon seit 2005 und Rufe an andere Institutionen mehrfach abgelehnt. Spätestens seit Ihrem Leibniz-Preis 2016 dürften Sie in einer hervorragenden Verhandlungsposition sein. Waren Sie schon vor dem Nobelpreis "ganz oben"?

Benjamin List: Wie wohl alle MPG-Direktoren bin ich sehr gut ausgestattet. Ich habe genug Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Equipment und wenn nicht, kann ich es beantragen. Das wissen wir zu schätzen. Wir wissen aber auch um die Kehrseite der Medaille: Unser Auftrag ist Exzellenz und nicht Mittelmaß. Wir können uns nicht wegducken und sagen, ich habe zwölf Paper publiziert im letzten Jahr. Das ist nicht der Punkt, warum wir hier sind. Unser Auftrag ist, die Speerspitze der Forschung zu sein. Unser Luxus kommt also auch mit einer Verantwortung. Man kann hier nicht "normal" sein.

Portraitfoto von Prof. Dr. Benjamin List
Professor Benjamin List ist Direktor des Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim a.d.R. und Nobelpreisträger für Chemie 2021. picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Martin Meissner

F&L: Für das Experiment, das Ihnen den Nobelpreis eingebracht hat (den Proof of Principle der asymmetrischen Organokatalyse anhand der Enamin-Katalyse einer Aldol-Reaktion mit dem Katalysator L-Prolin), haben Sie 1999 nach eigenen Angaben rund fünf Minuten gebraucht, um es anzusetzen. Wie viel Vorarbeit war es, die Hypothese zu entwickeln?

Benjamin List: Als Doktorand habe ich intensiv chemische Synthesen gemacht und wollte danach mal an was anderem arbeiten. Das Feld zu wechseln und sich mit Proteinen und DNA zu beschäftigen statt Chemikalien, hat einen gewissen Mut erfordert. Ich bin dann als Postdoc zu dem Mediziner Richard Lerner ans Scripps Institut nach Kalifornien gegangen, der mit Antikörpern gearbeitet hat, und habe diese als Biokatalysatoren verwendet. Der anschließende Schritt zu den organischen Katalysatoren war vergleichsweise gering und eher wie zurückkommen in mein ursprüngliches Metier – allerdings informiert durch die Biologie. Was ich da gelernt habe, hat mir total die Augen geöffnet. Vorher ging ich wie alle Chemiker von dem Dogma aus, dass man in seinem Katalysator ein Metall haben muss. Eigentlich absurd, denn wir wussten bereits, dass viele Enzyme beziehungsweise Biokatalysatoren metallfrei funktionieren. Dennoch war in unseren Köpfen diese psychologische Schranke. Mit meinem Vorwissen über enzymatische Antikörper wollte ich organische Moleküle designen, die wie Enzyme metallfrei arbeiten. Dann habe ich mich erinnert, dass das im letzten Jahrhundert schon jemand gemacht hat, mit der Aminosäure Prolin als Katalysator. Eigentlich war die Entdeckung da schon zum Greifen nah, aber diese Arbeit ist untergegangen, weil zu der Zeit das Hauptaugenmerk auf der Übergangsmetall-Katalyse lag und der Wirkmechanismus von Prolin falsch interpretiert wurde. Durch die enzymatischen Antikörper wusste ich, dass man eine Aminogruppe und eine Säuregruppe für die Katalyse braucht und habe mir daraus rational überlegt, dass man Aminosäuren oder andere organische Verbindungen, die diese beiden Gruppen enthalten, als Katalysatoren verwenden können müsste. Versucht habe ich es eben zuerst mit Prolin.

 

F&L: Welche Rolle hat bei der Weiterentwicklung der Idee und Bestätigung der Ergebnisse die Konkurrenz mit Ihrem Mitpreisträger, dem gleichaltrigen Schotten David MacMillan gespielt, von dem Sie noch vor Publikation erfahren haben, dass er an einer ähnlichen Reaktion mit demselben Prinzip arbeitet?

