Frau sitzt am heimischen Arbeitsplatz mit Tablet und Smartphone auf einem Stativ
mauritius images / Theera Disayarat / Alamy

Digitales Semester
Wie Dozenten die Online-Lehre bewältigen

Die Corona-Pandemie hat die Hochschullehre digitalisiert. Wie wirkt sich das auf deren Qualität aus? Wie haben die Lehrenden ihre Konzepte verändert?

Von Claudia Krapp 10.02.2021

Seit Beginn der Corona-Pandemie findet die Lehre an den Hochschulen größtenteils digital statt. Was im Sommersemester noch unausgereift war, hat im Wintersemester an Struktur gewonnen. Dabei ist die digitale Lehre an den deutschen Hochschulen sehr unterschiedlich weit fortgeschritten, sagte Professor Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), vor einigen Wochen im Deutschlandfunk. Einerseits erlaube die unterschiedliche Gestaltung den einzelnen Fachbereichen wertvolle Freiheiten, andererseits generiere es Ungleichheiten in der Ausbildung der Studierenden. Die Online-Lehre wird voraussichtlich noch einige Monate anhalten und die Studierenden erst nach und nach in die Hörsäle zurückkehren, denn die Impfungen für Hochschulangehörige sind angesichts deren Verfügbarkeit und Priorisierung erst später zu erwarten. Wie gehen die Lehrkräfte damit um? Wie haben sie die Lehre im vergangenen Jahr weiterentwickelt und was ist gekommen, um zu bleiben?

"Die Situation hat sich merklich eingespielt, wir haben alle sehr viel gelernt und tun es noch, auch dank des Engagements der Studierenden", sagt Professorin Paula-Irene Villa Braslavsky. Die Soziologie-Dozentin an der LMU München hat schon zu Beginn der Pandemie mit einer Petition auf die Herausforderungen der digitalen Lehre aufmerksam gemacht. Die Belastungen der Lehrvorbereitung und -begleitung seien nach wie vor hoch, meint sie. "Wir improvisieren alle recht anarchisch, was auch kreativ und interessant sein kann – aber die Lehre ist von großer Unsicherheit und einem immensen Aufwand begleitet." Die Studierenden hätten verständlicherweise noch mehr Beratungsbedarf, die Kommunikation mit ihnen sei enorm zeitaufwändig. "Insgesamt merke ich, dass sie wie wir Lehrenden zum Teil auch, ziemlich frustriert und erschöpft sind", meint die Dozentin.

"Wo zunächst noch viel Vorbereitung nötig ist, wird später ein größeres Repertoire vorhanden sein." Ulrike Zoch

Auch Dr. Ulrike Zoch empfindet die digitale Lehre derzeit noch als arbeitsintensiver. Auf Dauer werde sich der Arbeitsaufwand aber an den der vormaligen Präsenzlehre angleichen, meint die Afrikanistik-Dozentin an der Uni Frankfurt. "Wo zunächst noch viel Vorbereitung nötig ist, etwa für Technik, Recherche und Zusammenstellung der digitalen Lehrmaterialien, wird später ein größeres Repertoire vorhanden sein, aus dem sich die Lehrenden bedienen können", sagt Zoch gegenüber "Forschung & Lehre".

"Bei den Studierenden und Lehrkräften hat sich eine gewisse Routine eingespielt, technische Probleme gibt es kaum noch", so Zoch. Gleichzeitig wächst der Anspruch der Studierenden an die Online-Lehre: "Der Anfangsbonus, den wir als Dozenten angesichts der kurzfristigen Umplanung von den Studierenden bekommen haben, ist verschwunden, aber auch nicht mehr notwendig." Auch Villa Braslavsky sieht angepasste Erwartungen: "Die Studierenden wägen mit ihrer Erfahrung nun die verschiedenen Formate ab, wissen auch um die Ambivalenzen, die Grenzen und Möglichkeiten der jeweiligen Lehrformate." Auf dieser Basis könnten sie nun auch besser sagen, was für sie funktioniere und was nicht so gut laufe.

Im Sommersemester hätten die Studierenden vergleichbare Leistungen zu früheren Semestern gezeigt, sagt Zoch. Ob sich die Qualität der digitalen Lehre auf die Studienleistungen und den Lernerfolg auswirkt, werde sich jedoch erst nach Ablauf des Wintersemesters offenbaren. Bei den im Sommer stattfindenden Seminaren mit kleinen Gruppen seien die Auswirkungen möglicherweise verschwindend gering gewesen. Im Wintersemester fänden zusätzlich große Einführungsveranstaltungen statt, die ohne Corona in Hörsälen abgelaufen seien. Um diese qualitativ hochwertig zu ersetzen, seien andere Lehrformate nötig als für Seminare.

