Vertrauen in die Wissenschaft
Warum eine Universität keine Insel sein darf
Forschung & Lehre: Herr Professor Strohmeier, wie schätzen Sie das Vertrauen und die Zuversicht der Deutschen zur Wissenschaft ein?
Gerd Strohmeier: Wir finden eine Gesellschaft vor, die wissenschaftliche Ergebnisse zum Teil nicht anerkennt beziehungsweise nur dann anerkennt, wenn diese eigene persönliche Einstellungen bestätigen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Coronapandemie. Hier zeigte sich in Teilen der Gesellschaft eine große Wissenschaftsskepsis. Ich würde auch behaupten wollen, dass sich die Gesellschaft zumindest partiell nicht als sonderlich belastbar erwiesen hat, was sich zum Teil im Anzweifeln von wissenschaftlichen Ergebnissen niederschlug. Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Gesellschaft für eine größere Krise gemacht wäre.
Ein weiteres Beispiel zum Thema Wissenschaftsskepsis ist mir nach meiner offiziellen Investitur als Rektor begegnet: Ein offensichtlich besorgter Bürger stellte mir die Frage, ob wir an der Universität auch etwas machen würden, was tatsächlich brauchbar sei. Schließlich sagte ich ihm, dass alles tatsächlich brauchbar sei – und manches eben auch eine praktische Relevanz hätte. Hier klangen Skepsis und Vorurteile gegenüber Universitäten an. Es ist daher sehr wichtig, mit der Gesellschaft zu kommunizieren und auch aufklärend zu wirken. Wofür ist Wissenschaft eigentlich da? Was soll Wissenschaft leisten? Was kann sie leisten?
F&L: War das vor zehn oder zwanzig Jahren anders?
Gerd Strohmeier: Ohne zu behaupten, früher war alles besser, stelle ich fest, dass sich die Gesellschaft verändert hat. Wir haben es weltweit – aber auch und gerade in Deutschland – mit einer zum Teil sehr polarisierten und fragmentierten Gesellschaft zu tun.
F&L: Sie meinen das Erstarken der politischen Ränder in Deutschland…
Gerd Strohmeier: Man muss klar sagen, dass wir es aktuell insbesondere mit starken rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Strömungen zu tun haben. Es ist unfassbar, wie empfänglich die Gesellschaft für diese Strömungen geworden ist. Bei der letzten Bundestagswahl haben gut 20 Prozent der Deutschen, in Sachsen waren es fast 40 Prozent, eine Partei gewählt, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft wurde. Das gibt zu denken. Die Frage ist auch: Welche Einstellung hat die Gesellschaft gegenüber der Demokratie als solche? Mit Blick auf die Wissenschaft sage ich sehr deutlich: Eine starke Wissenschaft braucht eine stabile Demokratie – und umgekehrt: Eine stabile Demokratie braucht eine starke Wissenschaft.
F&L: Für wie stabil halten Sie die Demokratie in Deutschland?
Gerd Strohmeier: Ich würde die Frage der Stabilität nicht nur auf die Demokratie beziehen, sondern auch auf demokratische Regierungen. Wir haben in Deutschland auf Bundesebene aktuell eine Koalition aus CDU, CSU und SPD. Diese Koalition hat eine Ampelkoalition abgelöst, die lediglich eine geringe programmatische Schnittmenge hatte, ihre wissenschafts- und hochschulpolitische Agenda nur ansatzweise umsetzen konnte, sehr instabil war und letztlich auch gescheitert ist. Die Koalition aus Union und SPD hat lediglich eine Mehrheit bekommen, weil eine andere Partei knapp den Einzug in den Bundestag verpasst hat, und hätte aktuell nach Umfragen keine Mehrheit mehr. Hier stellt sich die Frage nach der Stabilität – der Regierung und der Demokratie – sowie selbstverständlich auch nach den Rahmenbedingungen für wichtige hochschulpolitische Weichenstellungen, etwa das Wissenschaftszeitvertragsgesetz.