Benjamin List: Das hat natürlich meine Arbeit beschleunigt. Es hat mich extra motiviert und bestärkt und mir auch aufgrund der Konkurrenz etwas Angst gemacht. Vorher dachte ich, ich sei der Einzige, der an dieser Idee forscht. Nach dem Treffen mit McMillan, der an unserem Institut einen Vortrag über etwas anderes gehalten hatte, wurde mir klar, wie naheliegend die Idee ist und ahnte, dass er auch an "meiner" Reaktion arbeiten könnte. Zum Glück konnte ich vor ihm publizieren.

F&L: MacMillan hat seine Idee mithilfe seiner Doktorandin entwickelt. Hatten Sie in dieser Phase ein Team, das Ihnen geholfen hat, schneller voranzukommen?

Benjamin List: Nein, das habe ich komplett alleine gemacht. Zu der Zeit war ich frischer Assistenzprofessor, gerade erst wissenschaftlich unabhängig und hatte noch keine Mitarbeiter.

F&L: Ihr Mitpreisträger hat den Nachweis fast zeitgleich anhand einer ähnlichen Reaktion erbracht, einer Iminiumionen-Katalyse. Wie erklären Sie sich, dass Sie beide gleichzeitig dieser Idee nachgegangen sind?

Benjamin List: Das führe ich auf das Vorwissen zu unseren katalytischen Antikörpern zurück. MacMillan hat zwar nicht selbst daran geforscht wie das Team am Scripps, dessen Teil ich als Postdoc war, aber unsere Arbeiten waren publiziert – wohlgemerkt in chemischen statt (bio)medizinischen Fachzeitschriften. Die Inspiration zur Idee der Übertragung des biologischen Mechanismus in die Chemie stand also im Raum. Es war irgendwie naheliegend, also zumindest für Dave und mich (lacht).

Asymmetrische Organokatalyse

Die asymmetrische Organokatalyse ist eine chemische Technologie, bei der kleine organische Moleküle eingesetzt werden, um eine chemische Reaktion zu ermöglichen oder zu beschleunigen, bei der sogenannte chirale Produkte entstehen. Mit meist hoher Selektivität und Effizienz entsteht dabei überwiegend eines von zwei möglichen spiegelbildlichen Produkten, daher die Bezeichnung asymmetrisch. Die organischen Katalysatoren können natürlichen Ursprungs sein wie zum Beispiel die Aminosäure Prolin oder künstlich hergestellt werden.

Anders als bei den verwandten Techniken der Metallkatalyse oder der Enzymkatalyse kommt die organische Katalyse ohne Metallverbindungen und mit vergleichsweise einfachen Substanzen aus. Dadurch ist sie kostengünstiger und weder gesundheits- noch umweltschädlich.

F&L: Welche Rolle hat das Umfeld in den USA für Ihren Erfolg gespielt?

Benjamin List: Vor kurzem habe ich mich mit einer ehemaligen Kollegin aus meiner Promotionszeit in Frankfurt daran erinnert, was für eine Aktivierungsbarriere es war, für ein Gespräch zu unserem Professor zu gehen. Das war am Scripps und ist auch bei mir heute anders, da kommt immer Mal ein Doktorand rein und wir quatschen einfach. Da ist keine Barriere, die den kreativen Austausch behindert. Am Scripps konnte man Richard Lerner, den Präsidenten, und viele andere Nobelpreisträger und renommierte Wissenschaftler einfach ansprechen, das war nicht so formal, wie man es aus Deutschland oft kennt. Diese kalifornische Art ist schon gut.

F&L: Wenn Sie Ihre damalige und heutige Situation vergleichen: Für welche Art der Ausstattung waren Sie in Kalifornien und sind Sie heute in der MPG besonders dankbar?

