Gemischtes Team diskutiert über ein Papier auf einem Tisch gebeugt
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Start-ups
Empathische Gründer sind erfolgreicher

Ausgründungen aus Hochschulen haben ein besonders hohes Innovationspotenzial. Vor welchen Hürden die Start-ups stehen, erforscht ein Team der TUM.

Von Claudia Krapp 03.07.2020

Forschung & Lehre: Frau Professorin Breugst, der Ruf nach mehr Innovationstransfer hält sich hartnäckig in politischen Strategiepapieren. Wie viele Wissenschaftler versuchen sich denn am Gründen und wie erfolgreich sind sie?

Nicola Breugst: Derzeit sind nur sehr wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereit, ihre Ideen auf den Markt zu bringen und ein Unternehmen zu gründen. Zahlen dazu sind jedoch gar nicht so leicht zu generieren, da die Definition eines Gründers unterschiedlich ist. Personen, die die Idee der Gründung mit sich herumtragen, aber noch keine offiziellen Schritte unternommen haben, fließen in die meisten Statistiken gar nicht ein. Von den offiziell erfassten Start-ups kommen mit 16 Prozent aber nur wenige aus der Wissenschaft. Angesichts des hohen Stands von Deutschland in internationalen Innovationsrankings und angesichts dessen, dass Hochschulen eine Fülle neuer Ideen hervorbringen, ist das erstaunlich wenig. Wie erfolgreich die Gründer sind, lässt sich ebenfalls schwer messen. Daten zeigen immer wieder, dass zehn Jahre nach Gründung nur noch zwei Drittel der Start-ups existieren – entweder weil sie gescheitert sind oder sich den Unternehmern andere Karrieremöglichkeiten geboten haben.

Portraitfoto von Prof. Dr. Nicola Breugst
Prof. Dr. Nicola Breugst, Professorship of Entrepreneurial Behavior, leitet gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Holger Patzelt ein Forschungsprojekt zum Wissenstransfer von Hochschulen in Unternehmen an der TU München. Astrid Eckert

F&L: Sie arbeiten in ihrem Forschungsprojekt mit jungen Unternehmern an der TU München zusammen, die sich mitten im Gründungsprozess befinden. Vor welchen Herausforderungen und Hürden stehen die meisten Start-ups?

Nicola Breugst: Die größte Herausforderung ist die Arbeit unter Unsicherheit. Beim Gründen gibt es zunächst keinen Fahrplan, keine Organisation, keine Vorgaben. Wissenschaftliche Start-ups sind meist Pioniere auf ihrem Gebiet und damit stets der erste Versuch. Kontinuierliches Feedback führt dabei zu ständigen Änderungen und einer extremen Unsicherheit.

F&L: Sind die psychologischen Herausforderungen also größer als die fachlichen beziehungsweise produktbezogenen Hürden?

Nicola Breugst: Die Qualität der Produktidee ist zu Beginn oft überhaupt nicht absehbar. Die Gründung basiert auf der Hoffnung, dass das Produkt einen Markt findet. Ob das so ist, wie weit entfernt die Marktreife ist und wie die beste Lösung aussieht, ist aber völlig unklar. Damit einher geht eben jene Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, unter der alle Gründer leiden. Die psychologische Herausforderung ist die Schleife aus teils widersprüchlichem Feedback und daraus zu treffenden Entscheidungen, die den Reifeprozess ausmacht.

F&L: Lässt sich ein überzeugter Gründer davon abschrecken?

Nicola Breugst: Unserer Erfahrung nach denkt etwa die Hälfte der potenziellen Gründer an Hochschulen über eine unternehmerische Idee nach ohne sie umzusetzen. Das liegt weniger an der Unsicherheit als daran, dass sie diese nur als "eine" Idee, aber nicht als "ihre" Idee oder "ihre" Chance ansieht. Das liegt meist auch an den dabei aufeinandertreffenden Denkmustern von Wissenschaft und Industrie. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen befinden sich in einer über Jahre hinweg kultivierten Umgebung, die recht wenig kommerziell denkt. Das animiert entsprechend wenige zum Gründen.

F&L: Wie denkt denn ein klassischer Wissenschaftler und wie ein Unternehmer?

Nicola Breugst: In der Wissenschaft geht es um Perfektion, in Unternehmen um Pragmatismus. Wissenschaftler streben nach absoluter Korrektheit und tauschen sich so lange untereinander aus, bis Methoden und Erkenntnisse sehr fein geschliffen und bis ins letzte Detail stimmig sind. Das finale Ergebnis hat eine entsprechend hohe Qualität. Als Unternehmer muss das alles schneller gehen. Produkt und Markt zusammenzubringen, steht hier über der absoluten Wahrheit und Richtigkeit. Unternehmer und Wissenschaftler befinden sich beide im ständigen Experimentier-, Überzeugungs- und Änderungsmodus, jedoch mit unterschiedlichen Ansprüchen. Zudem handelt es sich bei Wissenschaftlern eher um einen internen Prozess, Unternehmer agieren stets nach außen. In großen Unternehmen besteht übrigens dieselbe Diskrepanz zwischen den Mindsets der Forschungs- und der Marketingabteilungen. Daher ist es dort auch nicht unbedingt leichter, eine Innovation zur Marktreife zu entwickeln, als aus einer Hochschule heraus. Das Feedback, das universitäre Gründer aus der Wirtschaft erhalten, kommt meist auch von Personen mit einer Marketing-orientierten Denkweise. Hier ist es oft schwierig, sich auf das Projektziel zu verständigen, weil unterschiedliche Sprache und Bedürfnisse aufeinanderprallen.