Auf Länderebene stellt sich die Situation bisweilen noch dramatischer dar: In Sachsen regiert etwa eine Minderheitsregierung aus CDU und SPD, die nur mit Stimmen der Partei Bündnis 90/Die Grünen und der Partei Die Linke den Doppelhaushalt durch den Landtag bringen konnte – der ein Vier-Milliarden-Loch enthielt und das Einbringen der gesamten Haushaltsausgleichsrücklage notwendig machte. Wir sind sehr froh, dass beispielsweise die Zuschussvereinbarung nicht angefasst wurde, die zwischen dem Freistaat Sachsen und den Hochschulen geschlossen wurde, um eine langfristige Finanzierung der Hochschulen zu sichern. Allerdings wurden Verstärkungsmittel in einem erheblichen Umfang gestrichen, die Hochschulen an der globalen Minderausgabe des Ressorts beteiligt und Kostensteigerungen nicht angemessen kompensiert. Zugleich sind die Aufgaben, die die Hochschulen bewältigen müssen, gewachsen. Dies bedeutet unter dem Strich, dass wir mit weniger Mittel mehr erreichen sollen. Das kann nicht funktionieren oder nur, indem wir zu drastischen Maßnahmen, wie etwa Stellensperren, greifen.
F&L: Die Qualität des deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystems lässt sich nicht ohne hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten. Welche Folgen haben Mittelkürzungen beispielsweise für Berufungs- und Bleibeverhandlungen?
Gerd Strohmeier: Ich führe seit 2016 Berufungs- und Bleibeverhandlungen und habe weit über 100 Verhandlungen geführt. Die Verhandlungen und Verfahren werden immer komplexer, das Berufungsgeschäft immer kompetitiver. Der Berufungsmarkt in der Wissenschaft nähert sich – mit einem Augenzwinkern – immer mehr dem Transfermarkt im Fußball an. Wir zahlen zwar nicht solche Gehälter wie in der Bundesliga, aber die Kosten explodieren auch in der Wissenschaft. Die Frage ist, wie man das finanzieren soll – gerade auch, wenn man denjenigen, denen man nicht zwingend etwas geben müsste, etwa berufenen Privatdozentinnen und -dozenten, aus Gründen der Wertschätzung etwas geben möchte. Es geht aber auch um die sächliche Ausstattung, beispielsweise um die Frage nach dem 50-prozentigen Landesanteil an DFG-geförderten Forschungsgroßgeräten nach Artikel 91b des Grundgesetzes, die häufig Bestandteil von Berufungsverhandlungen sind.
Man muss sich die besten Köpfe auch leisten können. Die Frage ist: Was können wir in Zukunft bieten, wenn die finanzielle Ausstattung stark leidet? Worauf können wir uns als Universitäten verlassen – und was können wir in Berufungsverhandlungen anbieten? Diese Fragen haben unmittelbaren Einfluss auf die Möglichkeit, sehr gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu gewinnen und zu halten. In der Vergangenheit hat das halbwegs funktioniert. Allmählich wird es kritisch.
F&L: Was macht die Situation für die Universitäten inzwischen so kritisch?
Gerd Strohmeier: Selbstverständlich sind Mittelkürzungen höchst problematisch. Zum Teil geht es aber auch gar nicht so sehr um die Frage, ob gekürzt wird. Es geht schon allein darum, ob Kostensteigerungen angemessen kompensiert werden. Und selbstverständlich geht es auch um die Frage, ob gewachsene Aufgaben oder zu bewältigende Herausforderungen hinreichend finanziell untersetzt werden.
F&L: Wie lässt sich das verhindern, nach welchen Kriterien sparen Sie an der TU Chemnitz?
Gerd Strohmeier: Indem wir zum Beispiel Rücklagen mobilisieren. Das ist natürlich ein Euphemismus. Denn dieses Geld ist eigentlich für andere Zwecke gedacht. Es bleibt aber auch nicht aus, mit Stellensperren zu operieren – zumindest mit grundsätzlichen Stellensperren, das heißt mit solchen, von denen es begründete Ausnahmen gibt. Ohne einschneidende Maßnahmen lässt sich die Situation leider nicht in den Griff bekommen. Ähnliches höre ich von vielen anderen Hochschulen. Die aktuelle Situation ist wesentlich schwieriger als vor fünf oder zehn Jahren. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland nach wie vor attraktiv ist. Wir müssen es aber auch in Zukunft bleiben.
