

Wissenschaftskommunikation
Was kommt nach "X" in der Kommunikation?
"Twitter" war für zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein wichtiger Austauschort: Als Marktplatz der Ideen oder als wissenschaftspolitischer Impulsgeber und internationale Vernetzungsplattform. Aktuell stellen nicht nur viele deutsche Wissenschaftsorganisationen und Hochschulen ihre Aktivität bei dem Micro-Blogging-Nachfolger "X" ein. Auch viele deutsche und internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler löschen ihre Accounts oder teilen mit, diese nicht mehr zu nutzen. Wie kann man noch Wissenschaft auf sozialen Medien kommunizieren?
Nature-Umfrage: 70 Prozent nutzen "Bluesky"
Einige Forschende nutzen vermehrt "LinkedIn", andere wechseln zu "Mastodon". Besonders beliebt bei "Twitter"-Fans ist aber die ebenfalls US-amerikanische Plattform "Bluesky". Sie ist aus einer "Twitter"-Initiative hervorgegangen und inzwischen unabhängig von dem Unternehmen. Allerdings ähnelt sie dem früheren Dienst nicht nur in der Nutzererfahrung, sondern auch optisch: Statt einem blauen Vögelchen wartet ein blauer Schmetterling.
Das britische Wissenschaftsmagazin "Nature" hat Mitte Januar eine nichtrepräsentative Onlineumfrage durchgeführt: Es hatte seine Leserinnen und Leser zu ihrer Nutzung der Plattform "X" befragt. 70 Prozent der teilnehmenden 5.300 Leserinnen und Leser haben demnach angegeben, dass sie "Bluesky" nutzen, 53 Prozent berichten, dass sie auf "X" gar nicht mehr aktiv sind. 55 Prozent von ihnen erläuterten, dass sie Bluesky verwenden, um sich mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu vernetzen, um mit Entwicklungen in der Forschung auf dem Laufenden zu bleiben und um ihre eigene Arbeit zu bewerben.
"Bluesky"-Wachstum Folge von politischen Ereignissen
Eine aktuelle Studie , an der der Informatiker Leonhard Balduf von der Technischen Universität Darmstadt als Erstautor beteiligt war, konnte zeigen, dass "Bluesky" vor allem als Reaktion auf externe, meist politische Ereignisse stark gewachsen ist, etwa die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen im vergangenen November oder die Entscheidung von "X" Ende September, Inhalte und Posts für geblockte Nutzerinnen und Nutzer sichtbar zu machen.
Als Anfang Januar zahlreiche Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen in Deutschland gleichzeitig "X" verließen, begründeten sie dies damit, dass demokratische Werte wie die Freiheit der Wissenschaft, aber auch eine faktenbasierte, transparente Kommunikation nicht mehr möglich seien. Die Plattform verbreite stattdessen Desinformationen und priorisiere demokratie- und menschenfeindliche, rechtspopulistische Inhalte.
Auslieferung an Diskursräume?
Curd Benjamin Knüpfer ist Associate Professor of Political Communication am Digital Democracy Center der Süddänischen Universität und beschäftigt sich mit US-Mediensystemen und politischer Kommunikation. Zum sogenannten "eXit" der Hochschulen und Organisationen merkt er an, dass sich "gerade öffentlich finanzierte Organisationen" fragen müssten, "ob es ein Fehler war, die eigene Öffentlichkeitsarbeit so eng mit diesen Plattformen zu verknüpfen". Man dürfe nicht glauben, dass man über Plattformen wie "X" und "Facebook" "die Öffentlichkeit" in einem freien und gleichberechtigen Raum erreichen könne. Stattdessen lasse man sich ein auf die Regeln einer "Plattform eines privaten Unternehmens, in dem eine Einzelperson den größten Marktanteil hat und auch ideologisch mitentscheidet". Was mit dem diskursiven Raum nun geschehen sei, sei immer "eine Möglichkeit" gewesen.
Annette Leßmöllmann, Professorin für Wissenschaftskommunikation am Karlsruher Institut für Technologie beschreibt es gegenüber "Forschung & Lehre" ebenfalls als "gefährlich", dass sich die deutsche Wissenschaft mit "Twitter" und nun "X" "an ein Diskursökosystem ausgeliefert hatte, das kippen kann". Die in der Wissenschaft vorhandenen innovativen Gestaltungskräfte würden aktuell leider nicht für die Schaffung eines ethisch adäquaten Diskursraums genutzt. Sie habe ihre Aktivitäten bei "X" im Juni 2023 eingestellt, da ein rationaler Diskurs schon da nicht mehr möglich gewesen sei. In der Folge habe sie den Austausch, den sie vormals bei "Twitter" hatte, vermisst: die wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Impulse, die Debatten und die internationalen Vernetzungsmöglichkeiten. Daher sei sie nun bei "Bluesky". Aktuell sei die Stimmung dort "wesentlich angenehmer".
