Illustration: Eine Frau kommuniziert mit vielen Sprechblasen
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Kommunikation
Was die Stimme über die Persönlichkeit verrät

Die menschliche Stimme ist so individuell wie der Charakter. Ihr Klang kann die Wahrnehmung einer Person be­ein­flussen und einiges verraten.

Von Julia Stern 24.10.2022

Jedes Mal, wenn wir mit Menschen in Kontakt treten, bilden wir uns binnen weniger Sekunden eine Meinung über unser Gegenüber. Dieser erste Eindruck beeinflusst auch im weiteren Kennenlernprozess unsere Wahrnehmung. Viele Informationen sind dafür nicht notwendig – zum Beispiel reicht beim Onlinedating oder einem Bewerbungsprozess ein Foto oder geschriebener Text. Eine besonders wichtige Informationsquelle, auf deren Basis wir Eindrücke über andere Personen formen, ist deren Stimme. Sobald wir mit jemandem telefonieren oder Radio hören, machen wir implizite Annahmen über die Person, selbst wenn es keinerlei visuelle Informationen gibt. Wir können beispielsweise sehr schnell und akkurat das Geschlecht der anderen Person einschätzen oder wissen anhand der Stimme, ob wir mit einem Kind oder einer älteren Person sprechen. Wir entscheiden innerhalb kürzester Zeit, ob wir eine Stimme sympathisch oder attraktiv finden und können die Emotionen der Sprechenden spüren. Darüber hinaus formen wir auf Basis der Stimme einen Eindruck über die Persönlichkeit der anderen Person. Hat die Person am anderen Ende der Telefonleitung eine tiefe Stimme, halten wir sie für dominant und kompetent, ist die Stimme eher frei von Akzent und Dialekt, finden wir sie vertrauenswürdiger und schätzen die Person eher als intelligent ein.

All diese Eindrücke beeinflussen direkt unser Verhalten und das soziale Miteinander, über den Inhalt des Gesagten hinausgehend. Einem seriös klingenden Bankberater vertrauen wir auch eher unser Geld an, eine kompetent klingende Bewerberin hat bessere Chancen, nach dem Telefoninterview den Job zu erhalten. Tigue und Kollegen (2012) haben sogar berichtet, dass Politiker mit tieferen Stimmen eine höhere Chance haben, gewählt zu werden, weil sie als attraktiver, dominanter und als bessere Führungspersönlichkeiten wahrgenommen werden. Allerdings könnten die Präferenzen von Wählerinnen und Wählern kontextabhängig sein: Herrscht Krieg, bevorzugen wir Führungspersönlichkeiten, die dominant klingen, während wir in Friedenszeiten eher Vertrauenswürdigkeit präferieren (Schild et al., 2022).

Charakter einer Person an der Stimme erkennen

Inwiefern kann Stimme etwas über die Persönlichkeit aussagen und wann? Sind diese Eindrücke über eine Person anhand des Klangs ihrer Stimme zuverlässig oder lassen wir uns von Fehlannahmen beeinflussen? Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass man anhand der Stimme, insbesondere der Stimmtiefe, tatsächlich Rückschlüsse über den Charakter einer Person ziehen kann. In einer Studie mit über 1.000 Versuchspersonen aus vier Ländern wurde deutlich, dass sich Menschen mit tiefer klingenden Stimmen selbst tatsächlich als tendenziell eher dominant, extravertiert und offen für kurzfristige sexuelle Beziehungen beschreiben (Stern et al., 2021). Eine andere Studie zeigte, dass wir anhand von Stimmaufnahmen einigermaßen akkurat einschätzen können, wer schon einmal in einer Beziehung fremdgegangen ist (Schild et al., 2020). Allerdings sind die gefundenen Effekte relativ klein und lassen nicht auf die Persönlichkeit von Einzelpersonen schließen. Darüber hinaus muss die zukünftige Forschung herausfinden, ob sich aus der Stimme auch andere Persönlichkeitseigenschaften ablesen lassen.

