

Künstliche Intelligenz
Deutsche Hochschulen wagen erste Regulationsschritte
Hochschulen und Universitäten sehen sich angesichts der wachsenden Bedeutung generativer KI-Anwendungen immer mehr in der Pflicht, den Umgang damit zu regulieren. Auch wenn ChatGPT zum Teil die größte Präsenz zu haben scheint, drängen doch stetig neue Tools zur Unterstützung des wissenschaftlichen Schreibens und Arbeitens auf den Markt: "Elicit.org" hilft beispielsweise bei der Findung von Forschungsfragen und Hypothesen, "Keenious.com" unterstützt bei der Belegsuche und gibt Quellenvorschläge. Für die Literatursuche bieten sich "Connectedpapers.com", "Researchrabbit.ai" oder "Iris.ai" an. Außerdem gibt es mit "Jenni.ai", "Neuroflash.com" ein deutschsprachiges Schreibtool, "DeepL Translate" ist ein Hilfsmittel, um Texte zu übersetzen, "DeepL Write" kann Texte überarbeiten und "Summarizer.org" erstellt Zusammenfassungen.
Synopse bestehender Regularien
Der Aufgabe, ein regelgeleitetes Handeln in Lehr- und Prüfungssituationen zu ermöglichen, kommen die Hochschulen und Universitäten unterschiedlich nach. Ein einheitlicher Standard existiert bisher nicht. Im Zuge der Erarbeitung einer eigenen Empfehlung hat die Hochschule Magdeburg-Stendal daher eine Synopse bestehender erster Regularien an deutschen Hochschulen und Universitäten vorgenommen. Sie recherchierte, kodierte und analysierte vergleichend verschiedene in den letzten Monaten veröffentlichte Dokumente zur Thematik. In den Blick genommen wurden außerdem die ersten Rechtsgutachten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch von hochschulpolitischen Organisationen. Als Orientierungsrahmen dienten außerdem die ersten zur Thematik abgeschlossenen vier Dissertationen und eine Habilitation. In diesen Arbeiten geht es unter anderem um den Einsatz generativer KI in der Informatik beziehungsweise in der praktischen Elektronik, in der Astronomie, in der Medizin, in der Literaturwissenschaft und in der Rhetorik aus fachwissenschaftlicher Sicht.
In der Synopse der Hochschule Magdeburg-Stendal wurden KI-bezogene Empfehlungen von fünf Hochschulen für angewandte Wissenschaften und neun Universitäten ausgewertet. Folgende Hochschulen für angewandte Wissenschaften standen im Fokus: die Hochschule Furtwangen, die Alice Salomon Hochschule Berlin, die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes sowie – als ausländisches Beispiel – die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Verglichen wurden – mit Orientierung an den hervorragenden Vorarbeiten des Hochschulforums Digitalisierung – außerdem die Regularien der TU Dortmund, der Goethe-Universität Frankfurt am Main, der TU Hamburg, der Universität Hohenheim, der Universität Kassel, der Leuphana Universität Lüneburg, der Universität Mannheim, der Universität des Saarlandes sowie der Universität Vechta.
Gegenstand der gesichteten Empfehlungen
Gegenstand der Empfehlungen aller Hochschulen sind zunächst generelle Hinweise auf nötige Kompetenzen und Qualifikationen. Hingewiesen wird auf die Zielgruppen, die Schaffung von Ordnungsrahmen und Richtlinien. Alle Empfehlungen befassen sich zudem mit den Themen Lehre und Prüfung.
Generative KI gilt allen als neues Lehrinstrument, aber auch als neuer Lehrinhalt. Bei der Gestaltung von Prüfungen geht es insbesondere um die transparente Kennzeichnung der Nutzung generativer KI und die Bedeutung und Gestaltung der Eigenständigkeitserklärung. Außerdem gibt es Hinweise zur Identifikation und zum Umgang mit Verdachtsfällen und -verstößen sowie zu Fragen KI-gestützter Bewertung von Prüfungen.
Reichweite der HAW-Regularien
Manche Hochschulen, wie beispielsweise die Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, geben in ihren Leitfäden vor allem allgemeine Hinweise über die Nutzungsmöglichkeiten und -grenzen generativer KI im Studium. Andere, wie die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, erläutern ihren Lehrenden in Handreichungen den Einsatz von KI-basierten Werkzeugen in der Lehre. An manchen Hochschulen für angewandte Wissenschaften finden sich – wie an der Hochschule Furtwangen – Vorgaben für Studierende und für Lehrende, wie die KI bei schriftlichen Prüfungsleistungen kenntlich gemacht werden sollte, beispielsweise durch die Adaption von Hilfsmittelverzeichnissen. Die Alice Salomon Hochschule Berlin hat ihre Leitlinien zum Umgang mit generativer KI in Studium und Lehre vom akademischen Senat der Hochschule beschließen lassen und wendet sich dabei explizit an alle Personen und Organe mit Leitungsverantwortung.
