Illustration einer Person, die sich in einer dunklen Ecke zusammenkauert und sich sorgenvoll den Kopf hält
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Umgang mit Mobbing
Den Groll verarbeiten und ablegen

Wenn Menschen sich bei der Arbeit wiederholt schikaniert und gequält fühlen, stellt das die behandelnden Ärzte vor Herausforderungen. Ein Interview.

Von Friederike Invernizzi 15.06.2020

Forschung & Lehre: Herr Henningsen, wie reagieren Menschen aus Ihrer Erfahrung körperlich und seelisch auf "Mobbing"?

Peter Henningsen: Vor allem ist es wichtig, als Arzt den Blick darauf zu richten, dass diese Menschen sich gemobbt "fühlen". Wenn ich einen Betroffenen sehe, ist es für mich zunächst gar nicht so entscheidend, ob derjenige "objektiv" ein Mobbingopfer ist. Entscheidend ist vielmehr, dass es dem Patienten oder der Patientin schlecht geht. Häufig fühlen diese sich gedemütigt. Demütigung ist ein klassischer Auslöser für depressive Reaktionen. Das bedeutet, dass sich die Patienten in einem bestimmten Ausmaß niedergeschlagen und freudlos fühlen. Dies ist meist eingekleidet in körperliche Symptome wie Erschöpfung, Schlafstörungen und Appetitlosigkeit. Zu uns kommen aber auch Menschen, die sich gemobbt fühlen und gleichzeitig unter Burnout leiden. Darüber hinaus gibt es in seltenen Fällen extreme Krankheitsverläufe, zum Beispiel bei Menschen, die aufgrund von Mobbing eine posttraumatische Belastungsstörung erleiden. Diese Patientinnen und Patienten durchleben dann "Flashbacks" und wiederkehrende Alpträume der durchlittenen Situationen. Es gibt aber auch eine ganze Reihe anderer Folgen wie körperliche Syndrome, zum Beispiel Schmerzen, Schwindel und Übelkeit.

"Demütigung ist ein klassischer Auslöser für depressive Reaktionen."

F&L: Wie sehr haben es die Betroffenen selbst in der Hand, sich zu schützen?

Peter Henningsen: Generell kann man sagen, dass Menschen, die sich als Mobbingopfer fühlen, sich schnell auf den Opferstatus zurückziehen. Viele Betroffene meinen, dass nicht sie selbst das Problem sind, sondern die anderen schuld sind, dass es ihnen schlecht geht. Das hält viele "Mobbingopfer" davon ab, darüber nachzudenken, was sie selbst tun oder verändern können, damit es ihnen besser geht.

Professor Peter Henningsen ist Direktor der Klinik und Poliklinik Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der TU München. privat

F&L: Wie können Sie solchen Patienten helfen?

Peter Henningsen: Unser therapeutischer Weg ist, zunächst die Patientinnen und Patienten da abzuholen, wo sie stehen. Wir geben ihnen die Rückmeldung, dass wir verstehen, dass sie sich so fühlen. Dann bauen wir eine therapeutische Beziehung auf, schauen und überlegen, wo lässt sich etwas ändern. Das schließt auch Beratungsaspekte ein. Gleichzeitig wird gemeinsam besprochen, was getan werden kann, damit sich der Patient oder die Patientin besser schützen kann. Welche Therapien nützlich sind, muss ganz individuell entschieden werden. Weiterhin muss man schauen, ob es sich bei dem Problem nicht eher um einen allgemeineren Konflikt am Arbeitsplatz handelt. Da ist es wichtig, dass man einen nicht zu engen Blick hat. Sicherlich geht es beim Mobbing auch um das Verhalten der Vorgesetzten, es spielt aber auch die psychologische Konstitution der Betroffenen eine Rolle, zum Beispiel bei Menschen, die sich sehr leicht ausgegrenzt und schlecht behandelt fühlen. Wichtig ist auch, genau zu schauen, aufgrund welcher strukturellen und organisationalen Bedingungen der Arbeitsplatzkonflikt entsteht, zum Beispiel hoher Leistungsdruck am Arbeitsplatz oder unsichere Arbeitsplätze. Bei solchen Gegebenheiten ist das Stressniveau höher, und es können leichter solche Wahrnehmungen entstehen.

F&L: Welche Therapieformen kämen denn in Frage?

