Frau und "Ping" Sprechblase, Illustration im Comic Stil.
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Technostress
Wie (un-)gesund ist digitale Arbeit?

Keine technologische Revolution prägt unseren Arbeitsalltag so nachhaltig wie die Digitalisierung. Neben Vorteilen zeigen sich auch Schattenseiten.

Von Nico Dragano 04.04.2023

Universitäten und Forschungseinrichtungen waren von Beginn an Motoren der Digitalisierung. Das bezieht sich sowohl auf die Entwicklung digitaler Technologien als auch auf deren Nutzung für vielfältige Forschungs- und Lehraufgaben. Dass die erste in Deutschland empfangene E-Mail am 3. August 1984 bei einer Universität (Karlsruhe) einging, ist ein symbolisches Beispiel dafür. Seitdem sind einige Mails dazugekommen und in den meisten Gebieten der Wissenschaft ist die Arbeit mit digitalen Technologien heute Alltag.

Angesichts der ubiquitären Verbreitung ist es wichtig zu klären, ob die Digitalisierung der Arbeit Konsequenzen für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten hat. Nach heutigem Wissensstand lautet die Antwort "ja", denn es ist möglich, dass im Umgang mit Hard- und Software spezifische gesundheitliche Belastungen entstehen. Diese können unter dem Begriff "Technostress" summiert werden. Er geht auf den Psychologen Craig Brod zurück, der sein 1984 erschienenes Buch so betitelte. Brod beschreibt darin, dass viele seiner Patientinnen und Patienten die sich damals rasant verbreitenden Computer als Belastung erlebten. Sie schilderten beispielsweise Probleme, wie monotone Bildschirmarbeit oder hohe Komplexität: "Computers have traditionally been accompanied by manuals full of technical instructions that sometimes seem designed primarily to drive people crazy" (Brod 1984, S. 52).

Mit zunehmender Digitalisierung wurde die Forschung zu den Gesundheitsfolgen intensiviert. Mittlerweile sind einzelne Auslöser von Technostress beschrieben, und es wurde untersucht, wie diese Erfahrungen "unter die Haut gehen". Zunehmend werden auch Gegenmaßnahmen erprobt, die Technostress vorbeugen sollen.

Technostress ist eine psychische Arbeitsbelastung

Grundsätzlich handelt es sich bei Technostress um eine psychische Arbeitsbelastung, die über verschiedene Mechanismen auf die Gesundheit wirkt. Der zentrale Mechanismus scheint aber die Aktivierung des biologischen Stresssystems durch bestimmte Merkmale digitaler Arbeit zu sein. Das körpereigene Stresssystem reagiert in diesem Fall auf Situationen, die (auch unterschwellig) als herausfordernd oder bedrohlich empfunden werden, mit physiologischen Veränderungen (zum Beispiel Blutdruckerhöhung, Ausschüttung von Stresshormonen). Geschieht dies längerfristig, drohen stressassoziierte Erkrankungen wie Depressionen oder Herzkrankheiten.

Die Auslöser von Technostress können unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden, und es gibt verschiedene Kategoriensysteme, beispielsweise die international verbreitete Unterscheidung von "Techno-Stressoren" von Tarafdar et al. 2007. Für diesen kurzen Beitrag möchte ich aber eine einfache Unterteilung wählen und eine Art Kontinuum beschreiben. Am einen Ende entsteht die Belastung als unmittelbare Reaktion auf die eingesetzte Technologie (direkte Effekte) und am anderen Ende ist die Technologie ein Vehikel, das die Entstehung anderer, nicht primär technologischer Belastungen begünstigt (indirekte Effekte). Dazwischen liegt eine Grauzone, in der direkte und indirekte Einflüsse zusammenkommen.

Technostress als direkte und indirekte Reaktion auf eine Technologie

Direkte Effekte resultieren unmittelbar aus problematischen Nutzererfahrungen. Stressauslösend sind vor allem Situationen, in denen eigene Ziele bedroht oder herausgefordert werden. Das ist etwa der Fall, wenn die eigene Produktivität und die Kontrolle über die Arbeitszeit leiden, weil eine unzuverlässige Technologie die Arbeit immer wieder verzögert. Unzuverlässige Technik (Systemabstürze, Softwarefehler, instabile Internetverbindungen und vieles mehr) ist tatsächlich eine häufig beschriebene Quelle von Technostress. In einem Experiment von Riedl et al. wurde beispielsweise beobachtet, dass Teilnehmende Stresshormone ausschütteten, wenn während einer digital zu bearbeitenden Aufgabe Zusammenbrüche des Systems simuliert wurden. Beispiele für weitere Formen direkter Effekte sind Stress durch eine schlechte Bedienbarkeit von Software oder Ermüdungserscheinungen bei Bildschirmarbeit.

