Wegen Stromausfällen und Brennstoffknappheit zünden Menschen im Libanon Kerzen an, auch Studierende bereiten sich so auf ihre Veranstaltungen vor.
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Libanon
"Die Situation an den Hochschulen ist desolat"

Der Libanon leidet neben der Corona-Pandemie auch unter einer Wirtschaftskrise. Die Hochschulen sind ebenfalls betroffen. Woher kommt Hilfe?

Von Charlotte Pardey 11.08.2021

Der Libanon kämpft nicht nur mit der globalen Corona-Pandemie, sondern auch mit der schlimmsten wirtschaftlichen Krise seit Jahrzehnten. Verschlimmert hat sich die Lage zuletzt durch eine gewaltige Explosion im Hafen von Beirut vor etwas über einem Jahr, die bisher kaum offiziell aufgeklärt oder aufgearbeitet ist. Nach der Explosion war die Regierung zurückgetreten, die Bildung eines neuen Kabinetts scheitert seither. Das politische Missmanagement dauert seit Monaten an. Viele Libanesen haben ihre Arbeitsstellen verloren, die Landeswährung ist entwertet und die Preise haben sich vervierfacht. Die Hochschulen des Landes sind mitbetroffen.

"Die Situation an libanesischen Hochschulen ist desolat. Die libanesische Währung hat in den letzten zwei Jahren ungefähr 90 Prozent ihres Wertes verloren. Das gebührenfinanzierte Hochschulsystem des Landes hat jegliche Tragfähigkeit verloren", berichtet Dr. Christian Hülshörster, Bereichsleiter Stipendienprogramme Südliche Hemisphäre des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).

Libanesische Hochschulen in der Krise

Der Libanon verfügt über nur eine staatlich finanzierte Hochschule neben 50 privaten Einrichtungen: "Die staatliche Université Libanaise ist für Einheimische vergleichsweise günstig und verlangt für das Studium nur eine Registrierungsgebühr von etwa 500 US-Dollar im Jahr. Alle anderen Institutionen finanzieren sich über Studiengebühren, die für ein grundständiges Studium schnell zwischen 20.000 und 30.000 US-Dollar pro Jahr verlangen", erklärt Hülshörster.

Professorin Zeinab Saad, Koordinatorin des Büros für Internationale Beziehungen der Université Libanaise erläutert, dass an ihrer Universität die Hälfte aller Studierenden im Libanon ausgebildet werde, etwa 87.000 Studierende verteilen sich aktuell auf die verschiedenen Standorte im Land. Durch die wirtschaftliche Krise habe die Universität im letzten Jahr einen Zuwachs an 5.000 Studierenden verzeichnet, viele von ihnen wechselten wohl von einer der privaten Universitäten des Landes an die staatliche Einrichtung. Währenddessen seien dort selbst die vergleichsweise geringen Registrierungsgebühren für viele Studierende zu hoch.

"Die wirtschaftliche Krise betrifft Familien von fast allen finanziellen Niveaus. Sie verhindert, dass sie das Studium ihrer Kinder finanzieren können. Viele Studierende müssen neben der Universität arbeiten, um weiter studieren zu können. Es ist aber auch nicht einfach Arbeit zu finden", erläutert Saad. Selbst wenn Studierende eine Anstellung fänden, reiche der Lohn wegen der konstanten Entwertung des Geldes nicht aus.

Professor Salim Daccache, Präsident der Libanesischen Hochschulvereinigung und Rektor der privaten Université Saint-Joseph de Beyrouth beobachtet eine zunehmende Emigration der libanesischen Jugend: Abiturienten und Studierende, die könnten, verließen das Land, um nach Frankreich, Deutschland, Belgien, Kanada oder in die Schweiz und die Vereinigten Staaten zu gehen. Andere brächen ihre Studiengänge ab. Seine Universität, die aktuell 12.000 Studierende besuchten, habe so 700 Studierende verloren.