Lehrkräfte passen ihre didaktischen Konzepte an

Zoch hat deshalb ihre Lehrinhalte im Wintersemester nochmals neu durchdacht: "Welches Thema eignet sich für Einzelarbeit oder Gruppenarbeit, was ist mit einem Erklärvortrag verständlich, was bedarf eines Texts oder Videos, was muss asynchron, was synchron gelehrt werden…" Orientiert habe sie sich dabei an Rückmeldungen der Studierenden im Sommersemester, den Ergebnissen der Gruppenarbeiten und den Klickzahlen ihrer Lehrvideos. "Das hat mir gezeigt, wo es noch am Verständnis hapert und was ich anders erklären muss."

Ähnlich hat Villa Braslavsky ihre Lehre umstrukturiert. "Statt Hausarbeiten habe ich fachlich einschlägige Podcasts, Blogeinträge oder Clips anfertigen lassen; statt Rezensionen zum Beispiel ein Gespräch über ein Buch." Vorlesungen und Seminare halte sie via Zoom ab, die Audiodatei und alle Folien von Präsentationen und zusätzliches Material stelle sie auf die Lehrplattform der Hochschule. Generell habe sie mehr Lehr-Material wie Texte, Studien oder Statistiken online gestellt als in der analogen Lehre. Fertig sei sie mit dieser Umstellung ins Digitale noch lange nicht. "Ich tue mein Bestes, wie die Studierenden auch." Um die Qualität zu verbessern, versuche sie, asynchrone und synchrone Formate zu mischen, und dabei möglichst viel Live-Zeit und Interaktion mit den Studierenden zu schaffen. "Studierende wollen gern asynchrone und synchrone Formate kombinieren", sagt sie. "Sie wollen lebendiges Lernen erleben, gemeinsam mit Kommilitoninnen und Kommilitonen denken und diskutieren, sie wollen direktes Feedback und direkte Ansagen von mir. Sie wollen aber auch die Möglichkeit, in Ruhe Dinge nachzulernen, zu vertiefen." Wichtig seien Abwechslung und Variationen. "Das sollten wir berücksichtigen in der Lehre."

"Studierende wollen gern asynchrone und synchrone Formate kombinieren." Paula-Irene Villa Braslavsky

Zoch ist mit dem "flipped classroom"-Prinzip zufrieden. "Besonders gut klappt das mit Tools wie Etherpad, mit denen gemeinsame Dokumente erstellt und Gruppenarbeiten festgehalten werden können", sagt sie. "Wertvoll sind auch Videokonferenzen für Gruppenarbeiten und die Tools für anonyme Kommentare während Veranstaltungen. Sie ermöglichen mehr Feedback und Interaktion von Studierenden, die sonst still sind. Das möchte ich gerne beibehalten, auch nach Corona." Dennoch bleibe die Interaktion zwischen Dozenten und Studierenden die größte Schwachstelle der digitalen Lehre, weil sie nie beiläufig oder zufällig ablaufen. "Per Kamera und Breakout-Rooms lässt sich zwar eine Interaktion anstoßen, erfordert aber immer einen aktiven Impuls. Die reelle Uniatmosphäre ersetzt es nicht", meint Zoch. Es fehle an spontan ersichtlicher Körpersprache und spürbarem Feedback über die Stimmung der Studierenden.

Schwer zu digitalisieren sei zudem die Abfrage des Lerneffekts der Einzelnen. "Meine Studierenden werden daher auch in Zukunft eine schriftliche Ausarbeitung pro Semester analog alleine verfassen. Dabei erarbeiten sie eine tiefe, gründliche Einzelleistung", sagt Zoch. Ausweiten will sie künftig vor allem interaktive, animierte Lehrvideos. "Darin steckt viel Potential für die Lehre, aber leider erfordern sie auch viel Arbeit und Zeit."

Angehende Lehrer treffen Schüler meist nur digital

Ausnahmen vom sonst während des Lockdowns verbotenen Präsenzunterricht stellen an den meisten Unis die Praktika dar. Besonders für die Ausbildung in Lehramt, Naturwissenschaften und Medizin sind die praktischen Lehrformate oft unverzichtbar. Mit strengen Hygieneauflagen und kleineren Gruppen oder über digitale Formate versuchen die Hochschulen den notwendigen Kontakt mit Patienten, Schülern und Forschungswerkzeugen zu gewährleisten. Teils bedeute das einen immensen logistischen Aufwand, berichtet Lore Koerber-Becker, Lehrkoordinatorin für das Lehramtsstudium an der Uni Würzburg.

