Grafik als Darstellung von Teamwork, in der Mitte steht das Wort Team
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Karrieren in der Wissenschaft
Wie soziale Aspekte zum Erfolg führen

Was ist wichtig, um mit anderen Menschen in Forschung und Lehre erfolgreich zusammenzuarbeiten? Ein Gespräch mit Verhaltensökonom Matthias Sutter.

Von Friederike Invernizzi 10.06.2022

Forschung & Lehre: Herr Professor Sutter, Ihr neuer Ratgeber für beruflichen Erfolg trägt den Titel "Der menschliche Faktor". Was ist damit gemeint?

Matthias Sutter: Mit dem Titel will ich zum Ausdruck bringen, dass Menschen sich im Beruf "verstehen müssen", da sie sich täglich begegnen und miteinander zu tun haben. Man braucht ein gewisses Maß an wechselseitiger Toleranz, um zurecht zu kommen. Geld, Profit und Erfolg sollten bei meinem Buch nicht im Vordergrund stehen, sondern die Einsicht, dass der Mensch als soziales Wesen das ist, was uns auszeichnet. Die Formulierung "verstehen müssen" habe ich insofern gewählt, da man sich die Menschen, mit denen man zu tun hat, in den seltensten Fällen aussuchen kann. Das ist auch in der Wissenschaft so. Beispielsweise arbeite ich hier am Max-Planck-Institut mit 100 Leuten zusammen. Damit die Zusammenarbeit und die Forschung gut funktionieren, müssen wir "miteinander" arbeiten. Die Vorstellung, dass man in der Forschung als Einzelkämpfer noch erfolgreich sein kann, ist passé. Gute Zusammenarbeit ist eine Grundvoraussetzung, von der der Erfolg abhängt und damit die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Arbeit ist ein großer Teil unseres Lebens. Wenn wir zur Arbeit gehen und jeden Morgen damit "kämpfen", weil wir nicht mit anderen Leuten klarkommen, dann führt das nicht weiter.

Portraitfoto von Professor Matthias Sutter
Professor Matthias Sutter ist Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. ECONtribute: Markets&Public Policy

F&L: Erfolgreiche Forschung hängt also nicht nur von guten Ideen ab, sondern auch von den sogenannten sozialen Fertigkeiten... können Sie uns diese beschreiben?

Matthias Sutter: Das Wichtigste ist meines Erachtens gegenseitige Wertschätzung. Es muss klar sein, dass in der Forschungsarbeit alle gleich sind. Das ist aber leider nicht jedem bewusst. Ich bringe also meinem Gegenüber und den anderen im Team zum Ausdruck, dass es ohne sie oder ihn nicht gehen würde. Das schafft Teamgeist. Durch die langen Publikationszyklen arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler teils sehr lange zusammen, und es ist daher wichtig, da dranzubleiben. Was auch dazu gehört, ist ein gutes Projektmanagement beziehungsweise eine gute Koordination, das heißt, sich darüber zu verständigen, wer wann und wo was tut. Insbesondere bei Tätigkeiten, die nicht von Routine geprägt sind, wie in der Wissenschaft, ist das ganz wichtig. Zudem müssen unterschiedliche Interessen zusammengebracht werden. In der akademischen Welt gibt es Konflikte über Kleinigkeiten, die wie sozialer Sprengstoff wirken, zum Beispiel, wessen Name bei einer Publikation ganz vorne steht. Zur Lösung solcher Konfliktsituationen braucht man soziale Fähigkeiten, um Kompromisse finden zu können.

F&L: Warum fällt es Menschen teils schwer, die Bedeutung dieses sozialen Miteinanders im Beruf zu sehen?

Matthias Sutter: Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern antworten mir auf meine Hinweise oft, dass es doch selbstverständlich sei, dass man sich bemühen müsse, miteinander zurechtzukommen. Darüber müsse man doch nicht sprechen. Gleichzeitig aber ist der akademische Alltag leider häufig von Konkurrenzverhalten, Neid und Kompetenzstreitigkeiten geprägt. Um das zu verhindern oder zumindest abzuschwächen, braucht es eben regelmäßigen Austausch, um ein Verständnis füreinander zu entwickeln.   

F&L: Sie beschäftigen sich in Ihren Studien unter anderem damit, wie wichtig Geduld für den beruflichen Erfolg ist. In welcher Hinsicht ist Geduld in der wissenschaftlichen Karriere wichtig?