F&L: Und die gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen?
Gerd Strohmeier: Die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in diesem Land sind ein weiterer wesentlicher Punkt in diesem Zusammenhang. Wir sprechen immer über die USA und die vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die von dort aus möglicherweise zu uns kommen oder in andere Länder gehen wollen. Wir müssen den Blick aber auch auf Entwicklungen in Deutschland richten, die sowohl hierzulande als auch außerhalb Deutschlands wahrgenommen werden. Die rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Strömungen in der deutschen Gesellschaft bedeuten zweifelsohne einen Standortnachteil, und das nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Wirtschaft, weil sie nicht nur verwerflich sind, sondern auch abschreckend wirken.
"Die rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Strömungen in der deutschen Gesellschaft bedeuten zweifelsohne einen Standortnachteil."
Gerd Strohmeier, Rektor der TU Chemnitz
F&L: Schauen wir auch auf die wissenschaftlichen Karrierewege. Die hiermit verbundenen Risiken werden in der Regel in Kauf genommen beziehungsweise ausgeblendet. Letzteres gelingt aber wohl nur, wenn Vertrauen beziehungsweise Zuversicht herrscht, dass eine solche Karriere auch gelingen kann. Ist eine solche Zuversicht nach wie vor angemessen?
Gerd Strohmeier: Jeder, der sich auf den wissenschaftlichen Karriereweg begibt, weiß, dass das Ziel, eine Professur zu erreichen, risikobehaftet ist. Viele haben dennoch Zuversicht, diesen Weg erfolgreich zu gehen. Erfolg am Ende dieses Wegs bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass der Weg in eine Professur münden muss. Es gibt auch andere Karrieremöglichkeiten, beispielsweise entfristete Stellen im akademischen Mittelbau oder Perspektiven außerhalb der Wissenschaft.
F&L: Zu den Risiken zählen die Höchstbefristungsdauer und damit verbunden die hohe Zahl an Befristungen sowie kurze Vertragslaufzeiten. Inwiefern kann hier das Wissenschaftszeitvertragsgesetz Abhilfe schaffen?
Gerd Strohmeier: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob man über diskutierte Reformen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes alles zufriedenstellend regeln kann. Beispielsweise ist für mich nicht klar, dass eine Veränderung der Qualifikationszeiträume tatsächlich eine positive Veränderung brächte. Die Befristungsphase vor der Promotion kann zurzeit maximal sechs Jahre umfassen, eine zweite nach der Promotion weitere sechs Jahre. Es wurde in den vergangenen Jahren eine Reduzierung, etwa auf insgesamt zehn Jahre, diskutiert. Die Motivation dafür ist klar und nachvollziehbar: Es geht darum, den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland schneller zu qualifizieren und zügiger in eine "sichere" Anschlussposition zu bringen. Die Frage ist aber, ob dies durch eine Kürzung der Qualifikationszeiten erreicht werden kann. Im schlechtesten Fall würde dieser Zeitraum verkürzt, ohne dass es eine klare Karriereperspektive gibt.
In den Geisteswissenschaften spielt zum Beispiel die Habilitation – anders als in anderen Disziplinen – nach wie vor eine zentrale Rolle. Wenn Forschende nun in sechs Jahren ihre Promotion schreiben, stehen ihnen nochmals sechs Jahre zur Verfügung, um sich zu habilitieren und für die Professur zu qualifizieren. Das könnte bei einer Reduzierung auf zehn Jahre eng werden. Es hängt also auch von den jeweiligen Disziplinen und von der Frage ab, wie schnell die oder der Einzelne die formalen Voraussetzungen für eine Professur erreicht. Mit Blick auf Befristungen ist generell festzustellen, dass sie Teil unserer Hochschulstruktur sind. Selbstverständlich sind höhere Entfristungsquoten – zumindest außerhalb des Drittmittelbereichs – möglich. Wir sprechen hier aber über einen für einen langen Zeitraum einmaligen Effekt, die Verringerung von Flexibilität und die Vernichtung von Qualifikationsstellen beziehungsweise wissenschaftlichen Perspektiven von künftigen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern.