Nichtsdestotrotz deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass wir einen gewissen Teil unserer Persönlichkeit mit unserer Stimme ausdrücken. Wie ist dieser Befund zu erklären? Der genaue Mechanismus ist noch unklar, aber es gibt mehrere Vermutungen. Möglich ist zum Beispiel, dass es eine gemeinsame biologische Basis gibt, die Stimmtiefe und Persönlichkeitseigenschaften gleichermaßen beeinflusst, zum Beispiel das Hormon Testosteron. Eine andere Möglichkeit besteht in einer Art Feedbackschleife, die durch soziale Interaktionen entsteht: Wir nehmen Menschen mit tieferer Stimme als dominanter wahr und verhalten uns ihnen gegenüber entsprechend, was wiederum dazu führen könnte, dass sie sich selbst als dominanter beschreiben und häufiger so verhalten.

Stimme verändern, um anders zu wirken

Doch verändern wir unsere Stimme auch in sozialen Interaktionen, abhängig vom Gesprächspartner? Auch wenn dies noch nicht ausreichend erforscht ist, gibt es erste Hinweise darauf: Während wir eher unsere Stimme erhöhen, wenn wir mit Vorgesetzten sprechen, wird unsere Stimme tiefer, wenn wir uns durchsetzen und Dominanz ausstrahlen wollen (Léongomez et al., 2017; Sorokowski et al., 2019). Können wir also einfach unsere Stimme möglichst tief verstellen und werden dadurch als dominanter wahrgenommen? Ganz so einfach ist das wahrscheinlich nicht. Zum einen ist es durch die Länge unseres Vokaltraktes anatomisch eingeschränkt, wie sehr wir unsere Stimme verstellen können. Zum anderen kann es sich schnell unnatürlich anhören, wenn wir versuchen, deutlich höher oder tiefer als normal zu sprechen. In einer Studie von Pisanski und Reby (2021) wurde gezeigt, dass Zuhörer mehr als zufällig gut erkennen können, ob ein Sprecher oder eine Sprecherin die Stimme verstellt, um sich anders darzustellen. Allerdings wurde bei Weitem nicht bei allen Sprechenden entlarvt, ob die Stimme verstellt wurde oder nicht. Es kann sich also lohnen, am Klang der eigenen Stimme zu arbeiten, um seine Wirkung auf andere zu verändern. Darauf setzte übrigens schon Margaret Thatcher, die Stimmtraining erhielt, um in der sonst so männerdominierten Politik als dominanter und durchsetzungsfähiger wahrgenommen zu werden.

Zusammengenommen kann man der Stimme, insbesondere der Stimmtiefe, eine wichtige soziale Funktion zuschreiben. Wir nehmen Personen auf Basis ihrer Stimme auf bestimmte Art und Weise wahr, drücken mit unserer Stimme unsere Persönlichkeit aus und variieren unsere Stimme in sozialen Interaktionen. Genaue Einflussfaktoren und Mechanismen, die den Zusammenhang von Stimme und Persönlichkeit erklären, sind derzeit noch unklar und machen neugierig auf zukünftige Forschung.

Zum Weiterlesen

  • Stern, J., Schild, C., Jones, B. C., DeBruine, L. M., Hahn, A., Puts, D. A., Zettler, I., Kordsmeyer, T. L., Feinberg, D., Zamfir, D., Penke, L. & Arslan, R. C. (2021). Do voices carry valid information about a speaker’s personality? Journal of Research in Personality, 92, 104092.
  • Schild, C., Braunsdorf, E., Steffens, K., Pott, F., & Stern, J. (in press). Gender and context-specific effects of vocal dominance and trustworthiness on leadership decisions. Adaptive Human Behavior and Physiology.
  • Schild, C., Stern, J., & Zettler, I. (2020). Linking men‘s voice pitch to actual and perceived trustworthiness across domains. Behavioral Ecology, 31, 164-175.
  • Aung, T., & Puts, D. (2020). Voice pitch: a window into the communication of social power. Current Opinion in Psychology, 33, 154-161.