Studierende in einem vollen Hörsaal.
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Studierfähigkeit
In der Verantwortung steht nicht nur das Individuum

Viele Studienanfängerinnen und Studienanfänger starten gerade in ihre erste Vorlesungszeit. Immer weniger scheinen darauf vorbereitet zu sein.

Von Henrike Schwab 11.04.2025

Wenn von Studierfähigkeit die Rede ist, dann oft mit negativem Vorzeichen: Regelmäßig wird die "mangelnde Studierfähigkeit" beklagt. Aber was ist Studierfähigkeit eigentlich? Mit der Allgemeinen Hochschulreife scheint sie jedenfalls nicht zwingend vorzuliegen. So schrieb Professor Volker Ladenthin 2018 in "Forschung & Lehre": "Das Gymnasium erfüllt gar nicht mehr die Aufgabe, die man ihm aufgetragen hat: Studierfähigkeit."

Klagen über den unzureichend vorbereiteten Bildungsnachwuchs habe es schon immer gegeben, schreibt Dr. Magdalena Fellner in ihrem Beitrag für die aktuelle Ausgabe von "Forschung & Lehre". Jedoch habe jede Generation etwas anderes unter Studierfähigkeit verstanden. So hätten erste Überlegungen zum Konzept, die Anfang des 18. Jahrhunderts angestellt worden seien, etwa auch noch die Zugehörigkeit zum höheren Stand als Kriterium umfasst. Aktuell gebe es eine große Nähe zum Konzept der Beschäftigungsfähigkeit. Demgegenüber trete die geistige Bildung häufig zurück – oder komme höchstens im Sinne von Allgemeinbildung vor. 

Bei der Studierfähigkeit handele es sich grundsätzlich um ein dynamisches Konstrukt, so Fellner weiter. Sie definiert diese als die Fähigkeit, "epochenspezifische Kulturtechniken, die für den Hochschulkontext relevant sind, zu erwerben und zur Schau zu stellen". Der dem deutschsprachigen Raum eigene Begriff sei prinzipiell "mehrdeutig, dehnbar und anfällig für ideologische und politische Instrumentalisierungen". Die Forschung diskutiere, ob Studierfähigkeit schon zum Studienbeginn vorliegen sollte oder erst im Laufe des Studiums erworben werde. Selbst darüber, ob Studierfähigkeit überhaupt entwicklungsfähig sei, herrsche kein Konsens. 

Entwicklung von Studierfähigkeit im Studium

Ein von der Hochschulrektorenkonferenz zur Verfügung gestelltes Glossar beschreibt Studierfähigkeit als "die individuellen Voraussetzungen, die notwendig sind, ein wissenschaftliches Studium aufzunehmen und erfolgreich abzuschließen". Studierfähigkeit sei als Lernprozess über den gesamten Studienverlauf hinweg zu verstehen, der insbesondere durch eine zunehmend heterogenere Studierendenschaft Unterstützungsmaßnahmen seitens der Hochschulen erfordere.

Es gebe "im Grunde kein natürliches 'Abschlussdatum' zum Erwerb der hochschulspezifischen Kulturtechniken", betont Fellner. Schließlich würden auch diese einem ständigen Wandel unterliegen. "Studierfähigkeit wird in Wechselwirkung mit dem äußeren Umfeld hergestellt, wobei der Aneignungsprozess der hochschulspezifischen Kulturtechniken durch die Berücksichtigung situativer und kontextualer Bedingungen begünstigt werden kann. Diese Erkenntnis spricht gegen die alleinige Übertragung der Verantwortung auf das Individuum."

Zeitgemäße Kriterien für eine Hochschulzulassung

Kritisch sieht es Fellner, dass die Aufnahme eines Studiums auch im 21. Jahrhundert noch wesentlich von äußeren Rahmenbedingungen abhänge. Denn die tatsächlichen Möglichkeiten zur Ausbildung von Studierfähigkeit könnten an eingeschränkten institutionellen Kapazitäten wie der Anzahl an zur Verfügung stehenden Studienplätzen scheitern. Zudem sei nachgewiesen worden, "dass sich 'studierfähige' Personen (mit Abitur) aus 'bildungsfernem' Elternhaus aufgrund der (Lebensunterhalts-)Kosten, Orientierung an praktischen Berufen und Opportunitätskosten selbst bei vergleichbaren schulischen Leistungen häufiger gegen ein Studium als Schulabgängerinnen und Schulabgänger aus 'bildungsnahen' Elternhäusern entscheiden".

In jedem Fall nicht mehr zeitgemäß seien "herkömmliche Annahmen über die Studierfähigkeit wie formale Zeugnisse und Studierfähigkeitstests als Voraussetzung für die Hochschulzulassung und als vermeintliches Mittel zur Herstellung von Chancengleichheit". Zur Förderung der Studierfähigkeit sei eine relationale Betrachtungsweise nötig, die auch individuelle Lebensumstände berücksichtige. Erforderlich sei außerdem "eine kritische Perspektive auf die gesellschaftsrelevanten Funktionen und Ziele der Hochschulbildung". So könne einem modernen Verständnis von Studierfähigkeit ein erweitertes Kompetenzverständnis zugrunde gelegt werden, das verstärkt auf selbstständiges und kritisches Denken, Medienkompetenz, Quellenkritik und Innovationsfähigkeit abziele.

 

Gender Education Gap

Die Hochschulreife wird in der Mehrheit von Frauen erworben: 2023 waren von den 259.200 Absolvierenden an allgemeinbildenden Schulen mit Allgemeiner Hochschulreife 55 Prozent Frauen, teilte das Statistische Bundesamt Anfang April mit. Auch bei der Zahl der Hochschulabschlüsse lagen Frauen vorne (53 Prozent in 2023). Bei der Anzahl der Promotionen dreht sich das Verhältnis allerdings um: Diese wurden im gleichen Zeitraum zu 54 Prozent von Männern abgeschlossen.