Regelungstiefe der universitären Dokumente
Die TU Dortmund bietet allgemeine Informationen und Umgangsempfehlungen. Die Handreichung der TU Hamburg zu KI-Tools in Studium und Lehre enthält sowohl für Studierende als auch für Lehrende eine ausführliche Übersicht über die nötigen Kompetenzen für eine Nutzung der generativen KI. Eine allgemeine Empfehlung der Universität Frankfurt am Main adressiert ebenfalls Studierende und Lehrende und benennt universitätseigene Ansprechpersonen zur Thematik sowie Unterstützungsangebote. In den ersten Regulierungen der Leuphana Universität Lüneburg finden sich detaillierte Hinweise zur transparenten Kennzeichnungspflicht.
Vergleich der Regularien von HAW und Universitäten
Anders als an den HAW wird in den universitären Empfehlungen die Frage der KI-Gerechtigkeit nicht thematisiert. Dazu zählen Aspekte wie Heterogenität, Diversität, Internationalisierung und Inklusion (Digital Divide) sowie Fragen der sozialökologischen Voraussetzungen und Probleme von globaler Digitalisierung und massenhafter Nutzung von KI. Bei letzterem Aspekt spielen Ressourcenverbrauch, Ausbeutung und Gefährdung von Menschen, die beispielsweise in die Trainings und in die Optimierung von generativer KI eingebunden sind, eine Rolle. Mögliche Kompetenzverluste durch die Nutzung von KI-Systemen sind weder in den Regularien der HAW noch in denen der Universitäten Gegenstand der Überlegungen.
Nicht verhandelt werden in den gesichteten universitären Empfehlungen fachspezifische KI-Kompetenzen, deren Vermittlung sich bei den Gesundheits- und Sozialwissenschaften, den Ingenieurwissenschaften und den künstlerischen Fächern sehr unterscheidet. Bei den HAW finden sich solche Empfehlungen allerdings auch nur bei wenigen Hochschulen. Die konkrete Identifikation der Weiterbildungsbedarfe für die Zielgruppe der Verwaltung beziehungsweise des wissenschaftsunterstützenden Personals werden bei beiden Hochschultypen ausgelassen. Orientierungen, die die Zeit nach dem Studium im Hinblick auf Beruf und Karriere fokussieren, zum Beispiel KI-unterstützte (kritische) Schreibkompetenz für spätere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Beratungskompetenz für zukünftige Gesundheitswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Lehrkompetenz für zukünftige Pädagoginnen und Pädogogen, kommen kaum vor.
Die Empfehlungen der HAW verweisen explizit auf die studentische Selbstverantwortung bei der Redlichkeit wissenschaftlichen Arbeitens. Für die Nutzungserlaubnis beziehungsweise das Nutzungsverbot sind stets die Lehrenden zuständig. Nur einige Regularien beschäftigen sich damit, wie bei Nutzungserlaubnis mit generativer KI im Detail umzugehen ist. So wie in den universitären Empfehlungen auch, fehlt häufig der Hinweis auf KI-bezogene Informations-, Weiterbildungs- und Austauschformate für Lehrende ebenso wie für Studierende und Mitarbeitende aus der Verwaltung.
Digital Literacy
Das Thema der kompetenzorientierten Digital Literacy steckt an den HAW wie auch an den Universitäten noch in den Kinderschuhen. Außerdem finden sich nur wenige didaktische Hinweise für unterschiedliche Lehrformate. Bisher sind keinerlei KI-basierte kompetenzorientierte Prüfungsformate beschrieben.
Generell lässt sich sagen, dass die Regularien sowohl der HAW als auch der Universitäten weiterentwickelt werden müssen. Hinweise zur Sicherstellung der Eigenleistung und das Ausweisen der Nutzung sowie der Art der Nutzung von Hilfsmitteln vor Beginn der Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit sind wichtig. Jenseits der Markierung von Täuschungsversuchen bei unerlaubter Nutzung sind (Prompt-gesteuerte) Nutzungstiefe und damit (stellvertretende) Ergebnisgenerierung noch weitgehend unreguliert. Weiterführender Überlegungen bedarf es auch zur zunehmenden Praxis von Lehrenden, bei der Beurteilung von Leistungen ihrer Studierenden generative KI zurate zu ziehen – und dies auch jenseits von in der Wissenschaft eigentlich ethisch völlig selbstverständlichen Urheberrechts- und Datenschutzfragen.