Peter Henningsen: Wenn Betroffene eine soziale Angst haben, ist die Gefahr höher, dass sie ausgegrenzt werden. Für solche Menschen wäre beispielsweise eine Verhaltenstherapie indiziert, in der die Betroffenen lernen, sich bestimmten Situationen auszusetzen. Wenn bei einem anderen Betroffenen deutlich wird, dass er Probleme mit Autoritätsfiguren hat, dies wiederum mit dem problematischen Verhältnis zu seinem Vater zu tun hat, dann kann es eher sinnvoll sein, eine biographisch orientierte, tiefen­psychologische Therapie zu machen.

F&L: Welche Rolle spielt die medikamentöse Behandlung?

Peter Henningsen: Das kommt auf die klinische Situation an. Wenn ein Patient schwer depressiv ist, muss er neben der Psychotherapie auch pharmakologisch behandelt werden. Schwer depressiv heißt, dass der Betroffene in keiner Form mehr arbeitsfähig ist. Bei leichten oder mittelschweren Depressionen ist es nicht unbedingt nötig. Aber teils sind die Patienten ganz froh, wenn sie medikamentöse Unterstützung bekommen. Wenn die Betroffenen zum Beispiel Schlafstörungen haben, da kann es dann in der ersten Phase hilfreich sein, mit Medikamenten zu unterstützen. Das Entscheidende ist, dass es nie nur pharmakologische Behandlung sein darf.

F&L: Was passiert nach der Phase des "akuten" Mobbings und wie sehr sind die Betroffenen von langfristigen Auswirkungen betroffen?

Peter Henningsen: Menschen kommen sehr unterschiedlich mit den langfristigen Auswirkungen des Mobbings klar. Hier spielt die Resilienz, die psychische Widerstandskraft, jedes einzelnen eine große Rolle. Es gibt Menschen, die sind aufgrund ihrer Art sehr gut geschützt, weil sie gut mit Konflikten umgehen können, weil sie klar Grenzen ziehen können und sich zur Wehr setzen. Resilienz wird von der Persönlichkeit beeinflusst, aber auch von Kontextfaktoren, wie zum Beispiel Unterstützung durch Familie und das weitere soziale Umfeld. Wenn Menschen große Unterstützung erfahren, werden sie mit einem Mobbingerlebnis besser klarkommen als Menschen, die sehr auf sich gestellt sind. Betroffene, die sich nicht nur allein, sondern auch einsam fühlen, für die ist es sehr viel schwieriger, darüber hinwegzukommen.

F&L: Wie kann der Umgang mit Verletzungen gelingen und die Rückkehr zur "Normalität" im Arbeitsteam gelingen?

Peter Henningsen: Ganz entscheidend ist, wie sich alle Beteiligten im konkreten Mobbingfall mit dem Vorkommnis auseinandersetzen können. Das findet aber meist nicht in einem einmaligen Gespräch statt, durch das alles ausgeräumt oder verziehen ist, sondern gestaltet sich eher als ein längerer Auseinandersetzungsprozess. Ähnlich wie beim Trauern brauchen die Betroffenen Zeit, um die Verletzungen, die ihnen angetan wurden, zu begreifen und zu verarbeiten. Schließlich kann man an einen Punkt kommen, wo man den Groll ablegen und hinter sich lassen kann. Voraussetzung ist aber, dass der oder die "Täter" einräumen, dass er oder sie Fehler begangen haben. Es spielt eine große Rolle, wenn die Opfer das Gefühl haben, dass der andere anerkennen kann, was er mit mir als Betroffenem getan hat.

"Das ist aber richtig schief gegangen!"

F&L: Kann "Verzeihen" helfen?

Peter Henningsen: Viel wichtiger als Verzeihen ist, dass man sich auf eine gemeinsame Sicht der Ereignisse einigen kann, dass da einiges schief gelaufen ist. So könnte man, ohne in die Details zu gehen oder auf der anderen Seite zu verharmlosen, sagen: "Das ist aber richtig schief gegangen!". Dann kann man gemeinsam für die Zukunft überlegen, wie man derartige Vorkommnisse in Zukunft vermeiden kann. Wichtig ist prinzipiell eine regelmäßige Kommunikation über das gemeinsame Erleben. Dazu ist wichtig, dass man nicht erst dann miteinander redet, wenn wieder etwas passiert ist, sondern sich über die jeweiligen Sichtweisen austauscht, zum Beispiel bei einem jour fixe als feste Kommunikationsbasis. Ideal ist es, wenn der Betroffene aus belastenden Erfahrungen wie Mobbing etwas für den künftigen Umgang mit schwierigen Arbeitssituationen lernt und nach vorne schauen und gestalten kann.