Eine Familie steht Hand in Hand am Ufer eines Sees.
picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Annette Riedl

Internationaler Tag der Familie
Wie es den Familien der Wissenschaftler geht

Die Corona-Pandemie stellt Familien vor große Herausforderungen. Wie vereinbaren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler derzeit Privates und Beruf?

15.05.2021

Der 15. Mai ist der Internationale Tag der Familie. Zu diesem Anlass hat sich Forschung & Lehre bei Forscherinnen und Forschern erkundigt, welche Auswirkungen die aktuelle Situation mit geschlossenen Betreuungseinrichtungen, Homeschooling und Kontaktbeschränkungen auf sie und ihre Familien hat. Hier gewähren einige von ihnen persönliche Einblicke in die Schwierigkeiten und zeigen neue Möglichkeiten des Zusammenseins auf.

Porträtfoto von Dr. Florian Schulz.
Dr. Florian Schulz ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Staatsinstitut für Familienforschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Benjamin Herges / Universität Bamberg

Dr. Florian Schulz, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

"Die Corona-Pandemie hat den Alltag von Familien und Kindern stark verändert. Nicht zuletzt aufgrund von Schulschließungen, Ausgangssperren, dem Arbeiten zuhause und Kontaktbeschränkungen hat sich das Leben in ungeahntem Ausmaß in den eigenen Wohnraum verlagert. Aus dieser Situation ergeben sich für alle Beteiligten Herausforderungen, aber auch Chancen: Partnerschaften können neu ausgehandelt werden, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern kann sich verändern. Chancen für positive Veränderungen sehe ich beispielsweise in der Umorganisation der Erwerbsarbeit, der Verteilung der Hausarbeit oder der gemeinsam verbrachten Zeit von Eltern und Kindern. Auch wenn diese Chancen nicht überall genutzt werden, haben Familien und Kinder in dieser Hinsicht in den letzten Monaten Unglaubliches geleistet. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist aber ein komplexes Problem und viele Menschen stoßen an ihre körperlichen und psychischen Grenzen, mit pathologischen Folgen wie beispielsweise körperlicher und geistiger Erschöpfung oder häuslicher Gewalt.

Ich als Wissenschaftler bin bisher ganz gut durch diese verrückte Zeit gekommen, unter anderem, weil ich das Arbeiten zuhause und die damit verbundene Flexibilität gewohnt bin und zu schätzen weiß. Dennoch ist der gerade aktuelle Alltag mit Kindern eine große Herausforderung für die es keine Blaupause gibt. Erst wenn eine gewisse "Normalität" zurückgekehrt ist, werden wir abschätzen können, wie gut oder schlecht wir wirklich durch die Krise gekommen sind. Das Spektrum der Auswirkungen der Pandemie auf Familien lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt allenfalls erahnen.

In den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass Familien und Kinder verlässliche Strukturen brauchen, die ihnen dabei helfen, das private Leben und berufliche Verpflichtungen auf eine positive und zumindest nicht gesundheitsschädliche Weise miteinander zu verbinden. Man kann den Eindruck gewinnen, dass Familien und Kinder nicht immer im Mittelpunkt der politischen Diskussion über die Pandemiebewältigung standen und ihre Bedürfnisse nicht durchweg passend adressiert wurden. Dennoch ist klar: Kinder sind unsere Zukunft und es wird viel von den Familien abhängen, wie unsere Zukunft aussehen wird – dass Kinder und Familien dazu förderliche Rahmenbedingungen brauchen, sollte für uns alle eine Selbstverständlichkeit sein."

Porträtfoto von Professorin Sonia Lippke.
Professorin Sonia Lippke hat den Lehrstuhl Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin an der Jacobs University in Bremen inne. Jonas Ginter

Professorin Sonia Lippke, Jacob University Bremen

"Die Zeit der Corona-Pandemie hat gute und schlechte Seiten. Ich kann ganz klar sagen, dass es schön ist, dass wir als Familie so viel zusammen sind. Mein Mann arbeitet auch im Home-Office, ich fahre nur ein bis zweimal die Woche auf den Campus. Meine Kinder (8, 12 und 14 Jahre alt) sind in der Schule, entweder haben sie Wechselunterricht oder sie werden online beschult. Wir frühstücken morgens alle zusammen, kochen und essen meistens auch zu Mittag gemeinsam. Dann treffen wir uns zum Kaffee und kommen zum Abendessen wieder zusammen. Ich wertschätze diese gemeinsame Zeit sehr. Wir haben auch mehr Raum und Energie, Projekte in der Familie zu gestalten. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel im Garten Kartoffeln gepflanzt. Außerdem machen wir zusammen Sport. Mit meiner Tochter gehe ich gerne in den Park, neue und interessante Wege erkunden. Solche Unternehmungen haben wir früher nicht gemacht. Gleichzeitig fühlen wir uns aber auch sehr eingeschränkt. Wir sind gut strukturiert und geben uns gegenseitig genug Raum, auch wortwörtlich. Aber den familiären und beruflichen Anforderungen permanent parallel gerecht zu werden, ist schon eine große Herausforderung.