F&L: Gründen Wissenschaftler entsprechend häufiger unter sich oder nehmen sie sich in der Regel unternehmerische Hilfe?

Nicola Breugst: In unseren Studien an der TUM waren in der Regel interdisziplinäre Teams aus dem universitären Umfeld beteiligt. Auch an anderen Hochschulen finden sich die späteren Start-up-Kollegen meist an der Uni, meist auch aus dem ähnlichen Fachgebiet. Es ist zwar ein Privileg des Gründertums, sich seine Kollegen selbst auszusuchen, das ist jedoch noch kein Garant für Erfolg. Trotz vorheriger Freundschaft oder ähnlicher Denkweise finden Gründungsteams nicht immer dieselbe Sprache.

Forschung zu Entrepreneurship

Das interdisziplinäre Forschungsteam des "Entrepreneurship Research Institutes" der Technischen Universität München (TUM) hat sich zum Ziel gesetzt, die psychologischen Prozesse bei akademischen Ausgründungen zu verstehen. Die Forscherinnen und Forscher begleiten dabei junge Gründer bei ihrem Weg vom Wissenschaftler zum Unternehmer. Das Projekt läuft noch bis Anfang 2021 und wird von der Joachim Herz Stiftung gefördert.

F&L: Worin äußern sich die Konflikte im Team?

Nicola Breugst: In interdisziplinären Teams geraten meist Personen aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften mit Personen aus Wirtschafts- und Sozialwissenschaften aneinander. Technologieaffine Wissenschaftler sind oft sehr produktorientiert und produktbegeistert, denken bei deren Weiterentwicklung aber selten an den Kunden. Die Marktseite sammelt währenddessen Informationen und Wünsche von Kunden, ohne die Technologie immer perfekt verstanden zu haben. In der Diskussion tut sich die Technikseite oft schwer, die eigene Perfektion hinter dem Pragmatismus des Marktes zurück zu stellen. Trotz der Informationsfülle, mangelt es hier meist an der Kommunikation untereinander und der Fähigkeit, dem anderen zuzuhören.

F&L: Welche sozialen Kompetenzen brauchen Gründer?

Nicola Breugst: Einer der entscheidendsten Faktoren war in unseren Studien die Interaktion im Gründungsteam. Das betrifft sowohl die interne Abstimmung als auch die Verarbeitung von Informationen von außen. Teams, die gemeinsam aus externem Feedback reflektieren und lernen, sind am erfolgreichsten. Rückschläge und negatives Feedback sind beim Gründen völlig normal. Entscheidend ist, ob ein Team daraus etwas positives entwickeln kann und sein Business-Model gemeinsam anpassen kann. Ein erfolgreiches „Gründerprofil“ umfasst also Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Reflexions- und Kommunikationsfähigkeit sowie Empathie.

F&L: Welche Eigenschaften helfen zusätzlich, etwa bei der Entscheidung, überhaupt zu gründen?

Nicola Breugst: Zur Persönlichkeit von Gründern gibt es bereits eine ganze Reihe von Studien. Unter den vorteilhaften Eigenschaften ist dabei auch die Risikoneigung, wobei ein höherer Mut zum Risiko häufiger mit einer Gründung einhergeht, nicht aber mit dem Erfolg eines Start-ups. Für den Erfolg ist die Risikoneigung irrelevant. Entscheidend sind hierbei vielmehr die Offenheit für unkonventionelle Ideen sowie Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt. Diese Charaktereigenschaften helfen insgesamt. Wer diesem Profil nicht entspricht, kann aber durchaus auch erfolgreich gründen. Es ist für ihn nur gegebenenfalls etwas anstrengender, weil er sich Verhaltensweisen aneignen muss, die er normal nicht zeigen würde.

F&L: Ist der geringe Anteil der Start-ups aus Hochschulen darauf zurückzuführen, dass diese Eigenschaften an Hochschulen weniger vertreten sind?

Nicola Breugst: Im Gegenteil, sowohl Offenheit als auch Gewissenhaftigkeit sind an Hochschulen besonders stark vertreten. Daher ist das Potenzial für erfolgreiche Ausgründungen und Innovationen dort auch besonders hoch. Ich denke, viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich aber dessen nicht bewusst, dass ihnen diese Eigenschaften einen Vorteil beim Gründen verschaffen würden. Zudem helfen diese Eigenschaften auch bei einer akademischen Karriere, die für viele naheliegender ist. Wenn wir in Workshops mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sprechen, zeigt sich oft ein geringes Interesse an der Wirtschaft. Die Rolle des Gründers ist oft keine Vision, die die Teilnehmenden von sich selbst haben. Der Gründungsgedanke existiert einfach nicht.