Daccache erläutert, dass die wirtschaftliche Krise auch zu einer Knappheit von beispielsweise Papier, Heizöl und Benzin führe, und auch die Elektrizität offiziell nur für vier Stunden am Tag gesichert sei. Darüber hinaus werde Strom privat erzeugt und bezahlt. Die Energieversorgung erschwere den Zugang zum Internet, was wiederum Folgen für die notwendig gewordene Onlinelehre habe.

Hochschulbudgets und die Währungsentwertung

Ein Problem ist die Kopplung der Währung an den US-Dollar, die seit 1997 besteht, ebenso wie der offiziell fixierte Dollarwechselkurs von 1.515 libanesischer Pfund pro Dollar. Der offizielle Wechselkurs ist im Alltag nicht relevant, da der Landeswährung ein deutlich geringerer Wert zugeschrieben wird, als festgelegt ist. Aktuell läge der Tauschwert des Dollars schätzungsweise bei 20.000 libanesischer Pfund, berichtet Daccache. Einige Universitäten hätten den für sie gültigen Gegenwert des Dollars auf 3.900 Pfund angehoben, was zu Kritik der Studierenden geführt habe. Saint-Joseph sei wie die Mehrheit der Universitäten bisher bei 1.515 geblieben. Für das kommende Hochschuljahr vermutet Daccache allerdings, dass für das kommende Hochschuljahr auch seine Universität den Wechselkurs wird anheben müssen, um Lehrende und Verwaltungsangestellte besser bezahlen zu können. Er rechnet mit einer Erhöhung auf 2.700 Pfund.

"Wir werden die Studiengebühren um mindestens fünfzig Prozent erhöhen, um mehr Einnahmen zu generieren und wir werden darum bitten, dass diese nach Möglichkeit in Dollar bezahlt werden statt wie sonst in libanesischen Pfund", erläutert der Rektor. Achtzig Prozent der Rechnungen, die die Universität zusätzlich zu den Gehältern zu begleichen habe, verlangten eine Bezahlung in Dollar, ohne eine Vorauszahlung in der harten Währung erhalte man kaum etwas.

Seine Universität sei durch ihre Alumni in aller Welt vernetzt. In den letzten zwölf Monaten habe sie mit Hilfsaufrufen Geld gesammelt, zum Beispiel für die Finanzierung der Onlinebibliothek. Daccache: "Wir haben substantielle Hilfen für bisherige IT-Anschaffungen, aber für das kommende Jahr oder danach weiß ich noch nicht, wie wir das machen werden."

Forschende und Lehrende wandern ab

Auch Professorinnen und Professoren sind von der Krise betroffen. Professorin Saad von der Université Libanaise berichtet, dass die Gehälter nur noch etwa zehn Prozent ihrer Kaufkraft von 2019 besitzen: "Mit einem solchen Gehalt können Professorinnen und Professoren nicht 100 Prozent ihrer Kräfte auf die Studierenden richten, denn sie haben auch Familien, die sie versorgen müssen und suchen sich Nebeneinkünfte. Viele Professoren denken darüber nach, das Land zu verlassen."

Daccache erklärt, dass sich die Abwanderung der Lehrenden an seiner Universität noch in Grenzen halte. Professorinnen und Professoren müssten dennoch unterstützt werden: "Strategisch wollen wir sie in Dollar bezahlen, aber das ist aktuell unmöglich". Die großen amerikanischen Universitäten im Land versuchten, die Krise zu überwinden, indem sie Dollar aus dem Ausland in den Libanon brächten. Die American University of Beirut und die Lebanese American University hätten so jeweils etwa 100 Millionen Dollar ihres Kapitals ins Land geholt.