Das Multitasking ist sehr zermürbend. Das hat bei mir zum Beispiel zur Folge, dass ich neben meinen Kindern sitze, während sie einen Film gucken. Dann bin ich in einer Videokonferenz oder beantworte Mails, weil ich sonst mit der Zeit nicht hinkomme. So richtig zuwenden kann ich mich den Kindern dann nicht. Außerdem mache ich mir Sorgen, zum Beispiel um meine Eltern, ob es ihnen gut geht und sie gesund sind oder auch um meine Kinder. Es kommen Gedanken, ob sie zu selten rausgehen, sich zu sehr zurückziehen oder zu viel online unterwegs sind. Ich befürchte auch, dass manches Schöne von früher nicht zurückkommt, zum Beispiel hatten wir früher Opa-/Oma-Tage. Zudem vermisse ich auch das Reisen, das ist so wichtig ist zur Erweiterung des Horizonts."

Porträtfoto von Dr. Isabell Winkler.
Dr. Isabell Winkler ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Forschungsmethodik und Evaluation in der Psychologie an der Technischen Universität Chemnitz. privat

Dr. Isabell Winkler, Technische Universität Chemnitz

"Die momentane Lage von Berufstätigen mit Kindern ist generell schwierig, egal ob sie in der Wissenschaft tätig sind oder anderswo. Insbesondere, wenn die Kinderbetreuungszeiten durch Kitas und Schulen eingeschränkt oder – wie gerade in Chemnitz seit einigen Wochen – ganz ausgesetzt sind. Mein Partner und ich sind beide in Vollzeit berufstätig. Wir sind mit unseren Töchtern im Homeoffice und ohne die Unterstützung der Großeltern, die jede Woche an zwei Tagen die Betreuung übernehmen, ginge es nicht. Viel Arbeit lagert sich auf das Wochenende aus, Zeit für sich selbst bleibt kaum. Natürlich ist uns klar, warum die Maßnahmen notwendig und richtig sind.

Die aktuelle Situation spaltet besonders in der Wissenschaft sehr stark zwischen Beschäftigten mit Kindern und ohne. Ich höre von kinderlosen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern häufig, dass die Pandemiesituation eine der produktivsten ihrer bisherigen Karriere sei, und merke, dass sie sich nur schwer in den derzeitigen Alltag mit Kindern hineinversetzen können. Im Moment scheint es für eine wissenschaftliche Karriere noch einmal mehr als ohnehin schon dienlich zu sein, keine Kinder zu haben.

Von Seiten der Universitätsleitung wird bereits viel unternommen, um die erschwerte Lage von Beschäftigten mit Kindern auszugleichen, etwa durch den expliziten Aufruf, solche Angestellte, wann immer möglich zu entlasten. Auch ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz für die Dauer der Einschränkungen durch die Pandemie ausgesetzt. Jedoch laufen befristete Stellen natürlich trotzdem aus und im Lebenslauf werden Produktionslücken sichtbar.

Es wird von staatlicher Seite Geld investiert, um die wissenschaftliche Karriere von Frauen zu fördern, die auf den höheren Ebenen noch immer stark unterrepräsentiert sind. Allerdings kann all dies kaum ausreichen, wenn es kein Bewusstsein dafür gibt, dass das Vorhandensein von Kindern ein Wert ist, der bei Bewerbungen berücksichtigt oder sogar gefördert werden sollte. Es wird von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beispielsweise nach wie vor erwartet, örtlich flexibel zu sein und an verschiedenen Universitäten gearbeitet zu haben. Versucht man das zu bewerkstelligen, müssen Elternteile dadurch häufig getrennt leben, Großeltern können nicht überall als wichtige Betreuungsressource zur Verfügung stehen und die Kinder werden aus ihrem gewohnten Lebensmittelpunkt gerissen. Insbesondere in der Pandemiesituation wird deutlich, wie negativ sich diese Anforderungen auswirken. Ein größeres Bewusstsein für die enorme Leistung, die Eltern aktuell erbringen, wäre wünschenswert."

