

Wissenschaftskommunikation
Willkommen im Chat
"Haben Sie Bedenken, dass durch die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz Gefahren in Ihrem Beruf entstehen könnten?" fragt "paca28and" die fünf am Live-Chat beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie stehen am 2. Oktober Schülerinnen und Schülern aus zwei Informatik-Leistungskursen des Gymnasiums Dresden-Pieschen Rede und Antwort zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). Organisiert hat dies das Onlineangebot "I’m a Scientist, Get me out of here!", das Schülerinnen und Schüler ab Klassenstufe 5 in dreißigminütigen Live-Chats in den direkten Austausch mit Forschenden bringt.
"Ich könnte langfristig zumindest in Teilen überflüssig werden", antwortet Professor Karsten Weber von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg. Annegret Janzso vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz erwidert, dass sich mit der Weiterentwicklung der KI auch das Berufsfeld der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ändere – manche Aufgaben würden übernommen, aber es entstünden auch neue.
Vier Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin sind mit den Schülerinnen und Schülern im Austausch, sie stehen an unterschiedlichen Karrierestufen und haben verschiedene fachliche Hintergründe – gemeinsam ist ihnen die Auseinandersetzung mit KI. Auch haben sich alle bei "I’m a Scientist" beworben, um an der vierten Themenrunde in diesem Jahr teilnehmen zu können. Weber und Janzso sind bereits bei früheren Runden dabei gewesen.
Künstliche Intelligenz und was Jugendliche sonst noch interessiert
Seit 2022 geht es bei den Live-Chats zentral um KI und angrenzende Forschungsbereiche – teilweise mit spezifischeren Unterthemen wie etwa "Demokratie und KI", ein Ergebnis der Zusammenarbeit mit dem RHET AI Center – Zentrum für rhetorische Wissenschaftskommunikationsforschung zur Künstlichen Intelligenz.
Die Schülerinnen und Schüler interessieren sich auch für andere Themen: Sie erkundigen sich etwa, wie ein Arbeitstag bei den Forschenden normalerweise abläuft, wollen wissen, wie viele Frauen in ihren Abteilungen vertreten sind und wie man den Informatik-Leistungskurs übersteht. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler antworten geduldig und erzählen zum Beispiel auch, dass sie selbst in der Schule nicht immer so gut waren oder, dass Studieren auch bedeutet, sich auf eigene Interessen konzentrieren zu können.
Wissenschaftskommunikation gegen Halbwissen
Allen Forschenden liegt die Wissenschaftskommunikation ganz besonders am Herzen. Annegret Janzso möchte Einblicke in die Wissenschaft geben, die viel zu oft "als ein eher abstraktes Konzept" gesehen werde, erklärt sie gegenüber "Forschung & Lehre". Professor Karsten Weber ergänzt, dass es die Aufgabe öffentlich geförderter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sei, zu erklären, was sie tun. Zudem konkurrierten die Hochschulen immer mehr um Studierende. Mit seiner Präsenz bei "I’m a Scientist" hofft er, seine Hochschule sichtbarer zu machen.
Beiden wollen junge Menschen aufklären: Populistische und extremistische Gruppen verbreiteten Identifikationsmöglichkeiten und einfache Antworten, die von verunsicherten jungen Menschen gerne angenommen würden. Dem müsse man – vor allem als Wissenschaftlerin oder als Wissenschaftler – etwas entgegensetzen, so Weber: "andere Rollenbilder, andere Antworten und andere Unterstützung". An den Fragen der Schülerinnen und Schüler könne man erkennen, dass sie teilweise "nur über Halb- oder Nichtwissen verfügen", das sie aus Quellen bezögen, die "nicht für die Vermittlung sachlich fundierter Informationen geeignet" seien. Janzso sieht vor allem durch die Verbreitung von KI-Modellen wie ChatGPT einen erhöhten Klärungsbedarf. Sie möchte den Schülerinnen und Schülern Ängste nehmen und Tipps geben.
Schülerinnen und Schüler fragen die Wissenschaft
Die Idee zum Angebot "I’m a Scientist, Get me out of here" stammt aus Großbritannien, seit dem Jahr 2020 setzt es die Organisation "Wissenschaft im Dialog" für deutschsprachige Schulen im In- und Ausland um. Inzwischen haben rund 550 Live-Chats stattgefunden. Auf der Website wurden über 1.670 Fragen gestellt und etwa 5.270 Antworten gegeben.
