Portrait von Alfred Nobel auf Münze
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Genies ohne Nobelpreis
Warum der und nicht ich?

Ein Nobelpreis ist die Krönung jeder wissenschaftlichen Laufbahn. Was zeichnet diejenigen aus, die nominiert wurden, aber leer ausgegangen sind?

Von Nils Hansson, Heiner Fangerau Ausgabe 11/17

Die Geschichte des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin in der „Karrierepraxis“ zu behandeln, kann als frech betrachtet werden, denn die wenigsten Forscherinnen und Forscher erhalten diesen Preis von der Nobelversammlung am Karolinska Institut zugesprochen: lediglich 214 Wissenschaftler wurden seit der ersten Preisverleihung im Jahr 1901 bedacht. Auch sind Medizinhistoriker zwar gut darin, Vergangenheiten zu rekonstruieren und zu deuten, aber ihre Fähigkeiten als rückgewandte Propheten sind in diesem Fall eher beschränkt.

Gleichwohl möchten wir hier eine kurze Exkursion wagen, die aber weniger die Preisträger als leuchtende Vorbilder präsentiert. Vielmehr sollen exemplarisch einige derjenigen Wissenschaftler in den Fokus gerückt werden, die zwar mehrmals nominiert wurden, den Preis aber am Ende nicht erhielten. Welche Aspekte einer Forscherkarriere waren bisher hinderlich, wenn man diese begehrte Auszeichnung erhalten wollte?

Nominierungen aus Physiologie oder Medizin untersucht

Wir beziehen uns dabei auf einige Publikationen aus unserem Institut, die in einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Nils Hansson hunderte Nobelpreisnominierungen und Gutachten des Nobelkomitees für Physiologie oder Medizin aus historischer Perspektive systematisch erforscht. Alle Medizinprofessoren in Schweden, Dänemark, Finnland, Island und Norwegen sowie ehemalige Nobelpreislaureaten dürfen jedes Jahr Kandidaten für den Nobelpreis vorschlagen.

Das Nobelkomitee für Physiologie oder Medizin lädt darüber hinaus jährlich ausgewählte Universitäten und einige wissenschaftliche Gesellschaften weltweit ein, Nominierungen einzusenden. In der Regel wurden damit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrere Hundert Kandidaten pro Jahr nominiert. Die Nominierungsbriefe sind streng vertraulich und erst fünfzig Jahre nach dem entsprechenden Nominierungsjahr sind sie im Stockholmer Nobelarchiv einsehbar.

Eine gezielte Analyse der Nobelpreisakten ermöglicht auf diese Weise, die Kontroversen, Konkurrenzen und Konjunkturen in der Medizin des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen. Darüber hinaus lassen sich einige Gemeinsamkeiten bei den nominierten "hochbegabten Verlierern" rekonstruieren.

Forschungsfragen sind entscheidend

Unser Fazit: Zunächst einmal ist es zentral, sich mit den für das Nobelkomitee relevanten Forschungsfragen zu beschäftigen. Die Frage der Relevanz ist in der Wissenschaft stets schwierig, und neigungsgetriebene Arbeit scheint eher erfüllend zu sein als das stete Streben nach Nutzen. Da das Testament Nobels jedoch Preise nur den Errungenschaften zueignen will, die "den größten Nutzen für die Menschheit" gebracht haben, ist es nicht empfehlenswert, sich der medizinhistorischen Forschung zu widmen. Der berühmte Medizinhistoriker Karl Sudhoff wurde zwar mehrmals nominiert, in die engere Wahl kam er aber nie.

Auch ein zu breites Interessenfeld, das die Zuordnung einer Person zu der einen großen Idee erschwert (wie der Berliner Chirurg August Bier, der sich mit Allgemeinchirurgie, Homöopathie und Anästhesie befasste), zu visionäre Arbeiten (etwa die Forschung des deutschen Chirurgen Themistocles Gluck über den künstlichen Gelenkersatz um 1900) oder zu komplexe Theorien (Verjüngung durch Sterilisierung, wie vom österreichischen Physiologen Eugen Steinach vorgeschlagen), die den Zeitgenossen nicht anschlussfähig erscheinen, führen eher dazu, dass mögliche Kandidaten im Vorfeld der Preisauslese ausscheiden.

Internationale Konkurrenz vermeiden

Auch die starke internationale Konkurrenz in Mainstreamforschungsfeldern (wie etwa die Herzchirurgie Mitte des 20. Jahrhunderts) verhindert manchmal, dass wenigstens einige der Pioniere jemals mit dem Preis bedacht werden, da maximal drei Medaillen pro Jahr vergeben werden. Ihre Arbeit hat kaum eine Chance auf eine Auszeichnung. Ihnen und ihrer Arbeit ergeht es ähnlich wie der "Normalwissenschaft". Sie wird übersehen und als irrelevant bei Seite geschoben.

Klinischer Forschung wiederum ist die Relevanz kaum abzusprechen, beschäftigt sie sich doch anders als patientenfernere Grundlagenforschung direkt mit für Patientinnen und Patienten unmittelbaren potenziell hilfreichen Therapieansätzen. Doch trotz dieser Nähe zum Menschen werden klinische Forschung und Arbeit weit seltener in die engere Wahl für einen Nobelpreis gezogen als grundlagenorientierte biomedizinische Wissenschaft. Diese Tendenz nahm in den letzten Jahrzehnten zu.

Ferner scheinen in der Preisvergabe zumindest in den ersten 50 Jahren aber auch heute noch einige Merkmale auf, die dem wissenschaftsethischen Prinzip des Universalismus, das heißt der Gleichheit in der Bewertung von Forschungsleistungen unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Status, zu widersprechen scheinen. So wurden zunächst kaum Frauen mit dem Preis bedacht und europäische sowie inzwischen US-amerikanische Forscher stellen die absolute Mehrheit der Preisträger.

Veröffentlichung auf Englisch essenziell

Heute haben Wissenschaftler, die nicht in englischer Sprache formulieren und schreiben und die damit in der internationalen Wahrnehmung und Anerkennung in der Form von Zitierungen hinter englisch-schreibenden Kolleginnen und Kollegen zurückstehen, kaum eine Chance auf die begehrte Auszeichnung.

Glaubt man wiederum den Selbstinszenierungen einiger Nobelpreisträger, so ist allegorisch gesprochen ein aufgeräumter Schreibtisch ebenfalls eher hinderlich, wenn man sich als möglichen Kandidaten betrachten will. Das Genie eines Alexander Fleming etwa, der 1945 für die Entdeckung des Penicillins ausgezeichnet wurde, soll gerade darin bestanden haben, dass er liegengelassene Proben und ihr Eigenleben nachträglich richtig zu deuten wusste.

Das wichtigste jedoch sind starke Nominierungen von einflussreichen Nominatoren. Der Karrieretip ist also der, zunächst eine bedeutende wissenschaftliche Leistung hervorzubringen, die eindeutig mit einer Person assoziiert werden kann. Diese Entdeckung sollte die einzige bleiben, damit die Kopplung zwischen Namen und Forschungsergebnis nicht verwässert. Dann aber bedarf es guter Freundinnen und Freunde in herausragender wissenschaftlicher Position, die klare, nicht zu kurze, nur die eine Entdeckung lobende Nominierungen schreiben, die viele Superlative enthalten und immer wieder die Priorität der einen auszuzeichnenden Leistung loben.