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Welche Social-Media-Plattform gewählt wird
Auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert, Professorin an der Leuphana Universität, ist von "X" zu "Bluesky" gewechselt und hat den Eindruck, dass die neue Micro-Blogging Plattform "Twitter vor 15 Jahren" ähnele. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen seien auch dort vertreten und im Gegensatz zum aktuellen "X" sei es möglich, wissenschaftliche Inhalte auch zu finden, da sie nicht durch den Algorithmus in die Unauffindbarkeit runterpriorisiert würden. Zeitweise sei sie auch bei Mastodon gewesen, aber das habe sich "nicht verfestigt".
Knüpfer erläutert, dass sich bei der Wahl der Plattform "Netzwerkeffekte zeigen: über kurz oder lang werden die Leute dahin gehen, wo die meisten anderen sind". Forschende würden sich für die Plattform entscheiden, auf der sie ein "stabiles Netzwerk von Kolleginnen und Kollegen vorfinden".
Tipps für den Wechsel zu "Bluesky"
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die von "X" zu "Bluesky" wechseln wollen, empfiehlt Annette Leßmöllmann offen und offensiv zu kommunizieren, wo man weiter aktiv sein möchte. Man sollte den Wechsel als Chance ergreifen, sich auf der neuen Plattform umzusehen. Vielleicht finde man bisher noch unbekannte, spannende Diskurse. Auch solle man sich überlegen, wie man selbst in Erscheinung treten wolle. Mit welchem Ziel möchte man kommunizieren? Schließlich solle man sich bemühen, aktiv zu sein, um in Austausch zu kommen. Es gebe Wechselwerkzeuge, die den Wechsel erleichterten, und so genannte Starter Packs helfen beim Aufbau neuer Communities: Man muss also nicht befürchten, bei null anfangen zu müssen.
Mit diesem Angebot von "Bluesky", das die Migration von anderen Plattformen wie "X" zu "Bluesky" erleichtern soll, beschäftigt sich Baldufs Studie: Starter Packs unterstützen Nutzerinnen und Nutzer beim Aufbau eines sozialen Netzwerks. Sie bestehen hauptsächlich aus einer Liste von Accounts, denen man selektiv oder mit einem Click im Ganzen folgen kann. "Etwa sechs Prozent der Starter Packs lassen sich der Wissenschaft zuordnen. Die meisten Starter Packs drehen sich allerdings um Kunst, Journalismus und Politik", erläutert Balduf.
Diverse Institutionen und Forschende stellen Starter Packs für die Wissenschaft oder den Wissenschaftsjournalismus bereit, beispielsweise das Wissenschaftsmagazin "Nature". In der Studie habe sein Autorenteam zeigen können, dass im vergangenen Dezember beispielsweise 40 Prozent aller "Folgen"-Operationen innerhalb des Dienstes auf Starter Packs zurückzuführen seien. Ein negativer Effekt des Angebots ist laut der Studie, dass Nutzerinnen und Nutzer ohne eigene Zustimmung zu Starter Packs hinzugefügt werden und sich nicht selbst wieder austragen können. So könne es sein, dass es zu Missbrauch komme und integre Accounts zu Listen hinzugefügt würden, um diese aufzuwerten. Währenddessen verbreiteten andere Accounts in der Liste negative Inhalte.
Wie geht es mit der digitalen Wissenschaftskommunikation weiter?
Ob "Bluesky" dauerhaft die bessere Alternative zu "X" ist, ist eine offene Frage. Knüpfer erläutert, dass die Micro-Blogging-Alternativen "Bluesky" und "Mastodon" dezentraler aufgebaut sind. So sei es deutlich unwahrscheinlicher, dass eine Einzelperson Entscheidungen treffen könne, die so tiefgreifend waren wie zuletzt bei "X".
Kemfert und Leßmöllmann sind beide skeptisch hinsichtlich "Bluesky" und betonten, dass die Plattform genauso enden könnte wie "X". Eigene Kommunikationskanäle gegen Fake News seien wichtig, so Kemfert, "mehr Bewegung von unten", etwa um selbst unabhängige Plattformen zu entwickeln. Hier sei auch die Wissenschaft gefordert, so Leßmöllmann.
Unabhängig davon, wie die Zukunft aussehen werde, argumentiert Knüpfer: "In der Wissenschaft haben wir den Vorteil, dass wir schon relativ vernetzte Teilöffentlichkeiten haben." Er verweist auf die universitätsinternen Netzwerke, Fachgesellschaften und wissenschaftlichen Journals und ihre Leserschaft.