Auszug aus einem Lehrvideo des Lehrstuhls für Wald- und Umweltpolitik an der TUM.
privat

Werkstattbericht
Kreativ und humorvoll durch die digitale Lehre

Das Digitale ermöglicht neue Formate für Lehren und Lernen. Und das bedeutet neben Arbeit auch eine ganze Menge Spaß – ein Werkstattbericht.

Von Michael Suda, Simon Klingel, Anika Gaggermeier 22.03.2021

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen haben unseren Berufsalltag auf den Kopf gestellt. Von einem Tag auf den anderen konnten auch wir Dozierenden am Lehrstuhl für Wald- und Umweltpolitik an der TUM unsere eingespielten und gut vorbereiteten Vorlesungen und Seminare nicht mehr in der gewohnten Form anbieten. Der Austausch mit den Studierenden und die Lehre wanderten in die digitale Welt ab. Die sogenannte "Online-Lehre" war das Format der Stunde.

Die Umstellung von Präsenz- auf Onlinelehre stellte uns vor große Herausforderungen. Es ist uns nicht leichtgefallen, die gewohnte Umgebung von Hörsaal und Seminarraum zu verlassen. Unsere Lehrveranstaltungen enthalten zahlreiche interaktive Elemente und sie sind auf die direkte Interaktion mit den Studierenden ausgerichtet. Gruppenarbeiten, Quiz, Rallyes quer durch den Campus, Rollenspiele und viel Humor sind feste Bausteine unserer Lehre. Anfang 2020 hatten wir große Sorge, dass wir unsere Qualitätsstandards für die Lehre online nicht mehr erfüllen können. Auf gar keinen Fall wollten wir PowerPoint-Präsentation aus dem Off besprechen und zur Randfigur im kleinen Bildausschnitt werden. Wir sind Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Lehrkonzepten und wir wollten für unsere Studierenden sichtbar bleiben.

Die ersten Monate waren für Studierende, Lehrende und die gesamte Institution "Universität" eine radikale Veränderung. In Rekordzeit wurden Software-Lizenzen für Online-Treffen mit den Studierenden, das Aufnehmen und Schneiden von Videos sowie Kameras und weiteres Equipment für alle beschafft. Somit war das technische Grundgerüst für die Umsetzung einer Online-Lehre an unserer Universität vorhanden. Gleichzeitig haben wir Ideen für eine gute digitale Umsetzung gesammelt. Das Didaktikzentrum "Pro Lehre" hat uns dabei mit Informationsmaterial zur digitalen Lehre und deren technischer Umsetzung unterstützt.

"Wir möchten andere dazu ermutigen, ebenfalls das eine oder andere 'Experiment' zu wagen."

Trotzdem waren wir verunsichert. Schließlich sind wir doch keine Profis vor der Kamera und ohne Regie, ohne Anweisung weitgehend auf uns selbst gestellt. Wir haben die Herausforderungen der Online-Lehre angenommen, viel ausprobiert und sind dabei manches Mal gescheitert. Doch am Ende konnten wir mit vielen Stunden Videomaterial unsere Lehrveranstaltungen abwechslungsreich gestalten.

Von den Studierenden wurden uns genau dieser Abwechslungsreichtum sowie unsere Mühen stets positiv rückgekoppelt, so dass wir es wagen, hier einen Werkstattbericht abzugeben und über unsere Erfahrungen zu berichten. Wir möchten andere dazu ermutigen, ebenfalls das eine oder andere "Experiment" zu wagen, um Studierende mit wechselnden Online-Formaten bei ihrem neuen digitalen Studien-Alltag zu unterstützen.

Das Feedback unserer Studierenden: Sie fühlten sich unterhalten, erfrischt, motiviert und konnten sich die Inhalte besser merken. All unsere Lehrvideos folgen dem Leitsatz von Helge Schneider: Humor sollte immer dabei sein, auch bei Problemen – wir wandeln dieses Zitat nur etwas ab und behaupten: (positiver) Humor sollte immer dabei sein, auch in Lehrveranstaltungen.

