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Hochschulleitung
Alleinherrscher oder Halbstarke?

Während die einen die Hochschulleitung als Alleinherrscher bezeichnen, sprechen andere von "Halbstarken". Wie steht es nun um ihre Handlungspielräume?

Von Otto Hüther Ausgabe 10/13

Wenn von Hochschulleitern als Alleinherrschern gesprochen wird, wird gerne auf die in den letzten 15 Jahren erfolgten Veränderungen der formalen Entscheidungsstrukturen verwiesen. Es ist auch kaum zu bestreiten, dass in nahezu allen Landeshochschulgesetzen eine Verschiebung von formalen Entscheidungskompetenzen in Richtung der Hochschulleitung stattgefunden hat.

Während allerdings im hochschulpolitischen Diskurs gerne eine einheitliche Entwicklung für Deutschland behauptet wird, finden wir in den Landeshochschulgesetzen große Unterschiede in der Stärke der Verschiebung von Kompetenzen. Um es klar zu sagen: Es gibt in Deutschland kein einheitliches Modell in Bezug auf die Verteilung formaler Entscheidungskompetenzen mehr. In dieser Hinsicht finden wir mal sehr starke akademische Senate (zum Beispiel Bremen, Rheinland-Pfalz), mal starke Hochschulleitungen (zum Beispiel Saarland, Hessen), mal starke Hochschulleitungen in Kombination mit starken Hochschulräten (zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, Bayern).

Wir hätten demnach in unterschiedlichen Entscheidungskompetenzen der Hochschulleitungen – und damit indirekt auch der Hochschulleiter – eine recht einfache Erklärung für die widersprüchlichen Beobachtungen. Wer nur einflussstarke oder nur einflussschwache Hochschulleiter erblickt, verdrängt womöglich die Unterschiede bei den formalen Entscheidungskompetenzen.

"Es gibt in Deutschland kein einheitliches Modell für die Verteilung formaler Entscheidungskompetenzen."

Nehmen wir einmal an, wir hätten einen sehr kompetenzstarken Hochschulleiter vor uns, haben wir es dann immer mit einer starken Führungsfigur zu tun? Dagegen spricht, wie neue empirische Studien zeigen, dass Hochschulleiter häufig ihre formalen Entscheidungskompetenzen gar nicht wahrnehmen wollen. Dies kann man aber nicht als individuelles "Versagen" brandmarken, sondern es resultiert daraus, dass Hochschulleiter in Deutschland in aller Regel aus den Hochschulen rekrutiert werden. Sie sind von der vorherrschenden kollegialen Konsenskultur in den Hochschulen geprägt.

Aber auch die kombinierte Betrachtung von formalen Entscheidungsstrukturen und dem Willen, diese auch tatsächlich auszuführen, genügt noch nicht, um zu erklären, warum an einer Hochschule starke und an einer anderen eher schwache Hochschulleiter zu finden sind. Vielmehr müssen die Wahl- und Abwahlregeln der Hochschulleiter sowie die Macht- und Legitimationsstrukturen in den Hochschulen als weitere Faktoren in den Blick genommen werden.

Wahl- und Abwahlregeln für die Hochschulleitung

In Organisationen sind Besetzungs- und Absetzungsregeln von Leitungspositionen ein zentraler Kontrollmechanismus und ein Faktor, der erhebliche Auswirkungen auf die tatsächliche Entscheidungsfähigkeit der Hochschulleiter hat. Bei den Besetzungs- und Absetzungsregeln für Hochschulleiter hat es in den letzten Jahren deutliche Veränderungen gegeben. Nicht in allen, aber zumindest in einer Reihe von Hochschulen sind die Hochschulräte neben akademischen Gremien für die Wahl und Abwahl der Hochschulleiter zuständig.

Wichtig ist aber auch zweierlei: Erstens lassen sich in Deutschland kaum Hochschulen finden, in denen der Hochschulleiter gegen den Willen der akademischen Gremien gewählt oder abgewählt werden kann. Zweitens sind die Wahl- und Abwahlregeln in den Landeshochschulgesetzen in den Details höchst disparat. Die Folge sind nicht nur unterschiedlich stark ausgeprägte Abhängigkeiten der Hochschulleiter von den akademischen Gremien, sondern auch unterschiedliche Effekte auf die Wahrnehmung von formal zuerkannten Entscheidungskompetenzen.

Je größer der Einfluss der akademischen Gremien, umso unwahrscheinlicher werden Hochschulleiter, die hierarchisch durchregieren. So können akademische Gremien mit großem Einfluss versuchen, Leitungspersonen durchzusetzen, die die formalen Entscheidungskompetenzen überhaupt nicht nutzen wollen. Das nicht Nutzen formaler Entscheidungskompetenzen durch manche Hochschulleiter liegt deshalb nicht nur an einer allgemeinen kollegialen Orientierung, sondern auch daran, dass in einigen Hochschulen die Wahlregeln gezielte Selektionen im Hinblick auf eine konkrete kollegiale Orientierung ermöglichen.