Benjamin List: Diese flache Hierarchie am Scripps, die Stars, die da waren, und der Ausblick auf den Pazifischen Ozean statt auf das Ruhrgebiet, das war schon toll. Das war einfach ein Top-Institut mit Weltklasse. Das ist unseres in Mülheim aber auch. Anders als hier muss man in Amerika sehr stark um Forschungsmittel kämpfen. Am Scripps hatte ich erstmal nur eine Startfinanzierung für einen Postdoc und einen Techniker. Sobald ich die ersten Mittel eingeworben hatte, verfiel diese und ich musste meine Mitarbeiter selbst bezahlen sowie zusätzlich eine Gebühr, um dort arbeiten zu können. Das gilt für alle Professoren dort. Man muss daher ständig Anträge schreiben. In der MPG habe ich eine garantierte Ausstattung und Mitarbeiter, die es mir ermöglichen, über einen langen Zeitraum komplexe wissenschaftliche Probleme zu lösen. Abgesehen von der dreijährlichen Evaluation muss ich mich nicht rechtfertigen und ständig gehypte Anträge stellen über irgendwas, was jemand anderes interessant findet. Stattdessen mache ich, was ich interessant finde. Das ist das Exklusive der MPG weltweit. Andererseits habe ich kürzlich beim Schreiben eines ERC-Antrags wieder bemerkt, dass es auch ganz gut ist, sich für Anträge hin und wieder Gedanken zu machen über die eigene Vision und Ziele. Statt sich bequem treiben zu lassen, ohne Grund, sich zu hinterfragen – eine Tendenz, die auch in der MPG manchmal zu beobachten ist. Die von Wissenschaftlern, auch an deutschen Universitäten viel gewünschte Sicherheit kann also auch eine Schattenseite sein. Es gibt einen Grund, warum man in der Regel nicht auf Lebenszeit Forschungsmittel garantiert.

"Die von Wissenschaftlern viel gewünschte Sicherheit kann auch eine Schattenseite sein."

F&L: Wie sehen Sie die Möglichkeiten und die Qualität der Forschung in der MPG im Vergleich zu Universitäten in Deutschland?

Benjamin List: Ich habe keinen direkten Einblick in Universitäten und kann das nur bedingt beurteilen. Die Universitätsprofessoren, mit denen ich kooperiere, treffe ich nicht automatisch. Mülheim ist leider keine Universitätsstadt, es gibt hier kein Studentenleben, wir sind etwas separiert. In einer Stadt wie Heidelberg mittags in ein Café zu gehen und sich auszutauschen oder zufällig zu begegnen, ist irgendwie ein netteres Leben. Zudem sehe ich es als Vorteil, auf einem Campus zu sein, weil man immer wieder Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachbereichen sieht und ständig Vorträge gehalten werden. Was die Qualität der Forschungseinrichtungen angeht, denke ich, dass es in Deutschland inzwischen einen Gradienten gibt, auch bestärkt durch die Exzellenzinitiative. Es gibt ein paar exzellente Unis, die mit der MPG-Qualität mithalten und beispielsweise auch genauso große Labore haben wie wir. Das Forschungsniveau der Spitzen-Unis hat sich an die MPG angenähert, der Übergang ist flüssiger geworden.

F&L: Immer wieder wird in Deutschland vor Einschnitten in die Wissenschaftsfreiheit gewarnt. Erleben Sie diese noch als hohes Gut?

Benjamin List: Persönlich habe ich zum Glück noch keine solchen Einschnitte erlebt, aber ich sehe es natürlich auf der ganzen Welt. China hat dabei noch eine relativ starke Grundlagenforschung. In den USA versucht die Politik zum Beispiel auch immer wieder sehr stark, Themen für die Forschung zu definieren. Deutschland – und Japan vielleicht auch – hat bezüglich der Wissenschaftsfreiheit aber weltweit gesehen eine besonders sichere und gute Position, weil hierzulande Grundlagenforschung wertgeschätzt wird. Ich glaube, das liegt mitunter an unserer ehemaligen Kanzlerin Angela Merkel, die als "eine von uns" um die Problematik der Wissenschaftsfreiheit wusste. Die Bundesregierung hat die MPG während ihrer Amtszeit immer gut unterstützt und, soweit ich weiß, auch die Exzellenz-Universitäten. Ich finde es toll, dass unser Land sich Forschungseinrichtungen, Universitäten und die DFG leistet, denn man könnte diese auch als Luxus sehen, wie etwa Opernhäuser und Museen. Ich glaube aber, Deutschland ist smart genug zu wissen, dass sich Grundlagenforschung irgendwann rentiert, wenngleich nicht sofort. Singapur beispielsweise gibt großzügig Geld an ihre Forscher, will aber auch im Folgejahr dann ein Patent und idealerweise ein Produkt haben.