Matthias Sutter: Ohne Geduld kommt man in der Wissenschaft nicht weit. Beispielsweise hatten wir im Februar 2000 eine Forschungsidee formuliert, die wir schließlich 2010 nach langem Hin und Her veröffentlicht haben, also zehn Jahre später. Vier von fünf Top-Zeitschriften der VWL haben wir angeschrieben, keine hat das Papier veröffentlicht. Wir haben es dann noch einmal gründlich überarbeitet und verbessert, dann ist es bei der fünften Zeitschrift schließlich genommen worden. Das kann man nur machen, wenn man Ausdauer hat und einen dazu passenden Arbeitsvertrag. Sonst werden Projekte schnell irgendwo billig verkauft oder abgebrochen. In der Forschung ist also Frustrationstoleranz das Nonplus­ultra. Die meisten Forschungsanträge werden abgelehnt. Das ist sehr frustrierend, und wer das nicht aushalten kann, der findet in der Wissenschaft keinen Platz. Ich habe manche meiner besten Leute am Institut aus diesem Grund verloren. Die kamen zu mir und sagten: "Das geht mir so auf die Nerven, ständig bekomme ich negative Rückmeldungen, mit wenigen Ausnahmen. Und es dauert Jahre, bis man die Ideen gut unterbringt. Da gehe ich lieber in eine Unternehmensberatung und mache ein dreimonatiges Projekt und dann ist das erledigt." Ich bedaure das sehr, aber verstehe es sehr gut. In einer akademischen Karriere ist eben schneller Erfolg nicht möglich.

F&L: Ist für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Sich Besinnen auf die eigentlichen Ziele sehr wichtig?

Matthias Sutter: Klar muss sein, was das oberste Ziel ist, denn so kann man lange Durststrecken durchhalten. Hier passt für mich das Bild einer Wanderung auf einen hohen Berg sehr gut. Auf dem Weg zum Gipfel ist nicht immer alles lustig. Es ist eine schweißtreibende Sache. Im schlimmsten Fall muss man sogar manchmal umkehren und wieder ins Tal wandern, um an der anderen Seite erneut in Richtung Gipfel zu steigen. Das macht man nur, wenn man weiß, warum man es macht. Ganz wichtig auf diesem Weg ist auch, dass man sich von sich selbst distanziert beziehungsweise unterscheidet zwischen dem wissenschaftlichen Werk und der eigenen Person. Das habe ich selbst über einige Jahre lernen müssen, und ich versuche jetzt, es meinen jungen Leuten mitzugeben. Die Ablehnung von Forschungsanträgen oder Aufsätzen habe ich früher sehr persönlich genommen in dem Sinne, dass ich dachte, ich bin nicht gut genug. Es war wie eine persönliche Ohrfeige! Aber man selbst ist gut, nur das Projekt ist nicht gut genug. An letzterem muss man arbeiten. Das ist nicht einfach, denn natürlich sind die eigenen Werke auch immer der ureigene Ausdruck von sich selbst.

"Niemand sollte abwarten, bis jemand anderes mit gutem Beispiel vorangeht oder sich um das Ziel bemüht, sondern sich selbst, so wie er es kann, einbringen." Matthias Sutter

F&L: Teamfähigkeit ist eine der Anforderungen, die für die nachwachsende Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer wichtiger wird. Wie sieht erfolgreiche Teamarbeit aus?

Matthias Sutter: Bei Teamwork denke ich immer zuerst an den Spruch von Mahatmi Gandhi: "Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt." So stelle ich mir gute Führung im Team und auch den Geist in Arbeitsgruppen vor. Niemand sollte abwarten, bis jemand anderes mit gutem Beispiel vorangeht oder sich um das Ziel bemüht, sondern sich selbst, so wie er es kann, einbringen. Selbst proaktiv sein, sich nicht zu schade sein, die Ärmel hochzukrempeln und die Finger dreckig zu machen. Außerdem spielt die Organisation von Teamarbeit eine große Rolle. Alle im Team sollten möglichst viel Erfahrungen sammeln, bei allen Prozessen eines Projekts beteiligt sein. Als Doktorand sollte man beispielsweise lernen: Was kann ich gut? Wo muss ich anfangen zu arbeiten? Welche Fähigkeiten aus dem Bereich Management sind nötig? und so weiter. Ich habe vor 25 Jahren meine Experimente fürs Labor selbst programmiert. Das hilft mir heute zu verstehen, ob das, was Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter programmieren, Hand und Fuß hat. Diese Art von Teamorganisation, wo jeder sich grundsätzlich in allen Bereichen auskennt, hält den "guten Geist" aufrecht in dem Sinne, dass sich niemand zu schade oder zu gut ist für etwas, sondern im Grunde jeder Hand anlegen kann.