Man wählt dann gerne interne Kandidaten, weil man hier aufgrund der erlebten Handlungspraxis relativ gut prognostizieren kann, dass hierarchisches Entscheidungsverhalten nicht zum Handlungsrepertoire gehört. Ist der seltene Fall einer Fehlprognose oder gar einer externen Besetzung eingetreten, können häufig immer noch Abwahldrohungen zur wirksamen Disziplinierung genutzt werden. Die tatsächliche Abwahl oder aber die Verweigerung der Wiederwahl konnten in den letzten Jahren auch mehrfach beobachtet werden, es handelt sich also mitnichten um rein theoretische Möglichkeiten.

Neben den Wahl- und Abwahlregeln haben auch die Macht- und Sanktionspotenziale einen Einfluss darauf, ob eher starke oder eher schwache Hochschulleiter in der Hochschule zu finden sind. Kommt es zu einer Bündelung von Entscheidungskompetenzen bei wenigen oder einem einzelnen – also zu einer Hierarchisierung –, dann muss sichergestellt werden, dass die Entscheidungen auch tatsächlich anerkannt und befolgt werden. Hierarchie muss immer institutionell abgesichert sein, ansonsten können zwar Entscheidungen getroffen werden, es interessiert aber niemanden. Eine zentrale Möglichkeit der Absicherung sind Macht- und damit verbundene Sanktionspotenziale. Diese ermöglichen es, Verhaltensabweichungen zu bestrafen beziehungsweise Gefolgschaft zu belohnen.

Um hier ein weitverbreitetes Missverständnis in Bezug auf Macht gleich auszuräumen: Wirksame Macht in Organisationen manifestiert sich in der Regel nicht durch offene Drohungen und dergleichen, sondern Macht ist dann besonders wirksam, wenn es zu einer automatischen Antizipation bei den Mitgliedern der Organisation kommt und Macht als nicht sichtbarer Hintergrundfaktor bei der Verhaltenswahl wirkt. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anwendung von Macht- und Sanktionsmitteln glaubwürdig ist, und zwar relativ unabhängig von situativen Faktoren. Wer hingegen offen drohen muss, fordert Widerstand heraus und riskiert damit seine Macht.

"Macht und Sanktionspotenziale deutscher Hochschulleitungen sind stark eingeschränkt."

Die Macht- und Sanktionspotenziale deutscher Hochschulleitungen sind im Vergleich zu anderen Organisationsleitungen stark eingeschränkt. Weder können Professoren entlassen werden, noch können die Hochschulleitungen aufgrund des Hausberufungsverbots Macht über interne Karriereentscheidungen ausüben. Allerdings wurde im Rahmen der neueren Veränderungen der Entscheidungsstrukturen die Stellung der Hochschulleitungen bei Ressourcenentscheidungen deutlich ausgeweitet. Zwar finden wir auch hier nicht unerhebliche Unterschiede in den Landeshochschulgesetzen, in der großen Mehrheit ist der Einfluss der Hochschulleitung auf Ressourcenentscheidungen aber relativ stark. Die meisten Hochschulleiter könnten also über die Verteilung der Mittel Macht ausüben und damit auch andere hierarchische Entscheidungen absichern.

Ein zentrales Problem ist allerdings, dass nicht alle Mitglieder oder organisatorischen Einheiten von der Ressourcenmacht umfasst werden. In Bezug auf Ressourcenmacht gleichen die deutschen Hochschulen vielmehr einem löchrigen Käse. So sind Kürzungen von Ressourcen in den naturwissenschaftlichen oder ingenieurwissenschaftlichen Fachbereichen politisch kaum durchsetzbar. Bestimmte Fächer brauchen hingegen kaum Ressourcen, um Forschung zu betreiben, eine Sanktionierung ist hier also kaum möglich. Die steigenden Drittmittelanteile im deutschen Hochschulsystem führen zudem dazu, dass Forschende ihre Ressourcenwünsche auch außerhalb der Hochschulen erfüllen können, sie können den Macht- und Sanktionspotenzialen der Organisation also ausweichen.

Halten wir fest: Es fehlen an deutschen Hochschulen einige für Organisationen typische Macht- und Sanktionspotenziale und die vorhandene Ressourcenmacht umfasst nicht alle Einheiten und Mitglieder. Die Hochschulleiter müssen dann offen mit negativen Sanktionen drohen oder aber Belohnungen versprechen, was erhöhtes Widerstandspotenzial hervorruft oder sehr teuer ist. Ob sich ein Hochschulleiter dann jeweils durchsetzen kann, hängt nicht nur stark von Faktoren in der Entscheidungssituation ab, sondern auch von den (taktischen) Fähigkeiten des Hochschulleiters. Dass eine Reihe von Hochschulleitern unter diesen „Risikostrukturen“ ihre formalen Entscheidungskompetenzen lieber konsensual umsetzen, kann man nur als hoch rationales Verhalten kennzeichnen.

"Die Machtpotenziale sind nicht so strukturiert, dass sie automatisch starke Hochschulleiter hervorbringen."