F&L: Auch hierzulande werden die Rufe nach anwendungsorientierter Forschung immer lauter…

Benjamin List: Die Versuchung ist natürlich da, aber der weit verbreitete Gedanke, es ginge der Wirtschaft sofort besser, wenn wir anwendungsorientierter forschen würden, trügt. So einfach ist es nicht. Die großen Innovationen und wissenschaftlichen Revolutionen entstehen für gewöhnlich gerade nicht in anwendungsbezogenen Forschungsprogrammen, sondern aus der Grundlagenforschung. Rational designte Forschung – das passt nicht, das ist ein Widerspruch in sich. Forschung muss sich entwickeln. Daher muss man auch in Deutschland aufpassen, dass der Trend nicht zu stark hin zur Anwendungs-Forschung geht, ich sehe die Situation aber insgesamt noch als ganz gut an.

F&L: Sie waren schon als Doktorand und Postdoc mit Projekten erfolgreich, die alles andere als trivial waren, und auch die "Nobelpreis-Reaktion" gelang Ihnen im Alter von 31 Jahren, quasi direkt nach der Idee. In Ihrer Nobel Lecture haben Sie dennoch gesagt, die meisten Ihrer Hypothesen hätten sich im Experiment nicht bestätigt. Wie passt das zusammen?

Benjamin List: Das war vielleicht etwas übertrieben, aber im Grunde stimmt es. Wenn wir uns als Chemiker neue chemische Reaktionen überlegen, ist das ein komplexer Vorgang, der – anders als in der Physik beispielsweise – nicht komplett vorhersagbar oder berechenbar ist. Sehr häufig tauchen in der Chemie unvorhergesehene Probleme auf, in der Biologie übrigens auch. Die ersten Versuche scheitern daher meistens und man kommt nur mit schrittweisen Experimenten voran, bei denen man verschiedene Parameter verändert, ohne genau zu wissen, auf welche es ankommt – ein Spiel mit der Realität. Man muss daher als Chemiker auch Rückschläge hinnehmen und durch eine schwere Zeit gehen, um Erfolg zu haben.

F&L: Woher nehmen Sie Ihre Motivation?

Benjamin List: Was die Chemie von der Physik oder Biologie unterscheidet, ist, dass wir nicht nur erforschen, sondern auch neue Dinge kreieren. Jeder Tag liefert ein neues Molekül, das so noch nie im Universum vorhanden war und immer ein potenziell neues Medikament oder einen neuen Katalysator darstellt. Was uns Chemiker antreibt, ist diese Vorfreude auf das Neue, das möglicherweise die Welt verändert. Vielleicht ist es der Katalysator, der CO2 in Diamant und Sauerstoff spaltet, wovon ich immer träume und der mit einem Schlag ziemlich viele Probleme der Menschheit lösen würde.

"Chemiker kreieren neue Dinge. Jeder Tag liefert ein neues Molekül, das so noch nie vorhanden war."

F&L: Ihre Entdeckung hat im Bereich der Organokatalyse unmittelbar für riesiges Interesse gesorgt. Heute, über 20 Jahre später, ist die von Ihnen begründete Methode der asymmetrischen Organokatalyse sehr weit verbreitet und wird für eine Vielzahl an Reaktionen verwendet. Sie haben damals geahnt, dass die Methode viele neue Möglichkeiten eröffnet. Welche Anwendungen haben Sie dennoch überrascht?

Benjamin List: Diese Größenordnung, dass die Methode das dominate Feld in der asymmetrischen Synthese werden würde, das habe ich wirklich nicht gedacht. Die Herstellung von Spiegelbild-Isomeren, die mit der asymmetrischen Katalyse möglich ist, war damals bereits ein großes Feld und ist prinzipiell mit mehreren Techniken möglich, zum Beispiel auch mithilfe von Enzymen. Heute machen die organischen Katalysatoren aber den bei weitem größten Teil des Feldes aus. Sie sind nun Mainstream. Tausende Forschungsgruppen und alle Industriezweige weltweit arbeiten mit ihr. Diesen Impact hätte ich damals nicht erwartet. Natürlich gibt es in der Chemie aber auch Moden und die asymmetrische Organokatalyse ist da nicht mehr ganz en vogue. Die Leute machen auch wieder was anderes, neues.