F&L: Warum sollten Hochschulen Start-ups fördern?

Nicola Breugst: Start-ups sind nachweislich effektive Motoren für die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen. Sie schaffen Arbeitsplätze und gesellschaftlichen Fortschritt. Die Idee der Hochschule, die durch Steuergelder gefördert wird und daher der Gesellschaft dient, ist mit der Förderung von Ausgründungen also sehr kompatibel. Zudem finden sich in Start-ups Anwendungen von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die andernfalls eventuell in einer Schublade verstauben würden. Als Wissenschaftler mag der Nutzen und gesellschaftliche Mehrwert der eigenen Forschung nicht unbedingt im Fokus stehen, als Hochschule sollte er es aber unbedingt.

F&L: Wie können Hochschulen Ausgründungen fördern?

Nicola Breugst: In den vergangenen Jahren hat sich dabei an der TUM, aber auch an anderen, vorwiegend technischen Hochschulen, schon viel getan: Es gibt inzwischen sichtbare Vorbilder und "role models" in Form von erfolgreichen Gründern, die potenzielle Nachahmer bei Veranstaltungen treffen und sich mit diesen austauschen können. Außerdem können Hochschulen interdisziplinäre Projekte zu bestimmten Themen wie Nachhaltigkeit oder soziales Engagement schaffen, in denen sich potenzielle Gründer ausprobieren können, und generell mehr Kurse zu Entrepreneurship anbieten. Auch durch spezielle "Technology Scouting" Programme in einzelnen Fakultäten können Hochschulen Forscherinnen und Forscher auf das kommerzielle Potenzial ihrer Arbeit aufmerksam machen.

Unterstützung für Start-ups

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Das EXIST-Gründerstipendium unterstützt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Umsetzung ihres Businessplans. Die monatliche Finanzierung läuft maximal ein Jahr. Zusätzlich ist eine Sachfinanzierung, etwa von Prototypen, möglich.

Bundesministerium für Bildung und Forschung: Im Rahmen verschiedener Strategien stellt auch das BMBF zu einzelnen Innovationsbereichen eine Reihe von Fördermaßnahmen für Gründer bereit.

Die Förderdatenbank des Bundes gibt Gründern einen Überblick über Förderprogramme des Bundes, der Länder und der Europäischen Union. Die Förderberatung des Bundes ergänzt die Datenbank und beantwortet die häufigsten Fragen rund um Start-ups.

IHK: Die Industrie- und Handelskammern bieten neben Seminaren auch finanzielle Beratung für Existenz- und Unternehmensgründungen an.

Business Angels sind Privatpersonen, die in geringerem Umfang investieren, aber oftmals eine wertvolle Mentorenfunktion übernehmen.

Venture Capital Fonds stellen institutionelle Investoren in der späteren Gründerphase dar. An der TU München ist beispielsweise der "Unternehmertum Venture Capital Partners" angesiedelt, der in technologiebasierte Start-ups im europäischen Raum investiert. Auch die Deutsche Bahn und die Telekom bieten Investitionen in die digitale Mobilität und Kommunikation.

F&L: Was gehört zu einer ganzheitlichen Unterstützung noch dazu?

Nicola Breugst: Hochschulen können wissenschaftliche Start-ups nur bedingt finanziell fördern, das erfolgt in der Regel über Stipendien aus öffentlicher Hand. Danach tritt aber oft eine Lücke ohne Folgefinanzierung auf. Universitäten könnten hier auch noch besser über Förderprogramme, Sachunterstützung oder Beratungsstrukturen unterstützen. Aus psychologischer Sicht kommt vor allem die Teamkomponente bisher zu kurz. Einen Mentor zum Erfahrungsaustausch bekommen Gründer relativ leicht, eine strukturelle Teamberatung zu den angesprochenen internen Organisations- und Kommunikationskonflikten jedoch kaum.

F&L: Heißt das, die zweite Phase des Gründertums ist die entscheidende?

Nicola Breugst: Der Übergang vom Start-up zum Scale-up ist die große Herausforderung. Unterstützung ist hier für Universitäten äußerst schwierig, da die meisten Gründer zu diesem Zeitpunkt nicht mehr an der Hochschule tätig sind und damit aus den kostenlosen Förderstrukturen herausfallen. Sich dann professionelle Hilfe von beratenden Unternehmen zu holen, ist meist nur für diejenigen Start-ups möglich, denen es finanziell schon sehr gut geht.

F&L: Wie können Start-ups mental auf diese Herausforderung vorbereitet werden?

Nicola Breugst: In sogenannten Accelerator-Programmen können Gründerteams der frühen Phase in kurzer Zeit fit für den Markt gemacht werden. Diese wirken sich meist positiv auf das Wachstum aus. Auch Rollenspiele und Trockenübungen können teilweise erfolgreich auf spätere Situationen vorbereiten. Natürlich lässt sich aber nicht jede Lage vorhersehen und prophylaktisch trainieren.