"So scheint es eine Tendenz zur Arbeitsverdichtung zu geben."

Indirekte Effekte vermitteln sich über den Umweg anderer, meist "analoger" Arbeitsbelastungen. Die Nutzung digitaler Technologien erfolgt nicht isoliert, sondern ist Teil des gesamten Arbeitssystems. Sie wird einerseits für bestimmte Tätigkeiten eingesetzt und beeinflusst andererseits, wie die Arbeit organisiert und erledigt wird – einschließlich Arbeitsort und -zeit. Im günstigen Fall kann klug eingesetzte Digitalisierung die Arbeitsorganisation verbessern, es kann aber auch das Gegenteil eintreten. So scheint es eine Tendenz zur Arbeitsverdichtung zu geben. Da es technisch einfach ist, große Informationsmengen zu übermitteln, schnell auf unterschiedlichen Kanälen zu kommunizieren oder verschiedene Vorgänge gleichzeitig zu bearbeiten, kann es leicht zu Überforderung kommen, die – auch in analoger Form – eine gesundheitliche Belastung darstellt. Ein aktuell diskutiertes Beispiel sind die allseits beliebten Videokonferenzen. Die entsprechenden Tools ermöglichen es, ein Meeting an das andere zu reihen. Das kann alleine wegen fehlender Pausen erschöpfend sein, erhöht aber auch die Arbeitslast, da Zeit für andere Aufgaben fehlt. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Distraktion. Am Bildschirm lauern ständig Ablenkungen, etwa aufblinkende Chatnachrichten oder das gesamte Internet im Browserfenster. Ablenkungen sind aber mit psychischen Kosten verbunden, da es jedes Mal viele Minuten dauert, sich wieder auf die eigentliche Aufgabe zu konzentrieren.

Eine ebenfalls häufig diskutierte Problematik ist die Tendenz zur Entgrenzung, also der Diffusion von Arbeit in andere Lebensbereiche. Auch dies war schon in der analogen Arbeitswelt möglich, heute ist es aber einfacher denn je, überall und zu jeder Zeit zu arbeiten und so Rollenkonflikte beispielsweise mit unbezahlter Care-Arbeit zu riskieren. Allerdings, und dies leitet zu Gegenmaßnahmen über, gibt es auch Hinweise darauf, dass diese Flexibilität bei manchen Beschäftigten vorteilhafte Effekte hat. So könnten Eltern mit digitalen Tools ihren Arbeitstag nach ihren Bedürfnissen gestalten, was teils als entlastend empfunden wird. Es ist also kein Automatismus, dass digitale Arbeit zu Stress führt. Richtig und bedürfnisgerecht gestaltet, dürfte sie sogar gesundheitsförderlich sein.

Technologie bewusst in das Arbeitssystem einbinden

Dies erfordert aber eine bewusste Einbindung von Technologie in ein humanes Arbeitssystem. Hierzu sind einige Prinzipien bekannt. Zunächst ist es die Aufgabe der Organisation, Technologie so auszuwählen und einzusetzen, dass Beschäftigte entlastet werden. Dies kann durch eine partizipative Auswahl neuer Systeme geschehen, aber auch durch explizite Regeln für den Umgang mit Anwendungen (etwa E-Mail-freie Zeiten) oder die Schaffung von effizienten IT-Supportstrukturen. Auch die Qualifikation von Beschäftigten kann Technostress vermeiden helfen. Die Nutzerinnen und Nutzer können auch selber reagieren, zum Beispiel kann das eigene Nutzerverhalten kritisch hinterfragt und modifiziert werden. So wird Stress beispielsweise alleine dadurch reduziert, dass E-Mails beziehungsweise Messenger nur zu wenigen, festgelegten Zeiten am Arbeitstag bearbeitet werden und ansonsten schweigen. Eine Verantwortung kommt aber auch den Entwicklerinnen und Entwicklern zu, die ja nicht selten im Bereich der Wissenschaft tätig sind. Sie sollten die Prinzipien der gesundheitsförderlichen Gestaltung von Soft- und Hardware kennen und berücksichtigen.

Zum Weiterlesen:

Dragano, Nico; Lunau, Thorsten (2020): Technostress at work and mental health: concepts and research results. In: Current opinion in psychiatry 33 (4), S. 407–413.

La Torre, G.; Esposito, A.; Sciarra, I.; Chiappetta, M. (2019): Definition, symptoms and risk of techno-stress: a systematic review. In: Int Arch Occup Environ Health 92 (1), S. 13–35.

Tisch, Anita; Wischniewski, Sascha (Hg.) (2022): Sicherheit und Gesundheit in der digitalisierten Arbeitswelt. Kriterien für eine menschengerechte Gestaltung. 1. Auflage. Baden-Baden: Nomos (Edition sigma).