F&L: Für welche Anwendungsgebiete sehen Sie den Einsatz der asymmetrischen Organokatalyse noch nicht ganz ausgeschöpft?

Benjamin List: Viel Potenzial hat nach wie vor die Pharmaforschung, weil deren Produkte damit oft einfach und kontrolliert herstellbar sind. Weil Medikamente oft chiral sind, also nur eines von zwei spiegelbildlichen chemischen Produkten die gewünschte Wirkung hat, wird die Methode dort am meisten verwendet. Aber die Kosten stecken dabei meist nicht im Katalysator, sondern zum Beispiel in den klinischen Studien. Was mich immer noch reizt, ist die asymmetrische Organokatalyse da einzusetzen, wo die Wertschöpfung tatsächlich durch die Chemie erfolgt, beispielsweise bei Parfums. Der Wert der Riechstoffe resultiert typischerweise einzig aus der chemischen Herstellung. Noch viel spannender wird es, wenn man in die "echte" Chemie geht und mit der Methode zum Beispiel Basischemikalien umsetzt. Etwa indem wir ausgehend von den nach wie vor kostengünstigen fossilen Rohstoffen neue, viel höherwertige Materialien direkt herstellen, im Gegensatz zu den vielstufigen Verfeinerungen, die momentan durchgeführt werden. Das wäre deutlich nachhaltiger und natürlich auch viel besser, als fossile Materialien einfach nur zu verbrennen.

F&L: Es geht Ihnen also um Effizienz und Eleganz?

Benjamin List: Absolut. Mit Eleganz meinen wir Chemiker nämlich auch Atomökonomie und wir meinen automatisch nachhaltig. Keine Umweltverschmutzung, weil es keine Nebenprodukte gibt. Gute Chemie ist in der Herstellung automatisch "grün". Vielleicht könnte man die grüne Chemie aber gesetzgeberisch noch stärker fordern und industrielle Prozesse optimieren. In der Vergangenheit war man ein bisschen schlampig bei der Auswahl der Prozessrouten, etwa für Medikamente, weil Nachhaltigkeit nicht so wichtig war und die Kosten für die Entsorgung von etwaigen Nebenprodukten keine Rolle spielten.

"Gute Chemie ist in der Herstellung automatisch 'grün'."

F&L: Für Katalysatoren gab es vor Ihnen schon sieben Nobelpreise. Haben Sie früher oder später mit dem Preis gerechnet?

Benjamin List: 2009 gab es das Gerücht auf einer Webseite, ich könnte den Nobelpreis bekommen. Zu der Zeit zählte ich zu den meistzitierten Chemikern weltweit und ein Algorithmus hat daraus vorhergesagt, dass ich ausgezeichnet werde. Natürlich kann niemand vorhersagen, wer den Preis wirklich bekommt, das ist geheim und erfolgt nach anderen Kriterien. Aber allein aufgrund des Gerüchts standen damals diverse Kamerateams hier vor dem Institut. Insofern bin ich 2021 nicht völlig aus den Wolken gefallen, weil die Idee auch von Kollegen früher schon an mich herangetragen wurde. Aber ich habe mich nicht nächtelang mit der Frage beschäftigt und nicht ernsthaft damit gerechnet, sonst wäre ich auch nicht nach Amsterdam gefahren, wo mich der Anruf aus Schweden im Urlaub überrascht hat.

F&L: Wie haben Sie diesen Tag erlebt?

Benjamin List: Die Begeisterung bei allen hier in Mülheim vergesse ich nie. Während meine Frau und ich aus Amsterdam zurückgefahren sind, hat das Institut einen Champagnerempfang organisiert. Die Leute standen auf den Balkonen und haben applaudiert. Diese Freude, dieses Klatschen, das hat mich wiederum euphorisiert. Das war wirklich einmalig.