Zuversicht – Schwerpunkt in Forschung & Lehre
Die Oktober-Printausgabe von "Forschung & Lehre" beschäftigt sich mit der Frage, ob wir eine Gesellschaft ohne Zuversicht geworden sind und vor welchen Herausforderungen die Wissenschaften stehen, um zu mehr Zuversicht beizutragen. Die Beiträge:
- Elke Seefried: Aufbruch – Krise – German Angst? Zukünfte im Spiegel der Zeitgeschichte
- Interview mit Gerd Strohmeier: Transparent und kommunikativ – Warum eine Universität keine Insel sein darf
- Interview mit Stephan Grünewald: Solidarität in den Silos – Wie steht es um Zuversicht und Optimismus in unserer Gesellschaft?
- Frank Decker: Abnehmender Zukunftsoptimismus – Wie gewinnt die Demokratie Vertrauen zurück?
- Sarah K. Schäfer | Clara F. Burmeister | Klaus Lieb: Schöpfen aus dem Werkzeugkasten – Zur Hoffnung aus psychologischer Sicht
- Ernst Peter Fischer: So glücklich wie Sisyphos: Scheitern – Eine notwendige Haltung in der Wissenschaft
F&L: Versuchen wir zum Schluss einen positiven Ausblick. Wie lässt sich auch in Krisen- und Sparzeiten das Gemeinschaftsgefühl in der Universität bewahren?
Gerd Strohmeier: Gerade in Krisenzeiten ist das Gemeinschaftsgefühl gefragt. Besonders wichtige Instrumente sind zweifelsohne die Transparenz sowie eine gute und vertrauensvolle Kommunikation. Die Hochschulleitungen müssen mit den akademischen Gremien offen über besonders herausfordernde Themen sprechen, auch wenn die Gremien gesetzlich keine Zuständigkeit haben. So sollte man in finanziell schwierigen Zeiten auch im Senat über den Haushalt diskutieren, selbst wenn dieser dafür gesetzlich nicht zuständig ist. Zudem empfiehlt sich die Diskussion in Gremien, die es gesetzlich nicht gibt, die aber hochschulpolitisch sehr bedeutsam sind. So ist eine regelmäßige Beratung der Dekaninnen und Dekane gesetzlich nicht vorgesehen, aus meiner Sicht aber äußerst bedeutsam.
F&L: Und die Verbindung zur Außen- beziehungsweise Umwelt, zur jeweiligen Stadt und Region?
Gerd Strohmeier: Das Schlimmste wäre, wenn eine Universität eine Insel bilden würde, losgelöst von der Stadt und der sie umgebenden Region. Die Universität muss in die Stadt und die Region hineinwirken. So setzen wir auf den Transfer in die Region, indem wir Außenstellen im Erzgebirge, im Vogtland sowie auch in der Lausitz aufbauen. Ebenso wichtig ist für uns als Technische Universität der Transfer in die Wirtschaft, indem wir beispielsweise Ausgründungen erfolgreich unterstützen – beinahe 200 seit 2017.
"Die Universität muss in die Stadt und die Region hineinwirken."
Gerd Strohmeier, Rektor der TU Chemnitz
Von großer Bedeutung ist für uns selbstverständlich auch der Transfer in den Arbeitsmarkt. Im aktuellen, jährlich ermittelten Global University Employability Ranking, das auf der Grundlage der Rückmeldungen von Personalverantwortlichen feststellt, welche Universitäten Absolventinnen und Absolventen am besten auf den Arbeitsmarkt vorbereiten, belegen wir weltweit Platz 118. Das hört sich zunächst vielleicht nicht beeindruckend an, aber für eine mittelgroße Universität im weltweiten Vergleich ist das ein tolles Ergebnis. In Deutschland befinden wir uns übrigens auf Platz zehn.
Entscheidend ist für uns aber auch der Transfer in die Gesellschaft, indem wir uns klar positionieren, beispielsweise unter der Kampagne ZUSAMMENSTEHEN #TUCgether: Zusammenstehen für Demokratie, Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit – und damit gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Meiner Meinung nach haben Hochschulen die Aufgabe, sich politisch zu positionieren – nicht parteipolitisch, aber zu übergreifenden Werten, zu unserem Grundgesetz und damit zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung.