Das Bild zeigt einen Hörsaal mit Studierenden
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Lehre
Prüfungsanforderungen und -praxis nach Bologna

Die Bologna-Reform sollte Studienabschlüsse vergleichbarer machen. In der Praxis hapert es aber an vielen Stellen.

Von Niclas Schaper Ausgabe 10/17

Prüfungen stellen eine wichtige Komponente des Studiums dar und erfüllen damit wichtige Funktionen nicht nur für die Studierenden, indem sie z.B. über den Studienfortschritt entscheiden, sondern auch für die Lehrenden, die zum Beispiel an den Prüfungsergebnissen ersehen können, ob die Lehrziele erreicht wurden. Auch für die Hochschulen selbst sind sie wichtig, da sie sich anhand von Prüfungsergebnissen Klarheit über den Studienerfolg in bestimmten Studiengängen oder auch der Hochschule insgesamt verschaffen können. Mit der Implementierung der Bologna Reform werden allerdings auch an Prüfungen in den Bachelor- und Masterstudiengängen veränderte Ansprüche in struktureller und inhaltlicher Hinsicht gestellt.

Kleinteilige Prüfungsstruktur

Strukturell beinhaltet dies, dass es die zentralen Zwischen- und Abschlussprüfungen im Verlauf eines Studiengangs nicht mehr gibt, sondern jedes Studienmodul mit eigenen Prüfungen abgeschlossen werden muss. Die Anzahl, der Umfang und die zeitliche Position der Prüfungen hat sich somit deutlich verändert. Die Prüfungsstruktur ist im Rahmen der Module kleinteiliger geworden. Auch bei den Prüfungsformaten haben sich die Schwerpunkte verlagert. Wurden in den alten Diplom- und Magisterstudiengängen vorzugsweise mündliche Prüfungen in der Zwischen– und Abschlussprüfung durchgeführt, dominieren jetzt eher Klausuren.

Die Vielzahl der Prüfungen (teilweise bis zu 15 Prüfungen zum Abschluss jedes Semesters) in der Anfangszeit der Reformumsetzung hat zu erheblichen Belastungen und Prüfungsdruck bei den Studierenden geführt. Dagegen haben die Studierenden Ende der 2.000er Jahre Proteste auf breiter Front an fast allen deutschen Hochschulen initiiert, so dass von hochschulpolitischer Seite entsprechend reagiert wurde. Unter anderem wurde bei den Akkreditierungsvorgaben festgelegt, dass in der Regel jedes Modul nur durch eine Abschlussprüfung abgeschlossen werden sollte. Allerdings ist auch diese Festlegung kritisch zu betrachten, da es bei inhaltlich heterogenen Modulen und komplexen Kompetenzprofilen bezüglich der Modulziele oftmals wenig zielführend ist, nur ein abschließendes Prüfungsformat zur Bewertung der Modulleistungen heranziehen zu können.

Stärkere Kompetenzorientierung verfehlt

Im Rahmen der Bologna-Reform wird darüber hinaus mit Bezug auf die Outcome-Philosophie der Studiengangkonzeption der Anspruch formuliert, dass Prüfungen (und die zugehörigen Lehrangebote) kompetenzorientiert gestaltet werden sollten; das heißt die Prüfungen sollten sich in ihren Aufgaben, Anforderungen und Bewertungskriterien an den kompetenzorientierten Lernzielen beziehungsweise Learning Outcomes, die für ein Modul zu formulieren sind, orientieren und Aussagen über das Erreichen entsprechender Outcomes erlauben.

Konkreter bedeutet dies, dass nicht nur Wissensreproduktion und strukturierte Formen der Wissensanwendung im Rahmen von Prüfungen erfasst werden sollten, sondern auch komplexere Verstehens-, Analyse- und Beurteilungsleistungen sowie das "Kreieren" eigener Lösungen im Kontext komplexer Anwendungssituationen sowie weitere fachübergreifende Anforderungen (z.B. in Form von sozialen Kompetenzen) – natürlich mit Bezug auf entsprechende Modulziele. Dieser Anspruch erfordert allerdings in vielen Fällen ein erhebliches Umdenken der Lehrenden sowohl bei der Konzeption ihrer Prüfungen als auch ihrer Lehrangebote.

Darüber hinaus müssen die Lehrenden in der Mehrzahl für die Konzeption und Umsetzung entsprechender Prüfungsformate qualifiziert sowie strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für kompetenzorientiertes Prüfen an den Hochschulen geschaffen werden. Einzelne Erhebungen an deutschen Universitäten (TU München und TU Hamburg-Harburg) zeigen dementsprechend, dass das Prüfungsformat "Klausur" in den Bachelor- (93 Prozent an der TU HH), aber auch Masterstudiengängen (67 Prozent an der TU HH) sehr dominiert.

Fehlende Berufsorientierung

Dieselben Erhebungen zeigen zu anderen Prüfungsformaten – insbesondere solche, die komplexere und berufsorientierte Kompetenzaspekte abbilden könnten (zum Beispiel Projektpräsentationen) – dass diese eher selten zur Anwendung kommen. Darüber hinaus wurde bei Fragen zum kognitiven Niveau der Anforderungen bei Prüfungsaufgaben von den Studierenden berichtet, dass die Lösung der Aufgaben im Wesentlichen Leistungen der Wissenswiedergabe und der strukturierten Anwendung von Wissen und Methoden erfordert.