Verband warnt vor schlechterer Ausbildung von Lehrern

Der Deutsche Philologenverband warnte angesichts geschlossener Schulen kürzlich vor Qualitätseinbußen bei der Lehrerausbildung. Die Situation für Nachwuchslehrkräfte verschlechtere sich durch den Wegfall unterrichtspraktischer Erfahrungen. Videokonferenzen oder digital konzipierte Seminarveranstaltungen seien kein adäquater Ersatz für Präsenzunterricht, meint der Verband. Das Referendariat müsse daher bei Bedarf verlängert werden können.

Praktische Lehrangebote fanden im vergangenen Jahr nur bedingt statt, sagt Koerber-Becker. "Wenn sie durchgeführt wurden, dann ausschließlich digital und in der Regel ohne Kontakt zu Schülerinnen und Schülern." Das habe zum einen an der Zurückhaltung der Schulen gelegen, zum anderen an der kurzfristigen Umstellung im Sommer. "Für das Wintersemester gab es – mit mehr Vorlauf und mehr Kreativität – mehr Angebote", sagt sie. Zum Beispiel seien die Lehr-Lern-Labore digitalisiert worden, so dass Lehramtsstudenten der MINT-Fächer virtuell mit Schülerinnen und Schülern Experimente durchführen konnten. "Allerdings mussten wir auch im Winter die Angebote mit Praxisbezug reduzieren, da die Vernetzung zu realem Unterricht nach wie vor kompliziert ist." Die ursprünglich für den Winter geplanten Hybrid-Formate seien mit dem zweiten Lockdown geplatzt.

Bei freiwilligen Praktika seien die Schulen weiter zurückhaltend, die für den Studienfortschritt notwendigen praktischen Pflicht-Veranstaltungen fänden aber statt – notfalls in angepasster Form. "Lehramtsstudierende absolvieren ihre Pflichtpraktika im Präsenzunterricht. Für Quarantänen von Schulklassen oder Distanzunterricht wurden Regelungen getroffen, so dass Studierende in ihren Praktika die Lehrkräfte in Videokonferenzen und bei der Erstellung der Selbst-Arbeitsmaterialien, Lehrvideos und der Beratung unterstützen." Auch das Referendariat finde ganz regulär statt. Nur in einigen Fällen gebe es wegen des Distanzunterrichts Sonderregelungen für Prüfungs-Lehrproben.

Chemie-Praktika müssen aus Sicherheitsgründen stattfinden

Auch in den Naturwissenschaften spielt die praktische Ausbildung eine große Rolle. Das Betreten eines Labors lässt sich nur schwer digitalisieren, berichten Karl-Heinz Klöss und Professor Aloys Krieg von der RWTH Aachen. "Die Chemie führt seit Beginn der Pandemie alle Vorlesungen, Übungen und Seminare sowie die theoretischen Inhalte der Praktika wie Vor- und Nachbesprechungen digital durch", sagt Lehrkoordinator Klöss gegenüber "Forschung & Lehre". Die praktischen Anteile des Studiums bleiben durch ein strenges Sicherheitskonzept auch unter Corona-Bedingungen weitgehend erhalten, sagt der Prorektor für Lehre, Aloys Krieg. "Wir lassen für die Laborpraktika nur kleinere Gruppen zu und erhöhen im Gegenzug die Angebotszeiten pro Tag. Dafür haben wir zusätzliches Personal rekrutiert, das aus den Corona-Hilfen und dem Hochschulpakt finanziert wird." Die Studierenden wüssten den so entstandenen besseren Betreuungsschlüssel durchaus zu schätzen. Durch den erhöhten Personalaufwand habe die RWTH die Qualität der praktischen Lehre halten können, sagt Krieg.

Da die Chemie ein "Handwerk" sei, müssten Teile der Praktika unbedingt in Präsenz stattfinden und könnten auch nicht verschoben werden, da sonst Studienverzögerungen und Härtefälle bei den Studierenden aufträten, berichtet Klöss. "Bei einigen Experimenten ist die Versuchsdurchführung relativ einfach und die Studierenden lernen hauptsächlich Methoden, wie die Messwerte ausgewertet oder bestimmte Eigenschaften berechnet werden", erklärt Klöss. Diese Versuche könnten gut digital durchgeführt werden. Die praktischen Anteile würden durch Erklärungen, Videos oder ein virtuelles Praktikum vermittelt. "Beim virtuellen Praktikum leiten die Studierenden vor den Computern den Assistenten im Labor an und führen so den Versuch selbständig durch", erläutert Klöss. "In der Chemie gibt es aber natürlich auch Versuche, wie zum Beispiel das Durchführen einer Destillation oder das Arbeiten unter Schutzgasatmosphäre, bei denen komplexe handwerkliche Fertigkeiten und Arbeitsabläufe eingeübt werden." Nur mit dem richtigen und routinierten Umgang mit den Geräten könnten die Studierenden später selbständig und sicher im Labor arbeiten, ohne eine Gefahr für sich und ihre Umgebung darzustellen.