DAAD setzt sich für libanesische Studierende ein

"Wir sind aktuell im Libanon in erster Linie im Rahmen des EU-finanzierten HOPES-LEB Projekts aktiv", stellt Hülshörster für den DAAD fest. "HOPES-LEB" steht für "Higher and Further Education Opportunities and Perspectives for Syrians and Vulnerable Youth in Lebanon" und wird vom Madad Fond der EU finanziert. Es zielt eigentlich darauf ab, die Zukunftschancen von syrischen Flüchtlingen im Libanon zu verbessern und fördert darüber hinaus auch benachteiligte libanesische Jugendliche. So sollen zwischen April 2020 und Dezember 2023 200 Stipendien an libanesische Studierende vergeben werden. In den meisten Fällen ginge es um Abschlussstipendien, die den Stipendiatinnen und Stipendiaten ermöglichten, ihre Studiengänge an der Université Libanaise zu beenden. Dafür bekommen sie laut DAAD die Registrationsgebühren sowie ihre Lebenshaltungskosten erstattet.

Zusätzlich finanziert der DAAD in HOPES-LEB 300 Stipendien für kürzere Maßnahmen wie Micro-Degrees. Zum regulären Förderprogramm gehörten außerdem jährlich etwa zehn Stipendien für Master- und Promotionsprogramme in Deutschland, die sich an libanesische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger richten.

Angesichts der Gesamtzahl an Studierenden an der Université Libanaise allein erscheint das wenig. Dabei produziert das libanesische Bildungssystem hochqualifizierte Absolventen und Studierende, die intensiver gefördert werden könnten. "Während des politische System versagt bilden unsere Universitäten Eliten aus, gute Mediziner, gute Ingenieure. Libanesen sind nicht per se arm, sondern haben Potentiale und Fähigkeiten", betont Rektor Daccache. Hülshörster vom DAAD stimmt zu: "Die Ausbildung an den Schulen und Hochschulen ist auf einem Niveau, das in Deutschland ohne Probleme anschlussfähig ist. Damit unterscheidet sich der Libanon positiv von einigen seiner Nachbarländer."

Libanesische Studierende im Ausland

In der Vergangenheit war Frankreich das präferierte Land für Auslandsstudien libanesischer Studierender. Mit der Verschärfung der wirtschaftlichen Krise, sei Deutschland stärker in den Fokus gerückt, erläutert Hülshörster. Libanesische Studierende kämen größtenteils selbstfinanziert und würden hauptsächlich von der Gebührenfreiheit deutscher Universitäten und der Qualität der Ausbildung angezogen.

Libanesische Studierende im Ausland sind indirekt von der wirtschaftlichen Krise betroffen und benötigen mitunter Unterstützung, weil sie und ihre Familien dieses Studium nicht allein finanzieren können. In Frankreich werden libanesische Studierende durch das staatlich "Ma’akum" Programm unterstützt, das speziell für das Hochschuljahr 2020-2021 ins Leben gerufen wurde. Neu nach Frankreich gekommene libanesische Studierende erhalten 500 Euro, die Studiengebühren erlassen und können vergünstigt leben. Geförderte berichten bei al-Fanar Media, dass das zwar geringe Summen seien, diese aber den Familien im Libanon sehr helfen würden. Das Programm soll bis zu 3.000 Studierende unterstützen.

Zukunftsperspektiven für libanesische Hochschulen

Doch wie geht es im Libanon weiter? Die Lage der libanesischen Hochschulen könnte sich verbessern, erklärt Rektor Salim Daccache, wenn es eine Regierung gebe, der die Menschen vertrauen und eine engagierte Politik, die sich dem Überwinden der Krise widme. "Wir versuchen, die Situation zu beeinflussen und aus der Krise rauszukommen, aber es ist nicht einfach. Die Verantwortlichen im Libanon managen das Land schlecht."

Professorin Zeinab Saad von der Université Libanaise ist ähnlich skeptisch: "Wir befinden uns in einer Sackgasse und es wird keine Veränderung geben, ohne einen klaren Plan, um die politischen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen." Dann bestehe die Hoffnung, die Situation der Universitäten und der Hochschulen zu verbessern und die vielfältigen Krisen zu überwinden. "Die Gesundheitskrise konnten wir zum Beispiel mit Distanzlehre überwinden. Die politischen und wirtschaftlichen Probleme gehen aber über das Potenzial und die Kapazitäten der Universitäten im Libanon hinaus."