Das Austauschangebot wird unterstützt von der Forschungsbörse des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und gefördert von der VolkswagenStiftung. Es ist eine Kooperation mit RHET AI Center. Die aktuelle Themenrunde fand vom 23. September bis 02. Oktober statt.
Perspektive der Jugend und ein Preisgeld
Den teilnehmenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern soll das Austauschformat die Möglichkeit bieten, ihre Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern und mehr über Jugendliche und ihre Meinungen zu wissenschaftlichen Themen zu erfahren. Janzso stimmt zu: Sie erfahre, "wie KI von jüngeren Generationen, und damit auch ein Stück weit von der nicht-wissenschaftlichen Bevölkerung" gesehen werde. Dieser Einblick fehle einem schnell beim eigenen Forschungsfeld. Weber erläutert, dass seine wissenschaftliche Tätigkeit auch darin bestehe, die Auswirkungen von KI auf die Gesellschaft zu erforschen. Selbst wenn die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler nicht repräsentativ seien für alle Jugendlichen in Deutschland, so bekomme er doch einen Eindruck davon, was diesen Teil der Bevölkerung bewege. "Persönlich empfinde ich die Neugier der Schülerinnen und Schüler als sehr erfrischend."
Die Forschenden haben mit ihrer Teilnahme die Möglichkeit, ein Preisgeld zu gewinnen: Am Ende jeder Themenrunde stimmen die Kinder und Jugendlichen ab, wer ihre Fragen am besten beantwortet hat und küren eine Gewinnerin oder einen Gewinner, der 500 Euro erhält. Bei der aktuellen Themenrunde hat Dr. Miloš Jovanović gewonnen. Er ist Projektleiter des "Technology Foresight and University Hub (TFU)" am Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen. Das Preisgeld soll einem eigenen Projekt der Wissenschaftskommunikation dienen.
Ängste vor Künstlicher Intelligenz
Über ein Formular auf der Webseite können die Schülerinnen und Schüler auch außerhalb des Chats Fragen stellen. Teilnehmer oder Teilnehmerin "free28cap" erkundigt sich, ob es "schonmal eine ‚KI-Katastrophe‘" gegeben habe. Gleich drei Forschende nehmen sich noch am selben Tage der Frage an, darunter Weber, der schon mehr als 100 Fragen zusätzlich zu den Fragen im Chat beantwortet hat. Die Wissenschaftler und die Wissenschaftlerin sind sich einig, dass es keine "echte Katastrophe" gegeben habe, KI aber bereits mehrfach gravierende Fehler gemacht hätten, wie etwa wenn ein autonom fahrender Pkw tödliche Unfälle verursacht oder eine KI im Bewerbungsprozess systematisch nur Männer als geeignete künftige Mitarbeitende einstuft.
Schon sehr junge Menschen machten sich erhebliche Sorgen und äußerten Ängste in Bezug auf KI, so Weber. Er bedauert das: "diese Phase des Lebens sollte ungetrübter sein". Bei Fragen nach den Missbrauchsmöglichkeiten von KI und insbesondere nach den Nutzungsmöglichkeiten für kriegerische Zwecke versuche er trotzdem eine ehrliche Antwort ohne "Zuckerguss" zu geben, aber dabei nicht die Stimmung zu zerstören.
Der Chat endet – die Schule geht weiter
Im schriftlichen Live-Chat folgt Frage auf Frage und selbst beim stillen Mitlesen ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Wie machen das die Forschenden? Von oben nach unten gingen sie durch den Chat, erläutern Janzso und Weber. "Bei Fragen, die an alle oder an mich direkt gerichtet sind, klicke ich auf den Antworten-Button, und sehe dabei dann nicht nur die Frage, sondern auch alle anderen Antworten, die es dazu schon gibt", so Janzso. Durch das chronologische Durchgehen hänge man manchmal im Chat hinterher, gibt Weber zu bedenken. Die Schülerinnen und Schüler wissen sich zu helfen, wenn sie ihrem Empfinden nach zu lange auf eine Antwort warten müssen und stellen ihre Frage noch einmal, notfalls auch in Großbuchstaben und mit extra vielen Ausrufezeichen. Es ist eben ein Chat, keine Videokonferenz.
Nach 25 Minuten informiert die Moderatorin vom "I’m a Scientist"-Team, dass der Chat bald ende. Schließlich der Hinweis: "Bitte verabschiedet euch jetzt." "Bis Spätersilie" schreibt "thaw28and" und erhält die Antwort "tschüssli müsli". Für die Forschenden geht die Arbeit weiter, während die Schülerinnen und Schüler vermutlich Große Pause haben.