Eine Gefahr für ihre Mitmenschen stellen auch schlecht ausgebildete Ärztinnen und Ärzte dar. "Leider mussten wir unsere Präsenzveranstaltungen ziemlich eindampfen. In der ersten Semesterhälfte konnten Stationstage und Patientenpraktika noch unter verschärften Hygieneregeln in Zweiergruppen stattfinden", erklärt Caroline Klingner, Lehrkoordinatorin für den Fachbereich Neurologie am Uniklinikum Jena. "Sogar ein High-Risk-Praktikum für Studierende aus Risikogruppen oder mit kranken Angehörigen haben wir unter noch schärferen Bedingungen eingerichtet. Seit dem Jahreswechsel ist wegen des hohen Infektionsrisikos nichts mehr davon möglich." Auf ihren Stationen seien nur noch halb so viele Patienten, da das Personal in der Coronabehandlung aushelfe. Die verminderte Patientendichte erschwere die Lehre zusätzlich. Die verpflichtenden Praxisanteile sollen aber im Frühjahr und Sommer nachgeholt werden, notfalls in den Semesterferien. Die Regelstudienzeit solle sich dadurch nicht verlängern.

Patientenkontakt lässt sich nicht ersetzen

Bis dahin werde alles, was möglich sei, digitalisiert. "Wir haben zum Beispiel ein digitales Praktikum mit Simulationspatient und Simulationsarzt eingerichtet", sagt die Oberärztin. Auch das ersetze den direkten Kontakt nicht, aber es sei vorrübergehend besser als gar nichts. "Zu einem Praktikum gehören riechen, hören und anfassen. Das geht nur mit einem echten Patienten. Eine echte Krankheit hinterlässt einen so multidimensionalen Eindruck, der extrem wichtig in der Ausbildung ist. Deshalb wollen wir dafür sobald möglich in die Präsenz zurück", sagt Klingner.

Bei den theoretischen Lehrinhalten habe sie sich schon vor Beginn des Wintersemesters für eine maximale digitale Umstellung entschieden. "Wir haben im Rahmen des üblichen Inverted-Classroom-Konzepts zusätzlich einen Video-Channel gelauncht, auf dem alle unsere Vorlesungsthemen in 40-minütigen Lehrvideos erklärt werden. Ergänzt wird das durch kurze, unkonventionelle Lehrvideos zu Untersuchungstechniken und umfangreiches Textmaterial", erklärt Klingner. Auch einige andere Fachbereiche der Medizin hätten sich an den Videos beteiligt. Teil der medizinischen Ausbildung sei außerdem eine regelmäßige synchrone und interaktive Lehrveranstaltung, bei der Studierende aktuelle Fälle kennenlernen und in der Theorie "behandeln" sollen.

"Ich denke, dass wir in der Lehre sogar besser geworden sind." Caroline Klingner

"Ich denke, dass wir in der Lehre sogar besser geworden sind", sagt Klingner. Die Widerstände der Dozierenden gegen digitale Konzepte, die schon vor Corona im Raum gestanden hätten, hätten abgenommen. "Die Studierenden rennen uns vor Begeisterung die Bude ein", berichtet sie. Zur Famulatur in ihrem Fachbereich hätten sich dreimal so viele Studierende angemeldet wie sonst. Sie erhalte zudem viele Mails, in denen sich die Studierenden für die digitale Umsetzung bedanken, besonders für die Videos. "Das ist schön zu hören, denn es hat mich ewig viele Überstunden gekostet", sagt Klingner. Ihr Konzept stehe jedoch auch im Kontrast zu vielen Dozierenden aus anderen medizinischen Bereichen des Uniklinikums, die nach wie vor an "eingesprochenen PowerPoint-Folien nicht unter 100 Minuten" festhielten.

"Die digitalen Lehrwerkzeuge entwickeln sich laufend weiter. Entsprechend sind die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer auch laufend gefordert, sich selbst und ihr didaktisches Konzept weiterzuentwickeln", sagt HRK-Präsident Alt. Die Qualität der Lehre stehe und falle entsprechend mit der Eigeninitiative der Lehrenden.