Das Erklären oder Bewerten von Sachverhalten und das Lösen von Problemen machen hingegen selbst in Masterstudiengängen nur jeweils 7 bis 15 Prozent der Anforderungen aus. Leider gibt es zur Gestaltung und Nutzung von Prüfungen in deutschen Hochschulen kaum repräsentative oder eingehendere empirische Forschung. Die genannten Erhebungen wurden beides Mal in technischen Universitäten durchgeführt  und sind damit in erster Linie für ingenieur- und naturwissenschaftliche Studiengänge aussagefähig.

Die Konzeption und Umsetzung kompetenzorientierterer Prüfungsformate sowie der Aufbau einer entsprechenden Prüfungskultur leidet unter verschiedenen Problemen, wie qualitative Analysen und eigene Erfahrungen in der Schulung von Lehrenden zum kompetenzorientierten Prüfen zeigen: Oftmals liegen die Modulziele als zentrale Bezugspunkte der Prüfungskonzeption nur in unzureichender Form vor (zum Beispiel nur sehr vage oder nur auf den inhaltlichen Wissenserwerb ausgerichtete Ziele).

Darüber hinaus haben viele Lehrende kaum Wissen und wenig genaue Vorstellungen darüber, wie entsprechende Lernziele in passende Prüfungsanforderungen und –formate überführt werden können. Insbesondere ist aber auch die Operationalisierung und Bewertung von fachübergreifenden Kompetenzen – wiekommunikative oder kooperative Fähigkeiten – schwierig, oftmals auch prüfungspraktisch nur schwer umsetzbar und darüber hinaus umstritten (etwa in Bezug auf die "Bewertung" professioneller Einstellungsaspekte). Da andererseits auch prüfungsrechtliche und -organisatorische Aspekte bei der Gestaltung von Prüfungen im Vordergrund stehen, dominieren in den meisten Fächern schriftliche Prüfungsformate, wobei hochstandardisierte Prüfungsaufgaben (zum Beispiel Multiple Choice Klausuren) in erster Linie in spezifischen Kontexten (zum Beispiel im Medizinstudium) besonders zur Anwendung kommen.

Nur eine geringe Rolle in der Diskussion spielt in diesem Zusammenhang leider auch der Aspekt, dass Prüfungen im Studium eine zentrale Rückmeldefunktion haben; das heißt Studierende verschaffen sich hierüber eine Einschätzung zum Stand ihrer Leistungen und ihres Lernfortschritts bzw. Könnens zu bestimmten Bereichen. Wenn als Ergebnis einer Prüfung aber nur eine Note rückgemeldet wird – was eher die Regel als die Ausnahme bei Prüfungen ist, können sich Studierende nur ein unzureichendes und wenig differenziertes Bild über ihren Leistungs- und Könnensstand machen. Angebote für eine ausführlichere und differenziertere Rückmeldung zu Prüfungsergebnissen werden leider eher selten realisiert. Auch der Einsatz sogenannter "formativer" Prüfungselemente (zum Beispiel Testate, Rückmeldungen zu Übungsaufgaben oder Präsentationen), die den Studierenden gezielte und informative Hinweise zum Lernfortschritt im Vorfeld von Prüfungen geben, wird nicht systematisch und durchgehend genutzt.

Anstrengungen zur Verbesserung der Situation

Mittlerweile gibt es allerdings auch eine Vielzahl von Anstrengungen, die in vielerlei Hinsicht unbefriedigende Situation in Bezug auf Prüfungen zu verändern. Der Wissenschaftsrat hat sich mit diesem Thema intensiv beschäftigt und Vorschläge zur Qualitätsverbesserung, aber auch zum Einsatz von Prüfungen, um das Lehren und Lernen besser zu steuern, gemacht. Sie weisen Prüfungen damit eine Schlüsselstellung für die Qualität der Lehre an Hochschulen zu.

Die Hochschulrektorenkonferenz beschäftigt sich seit mehreren Jahren im Kontext des Projekts "nexus" mit Fragen der Umsetzung der Bologna-Reform und hat in diesem Zusammenhang auch einen Schwerpunkt auf die Bereitstellung und Diskussion von Konzepten zum kompetenzorientierten Prüfen gelegt. In der hochschuldidaktischen Praxisliteratur gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Darstellungen zu Best Practice Beispielen zum kompetenzorientierten Prüfen, aber auch zur Berücksichtigung und Umsetzung anderer Qualitätsaspekte des Prüfens.

Die hochschuldidaktischen Zentren an den individuellen Hochschulen bieten mittlerweile auch durchgängig Weiterbildungskurse zum (kompetenzorientierten) Prüfen an. In ausgewählten Fächern (insbesondere im Bereich der Medizin) wurden darüber hinaus Zentren gegründet, die sich mit der professionellen Entwicklung von fachbezogenen Prüfungsformaten und Handreichungen beschäftigen. Diese Maßnahmen zielen in hohem Maße auf die eigeninitiative Veränderung der Prüfungspraxis und –kultur (sei es als einzelner Lehrender oder im Rahmen einer Lehreinheit). Um letztlich nicht nur auf einen entsprechenden Veränderungswillen der Lehrenden selbst zu setzen, sollten die Hochschulen Prüfungen auch zu einem strategischen Thema machen und dabei einerseits Leitlinien für lernförderliches und qualitätsorientiertes Prüfen verabschieden und andererseits auch Maßnahmen und Indikatoren bezüglich des Qualitätsmanagements beim Prüfen implementieren.