Technische und personelle Ausstattung

Zur Verfügung haben wir für unsere digitalen Lehrformate eine gute Kamera mit Mikrofon, eine Greenscreen-Wand, zwei Studioleuchten sowie einen flotten Rechner für den Schnitt. Eine entsprechende Videoschnittsoftware zur Bearbeitung der Aufnahmen sollte jede Universität in ihrem Softwareangebot haben. Unsere Software der Wahl nennt sich "Camtasia". Auch wenn der Name nach Fantasy und Zauberei klingt, ist die Handhabung äußerst intuitiv.

Den erforderlichen Schnitt der aufgenommenen Videos haben wir an studentische Hilfskräfte übertragen, weil es uns – das sei an dieser Stelle zugegeben – ausgesprochen schwergefallen ist, uns selbst vor der Kamera zu beobachten. Mit viel Elan und Engagement haben sich unsere Hilfskräfte an den Videoschnitt gemacht und haben uns, als Teil unserer Zielgruppe, immer wieder wichtige Hinweise für Verbesserungen der Videos gegeben.  

Als Grundlage unseres didaktischen Konzepts diente die Idee des "Flipped Classroom", das heißt, Lerninhalte werden den Studierenden vor einer Online-Präsenzveranstaltung als Videos auf einer digitalen Lernplattform zur Verfügung gestellt. Die gemeinsame Zeit während des Online-Treffens wird genutzt, um die in den Videos präsentierten Lerninhalte durch Übungen, Online-Gruppenarbeiten und Anwendungsbeispiele zu vertiefen. Mit dieser Einteilung haben wir sehr positive Erfahrungen gemacht.

Vieles haben wir dabei detailliert vorbereitet, manche Idee entstand spontan während der Aufnahmen, das meiste wurde improvisiert. Hier eine kleine Auswahl, die wir zur Nachahmung empfehlen:

Dialoge

Die Inhalte eines Seminars lassen sich sehr gut über inszenierte Dialoge vermitteln. Für dieses Format sind wir in unterschiedliche Rollen geschlüpft und haben Gespräche zwischen fiktiven Akteuren auf Video aufgenommen. Mal trifft ein Wissenschaftler auf einen Praktiker und erklärt, welche Bedeutung seine Analysen für die Praxis haben, eine Wissenschaftlerin wird zu ihrer Forschung interviewt und muss sich für ein breites Publikum verständlich ausdrücken, oder es treffen sich ein Bürger und die Bürgermeisterin in der virtuellen Wirtsstube und unterhalten sich über die Beteiligung der Bürgerschaft in ihrer Kommune. In allen Fällen werden Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler "gezwungen", die eigenen Erkenntnisse klar und pointiert zu vermitteln. Das Format eignet sich für Zusammenfassungen und bringt Inhalte auf den Punkt.

Perspektivenwechsel

Ein aufgenommenes Rollenspiel eignet sich auch hervorragend dazu, einen Perspektivenwechsel und damit unterschiedliche Sichtweisen auf ein Phänomen zu verdeutlichen. Durch den Wechsel des "Standpunkts" der dargestellten Figuren im virtuellen Raum und kleine Veränderungen an der Kleidung (bewährt haben sich unterschiedliche Hüte) lassen sich verschiedene Theorien oder auch ein Methodenstreit spannend inszenieren.

Nachrichtenformate

Um die Studierenden über den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu informieren, haben wir das Nachrichtenformat gewählt und dafür zwei unterschiedliche Typen erstellt.

  • Breaking News

Eine Sprecherin oder ein Sprecher berichtet (vor entsprechendem Hintergrund) über die neuesten Erkenntnisse, eine besonders wichtige Publikation oder welche Kontroversen das Forschungsfeld derzeit beschäftigen.

  • Fake News

Eine Redakteurin oder ein Redakteur kommt in das virtuelle Studio und berichtet über Dinge, die sie oder er "Draußen" zum Vorlesungs- oder Seminarthema erfahren und recherchiert hat. In den Bericht (wir haben uns meist für circa fünf Minuten entschieden) sind viele Fehler eingebaut, die es zu entdecken gilt. Aus unserer Erfahrung kann "rätseln" bei den Studierenden einen ungeahnten Ehrgeiz auslösen und motiviert, sich genauer mit dem Erlernten aus der "Expertenperspektive" auseinanderzusetzen.