Porträtfoto von Professorin Katharina Zweig.
Professorin Katharina Zweig ist Leiterin der Arbeitsgruppe Algorithm Accountability Lab des Fachbereichs Informatik der Technischen Universität Kaiserslautern. privat

Professorin Katharina Zweig, Technische Universität Kaiserslautern

"Die Corona-Pandemie und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Hat uns die Zeit der Einsiedelei geholfen, weil Dienstreisen abgesagt wurden, Meetings digital eher kürzer wurden und wir uns auf das Eigentliche, das Wesentliche konzentrieren konnten, auf die Wissenschaft? Es scheint zumindest so, dass deutlich mehr Forschungsanträge geschrieben wurden – ich habe von einer Stiftung gehört, die plötzlich Hunderte von Anträgen auf dem Tisch hatte, wo Dutzende erwartet wurden. Aber gilt das für alle von uns? Die Situation der Familien wird immer wieder diskutiert. Die Pandemie hat gezeigt, wie vulnerabel die Betreuungsstrukturen sind, unter denen wir arbeiten.

Mich persönlich hat es mit zwei Kindern (6 und 12) noch am wenigsten betroffen: Der Teilzeitvertrag meines Mannes endete im Mai 2020, er arbeitet zu 25 Prozent in unserem gemeinsamen Start-Up mit und kümmert sich ansonsten um die Kinder. Eine sehr privilegierte Situation, da ich als Professorin im Homeoffice arbeiten kann und wir ein Haus haben, in dem das auch in Ruhe machbar ist.

Aber natürlich hat sich auch für mich der Anteil am Haushalt und die Zeit mit den Kindern erhöht: Zur Betreuung bei den Schulaufgaben, um sie mal auf einen Fahrradausflug nach draußen zu scheuchen oder um sie zu beschäftigen, weil Freunde nicht kommen durften. Daneben hat die große Belastung mit der digitalen Lehre einen Hauptteil meiner Arbeitszeit gefressen – im Frühling 2020 bin ich zusammen mit meinen anderen Verpflichtungen daher weder zur Forschung noch zum Antragschreiben gekommen.

Ist die Schere also weiter aufgegangen zwischen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Kindern und denen ohne? Vermutlich, denn in jedem Fall hatten diejenigen mehr Zeit, die in Ruhe daheim arbeiten konnten. Es ist daher wichtig, dass wir in den Bewerbungen auf Professuren in den nächsten Jahren darauf achten, bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Kindern nachzufragen: "Wie war dein Corona-Jahr?", und die Antwort bei der Bewertung ihrer Leistungen berücksichtigen."

Porträtfoto von Professor Kristian Franze.
Kristian Franze ist Professor für Medizinische Physik und Mikrogewebetechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und einer der Direktoren des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin. privat

Professor Kristian Franze, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

"Wissenschaftler – jemand der "Wissen schafft" – das ist eigentlich nicht nur Beruf sondern Berufung. Jedenfalls für mich. Corona hat dafür die Vorzeichen gründlich verändert, Forschung für mich schwieriger gemacht. Spontanität und Kreativität sind entscheidende Faktoren für erfolgreiche Wissenschaft, gehen aber leider gar nicht mit Corona-Einschränkungen und Regeln konform. Im Moment fühlt es sich eher wie "Wissen erhalten" als "Wissen schaffen" an...

Meine Kern-Familie hat es sicher enger zusammengebracht, allerdings waren wir auch vorher nicht weit voneinander entfernt, da ich bekennender "Familienmensch" bin. Ein "Besinnen auf das Wesentliche" war daher nicht wirklich nötig, eine damit zusammenhängende "Euphorie" blieb aus. Großeltern, Tanten und Onkel kann man in unserem Fall durchaus per Videochat besuchen, das war durch Auslandsaufenthalte sowieso schon länger so. Allerdings wäre es natürlich viel schöner für uns alle, den Rest unserer Familie nun endlich auch "in echt" sehen zu können, nachdem wir seit mehr als zwölf Jahren Cambridge wieder in Deutschland sind. Freunde und soziale Kontakte fehlen auch sehr und sind nicht virtuell zu ersetzen.

Da muss man besonders bei kleinen Kindern einiges auffangen und kompensieren, und ist am Ende doch über die schon sichtbaren Folgen des Lockdowns entsetzt. Homeschooling ist definitiv keine gute Option und schafft erhebliche Spannungen. Dabei geht es nicht darum, ob man es leisten kann, den Kindern fachliche Inhalte zu vermitteln, sondern um soziale Aspekte. Mittlerweile stehen alle Familienmitglieder wegen der wöchentlich wechselnden Maßnahmen unter Stress. Ich bin sehr froh, dass meine Frau und ich so ein gutes Team sind, so dass wir am Ende trotz allem gemeinsam mit unseren Kindern noch viel zu lachen haben.

Mein Fazit: Wir meistern die derzeitige Situation, familiär als auch beruflich, gut. Uns fehlt es an nichts und man genießt und erlebt bewusst, was sich Positives bietet. Eine Rückkehr zu einem beschränkungsfreien Leben steht jedoch ganz oben auf meiner Wunschliste, und auf der meiner Familie, Freunde und Mitarbeiter auch."

cpy/inv