F&L: Sie betonen die Freude am gemeinsamen Tun...

Matthias Sutter: Ja, denn gerade im Team erfolgreich zu sein, macht viel mehr Spaß. Ich  finde es viel erfreulicher, eine gelungene Publikation nicht alleine erarbeitet zu haben. Es ist wie beim Fußball: Natürlich sticht Robert Lewandowski bei Bayern heraus, aber ohne seinen Tormann und Verteidiger und Mittelfeldspieler kann er auch nichts machen. Gemeinsam zu gewinnen ist motivierend, denn man hilft sich wechselseitig und kommt weiter.

F&L: Auch die Wettbewerbsbereitschaft ist in der Wissenschaft wichtig für den beruflichen Erfolg. Sie zeigen in Ihrem Buch, dass das Verhalten von Frauen und Männern in Wettbewerbssituationen unterschiedlich ist...

Matthias Sutter: Das ist in der Tat ein sehr wichtiger Aspekt, der große Auswirkungen auf den beruflichen Erfolg und die Bezahlung von Frauen in der Wissenschaft hat. Haben Sie je einen Mann sagen hören: "Ah, ich weiß nicht, ob ich das kann, ob ich mir das zutraue." Hören Sie Frauen so etwas sagen? Sehr häufig! Ich habe viele meiner allerbesten Doktorandinnen für die Wissenschaft "verloren". Natürlich kommen bei der Abkehr von der Wissenschaft immer viele Dinge zusammen, und es hat nicht nur mit der Wettbewerbsbereitschaft zu tun. So beispielsweise die Überlegungen, wie Frauen die Familienplanung und eine Karriere in der Wissenschaft unter einen Hut bekommen können. Viele Frauen fragen sich dann: Schaffe ich das? Kann ich das? Finde ich einen Partner, bei dem ich weiter "dran" bleiben kann? Was mache ich, wenn ich Mutter werde? Kann ich beides haben? Nach meiner Erfahrung trauen es sich viele gut qualifizierte Frauen nicht zu, da sie die Sorge haben, dass sie nicht ernst genommen werden, oder weil sie nicht sicher sind, dass sie nach der Geburt der Kinder weiter arbeiten "dürfen". Meiner Meinung nach sollte es Frauen viel mehr erlaubt sein, die "Ellbogen auszufahren", eine Situation, die vielen Frauen unangenehm ist.

F&L: Warum ist das Ihrer Einschätzung nach den Frauen oft unangenehm?

Matthias Sutter: Nehmen Sie die Gehaltsfrage. Schon beim Berufseinstieg verdienen Frauen weniger als Männer in gleicher Position. Sie fragen im Vorstellungsgespräch und während ihrer Karriere nicht oder seltener nach mehr Gehalt. Männer hingegen fragen gerne nach, ob es etwas mehr sein darf. Wenn es nicht möglich ist, ist es kein Problem, dann ist es halt so! Wenn man sich das Szenario anschaut, dann hat man den Gender Pay Gap direkt schon zu Beginn der Karrieren. Das geht immer so weiter, da das nächste Gehalt meist vom vorherigen abhängt. Mit anderen Worten: Es gibt sicherlich viele Gründe für die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen, aber ein Mosaiksteinchen bei den Ursachen dafür liegt im unterschiedlichen Verhandlungsverhalten. Frauen vermeiden eher, auch weil es sozial unerwünscht ist, nach mehr Geld zu fragen. Das hat sehr viel mit Geschlechterstereotypen zu tun. Eine Lösung dafür ist, in Stellenangeboten darauf hinzuweisen, dass über das Gehalt verhandelt werden kann. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass Frauen dann genauso oft nachfragen wie Männer.

F&L: Inwieweit ist charismatische Führung in Forschung und Lehre von Bedeutung?

Matthias Sutter: Charisma hat insbesondere in der Lehre viel mit Klarheit in der Sprache und mit Motivationskraft zu tun, beispielsweise Sprechen in Bildern. Das kann man mit einer Predigt vergleichen, die mit einem Bild beginnt, um dann in der Auslegung des Bildes die Konturen scharf zu machen. Das kann man lernen. Mit der richtigen Wortwahl kann man die Menschen mitnehmen und mit ihnen auf Augenhöhe sprechen. Charisma ist aber auch, wenn man für ein Thema brennt, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Feuer in den Augen über ihre Forschungsgebiete sprechen. Das hat etwas Ansteckendes.

Zum Weiterlesen

Sutter, Matthias. 2022. "Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt – 50 verhaltensökonomische Erkenntnisse". Hanser Verlag.