Theaterstücke

Ein weiteres Online-Format ist das Theaterstück. Hierzu haben wir wissenschaftliche Projektergebnisse in ein Textskript integriert und mit Dozierenden und Studierenden vor der Kamera in Szene gesetzt. Das klingt zunächst kompliziert, hat sich jedoch als gar nicht so schwierig herausgestellt. Ein halber Tag im Filmstudio der TUM und die Szenen waren mit der Unterstützung eines Kameramanns im Kasten. Die TUM Filmprofis haben auch den Schnitt der Videos übernommen. Mit Hilfe von Analysefragen können die Studierenden ermuntert werden, sich mit den dargestellten Inhalten des Theaterstücks kritisch auseinanderzusetzen. In unserem Fall handelte das Theaterstück vom politischen Mehrebenensystem, formalen und informalen Prozessen, Pfadabhängigkeiten und der Rolle von Institutionen. Klingt trocken, wird mit etwas Spielfreude aber direkt viel interessanter und einprägsamer.

Exkursionen

Unser reguläres Studienprogramm enthält auch Exkursionen und Lehrfahrten, bei denen die Studierenden die Lehrinhalte praktisch erleben können. Wir besuchen Waldbesitzer oder Vertreterinnen von Forstverwaltungen und besichtigen unterschiedliche Waldorte. Um auf dieses Format nicht zu verzichten, sind wir zusammen mit unserer Hilfskraft zu den Praktikerinnen und Praktikern gefahren und haben diese vor der Kamera interviewt oder von ihren Erfahrungen berichten lassen. Die Waldbilder haben wir mit einer 360-Grad-Kamera aufgenommen. So können wir den Studierenden alles als 3-D-Videomaterial zur Verfügung stellen. Eine Exkursion und den direkten Kontakt zu den Gastgeberinnen und Gastgebern kann das nicht in Gänze ersetzen, verschafft den Studierenden aber einen ersten Eindruck vom Naturraum, über den die Personen sprechen.

Die erstaunlichste Rückkopplung bei allen Formaten war für uns, dass die Studierenden bei unseren gemeinsamen Online-Sitzungen zum Beispiel bei Präsentationen von Gruppenarbeiten viele unserer Ideen aufgriffen und ihre Beiträge mit viel Fantasie in Szene gesetzt haben. Ein Ansporn weiterzumachen und unsere Erfahrungen zu teilen.

Vorlesungen

Steht eine Vorlesung auf dem Programm, haben wir die Videos vor einer Greenscreen-Wand aufgenommen. Mit Hilfe des Videobearbeitungsprogramms können später eine PowerPoint-Präsentation und ein passendes Hintergrundbild in das Video eingefügt werden. Ganz nach Vorbild der Tagesschau nehmen dann Grafik und Person etwa gleich viel Raum auf dem Bildschirm ein. Dadurch bleiben die Mimik und Gestik der vortragenden Person sichtbar, die für die Betonung von zentralen Argumenten und der direkten Ansprache der Zuschauenden aus unserer Perspektive von großer Bedeutung sind. Die Vorlesungen haben wir in einzelne inhaltlich sinnvolle Videoabschnitte von circa 10-15 Minuten Dauer unterteilt und diese mit Reflexions-Fragen und Literaturangaben versehen.

Der Vorteil ist einerseits, dass die Studierenden die kürzeren Videos mit mehr Aufmerksamkeit betrachten und sich andererseits zwischen den Abschnitten selbstbestimmt mit den Inhalten beschäftigen können. In einigen Videos haben wir bewusst das Format geändert und statt PowerPoint-Präsentationen zum Beispiel Flipcharts verwendet. Die Abwechslung erhöht die Aufmerksamkeit der Studierenden. Durch die Gestaltung von unterschiedlichen Hintergrundbildern – je nach Inhalt der Lehrveranstaltung –  haben wir das Thema des Videos zusätzlich versinnbildlicht.