Deutlich sollte sein, dass die Machtpotenziale insgesamt nicht so strukturiert sind, dass sie automatisch einflussstarke Hochschulleiter – im Sinne von hierarchisch durchregierenden – hervorbringen. Die neu geschaffene Ressourcenmacht kann allerdings bei günstigen Bedingungen und effektivem Einsatz durchaus genutzt werden, um erhebliche Macht gegenüber bestimmten Hochschuleinheiten und Forschern zu produzieren.

Legitimität der Hochschulleitung

Eine institutionelle Absicherung von hierarchischen Entscheidungen ist auch dadurch möglich, dass ein Glaube daran vorhanden ist, dass es richtig ist, dass die hierarchisch Höhergestellten die Entscheidung treffen. Hier geht es also um Legitimität im Sinne von Max Weber. Während diese Legitimität in den meisten Organisationen, wenn überhaupt, dann nur in Bezug auf bestimmte Entscheidungen hinterfragbar ist, finden wir an deutschen Hochschulen eine andere Situation vor. Hier wird bereits die Legitimität der Entscheidungsrechte des Hochschulleiters beziehungsweise der Hochschulleitung, und zwar unabhängig von den konkreten Entscheidungen, angezweifelt.

Eine relevante Minderheit oder sogar die Mehrheit der Forschenden (so genau weiß man das nicht) glaubt nicht, dass die Leitungen das Recht haben sollten, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Man glaubt zudem nicht, dass die Leitungen die richtigen Entscheidungen treffen, sondern glaubt vielmehr, dass Entscheidungen durch Verhandlungen unter Gleichen – also Kollegialität – besser und angemessener sind.

Sichtbar wird hier, dass die zentrale Stellung des kollegialen Entscheidungsmodus, der über Jahrhunderte die deutschen Hochschulen kennzeichnet, sich tief in die organisatorischen Handlungsmuster eingeschrieben hat. Die institutionelle Absicherung von hierarchischen Entscheidungen durch Legitimität ist damit zwar nicht unter allen Bedingungen ausgeschlossen, aber doch zunächst unwahrscheinlich. Die Legitimität von Hierarchie kann zum Beispiel durch die Wahrnehmung von Krisen erhöht sein oder aber dadurch, dass es zu starken Störungen der eingeschliffenen Handlungsmuster kommt, wie dies bei Fusionen von Universitäten und Fachhochschulen typisch ist. Auch herausragende Erfolge oder charismatische Eigenschaften eines Hochschulleiters können dazu führen, dass hierarchische Entscheidungen als legitim angesehen werden.

Ähnlich wie die Macht- und Sanktionspotenziale sprechen die Legitimationsvorstellungen in den Hochschulen nicht für eine quasi automatisch starke Stellung des Hochschulleiters. Aber auch hier gilt: Die tatsächliche Legitimation des Hochschulleiters hängt auch von situativen Faktoren und den Erfolgen bzw. den charismatischen Eigenschaften des Hochschulleiters ab.

Viele Faktoren entscheiden über Handlungsspielräume

Ob Hochschulleiter eher einflussstark oder -schwach im Sinne von hierarchischem Durchregieren sind, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Hierzu zählen die formalen Entscheidungskompetenzen, der Wille, diese auch tatsächlich umzusetzen, die Wahl- und Abwahlregeln und ob die Hochschulleiter sicherstellen können, dass ihre Entscheidungsrechte und ihre Entscheidungen anerkannt werden. Hinzu kommt, dass die betrachteten Faktoren aufeinander einwirken. Wer über Legitimität verfügt, braucht weniger Macht, wer unbedingt führen will, ist risikobereiter beim Einsatz von Macht, wer viel Macht hat, kann womöglich Legitimität durch die Erhabenheit des Mächtigen produzieren.

Sowohl die Vielzahl der Faktoren als auch deren Wechselwirkungen erklären dann, dass wir an deutschen Hochschulen sowohl starke als auch schwache Hochschulleiter finden. Die häufig anzutreffende reine Fokussierung auf formale Entscheidungskompetenzen unterschätzt den Einfluss der aufgezeigten weiteren formalen und informellen Strukturen einer Organisation auf die faktische Stellung des Hochschulleiters.

Das Aufzeigen von Strukturen, die auf die Stellung des Hochschulleiters wirken, sagt allerdings nichts darüber aus, ob nun starke oder schwache Hochschulleiter besser oder schlechter sind. Es gibt – gerade für Professionsorganisationen wie die Hochschulen – gute Gründe darauf hinzuweisen, dass eher konsensuale Entscheidungsfindungen erhebliche Vorteile haben können. Keine Frage, auch Nachteile sind klar erkennbar und werden seit Jahren diskutiert. Vor- und Nachteile sind aber auch bei sehr starken Hochschulleitern vorhanden. Ob nun die Vor- oder Nachteile in den Mittelpunkt gerückt werden, hängt in der Regel nicht nur von normativen Standpunkten, sondern auch von der gerade dominierenden Managementmode ab. Überzeugende Forschungsergebnisse, die eindeutig für starke beziehungsweise schwache Hochschulleiter sprechen würden, sind jedenfalls nicht vorhanden.