Gezeichnete Menschen schütteln sich kollegial die Hand.
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Leitungspositionen
Was Demut in der Führung bewirkt

Führungsstile unterscheiden sich. Ein aktueller Trend verlangt von Chefs Bescheidenheit und Menschenfreundlichkeit. Was steckt dahinter?

Demut und Führungsstärke sind zwei Begriffe, die viele Menschen wahrscheinlich nicht so direkt miteinander verbinden würden. Gleichwohl mehren sich seit Jahren Forschungsarbeiten, nach denen ein still-bescheidenes ("humble") sowie betont menschenzugewandtes Führungsverhalten in Organisationen belohnt wird. Aus ethischer Sicht zeigen die diversen Krisen und Wirtschaftsskandale der letzten Jahre, dass eine Überprüfung der herkömmlichen Vorstellungen "guter" Führungseigenschaften anzuraten ist.

Was von Führung erwartet wird

Die Frage, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen von Top-Managern und dem langfristigen wirtschaftlichen Erfolg (oder Misserfolg) ihrer Unternehmen gibt, beschäftigt die Managementforschung schon lange. Studien, die einen positiven Zusammenhang sehen, sind in der Überzahl – es existiert aber auch das sogenannte Evergreen-Projekt von Nithin Nohria (Harvard), welches diesen Zusammenhang auf der Grundlage diverser Statistiken bestreitet. Ein abschließender Befund steht also noch aus.

Offensichtlich ist aber, dass moralisches Fehlverhalten – zum Beispiel gezielte Bilanzfälschungen, schleichender Datenmissbrauch, systematische Abgasmanipulationen und vieles mehr – bohrende Fragen nach einer erneuerten Führungskultur beziehungsweise einem "sozial verträglicheren" Führungsethos aufkommen lassen. Denn zweifelsohne sind Unternehmenskrisen und Mauscheleien zu einem großen Teil auch mit den bestehenden destruktiven Führungsmerkmalen im Top-Management zu erklären.

Allerdings: Im Kanon der üblichen Suchkriterien werden bestimmte Eigenschaften von Top-Entscheidern in internen Auswahlrunden, aber auch von Teilen der Öffentlichkeit (zum Beispiel Investoren) schlichtweg erwartet. Diese Erwartungen beinhalten zum Beispiel Attribute wie Dominanz, Stressresistenz, innere Härte oder Durchsetzungsvermögen und entsprechen im Grundsatz prototypischen Leitbildern, die bislang auch mehrheitlich Akzeptanz gefunden haben. Diese aggregierten Vorstellungen von "guter" Führung beeinflussen Aktienkurse oder können letztlich den Aufstieg bestimmter Führungspersonen befördern beziehungsweise verhindern, werden aber eben auf gesellschaftlicher wie wissenschaftlicher Ebene mehr und mehr hinterfragt.

So wird in einer Art Gegenbewegung mittlerweile vor allem in den USA häufiger der eher leise und nachdenkliche Entscheider propagiert, das heißt eine Person, die frei ist von den oft narzisstischen oder gar egomanischen Zügen vieler Topentscheider – durchaus auch im Politikgeschäft. Pragmatische und ethische Argumentationsmuster fordern – auch in der publikumsstarken Wirtschaftspresse – vernehmlich ein entsprechendes Umdenken ein. Dazu brauchte es nicht erst den "Fall Wirecard" oder den Satz Ferdinand Piechs, der einst von einem "Krieg in der Autoindustrie" sprach. Aber welche Merkmale charakterisieren einen menschenfreundlichen und bescheidenen, gar "demütigen Führer"?

Wie drückt sich Demut aus?

Das Concise Oxford Dictionary definiert "Humility" als "a humble view of one’s own importance". Abgesehen davon, dass Demut respektive Bescheidenheit sogenannte Metatugenden mit philosophischen Bezügen bis hin zu Aristoteles sind (und natürlich auch in der christlichen Morallehre eine zentrale Stellung einnehmen), wird der Begriff spätestens durch Kant verallgemeinert. Bei ihm ist Demut "eigentlich nichts anderes als eine Abgleichung des eigenen Werts mit der moralischen Vollkommenheit". In der zeitgemäßen Forschung ist Demut/Humility als ein multidimensionales Konstrukt definiert, das aus mehr oder weniger zahlreichen Subdimensionen besteht und letztlich ein Gegengewicht zum in Managerkreisen nicht unüblichen Set der negativen persönlichen Traits (zum Beispiel Arroganz, Narzissmus, Ich-Bezogenheit) bilden soll.

Wirkungsstark ist insbesondere das Konzept der "Expressed Humility" von Owens et al. Dieses besteht aus drei Komponenten:

  • Self-assessment: Wille und Fähigkeit zum unverstellten Blick auf sich selbst; ehrliche Bereitschaft zur Spiegelung der Eigenwahrnehmung durch andere, keine Selbstüberschätzung (die unter anderem zu riskanten Entscheidungen und Escalating committment führen kann);
  • Appreciation: das Anerkennen der Beiträge und Kompetenzen anderer Unternehmensmitglieder; Überwindung des kompetitiven Denkens, Empathie und Vertrauensfähigkeit; Ehrlichkeit; Bereitschaft, Macht abzugeben sowie Erfolgsverantwortung zu teilen (sogenannte Level 2-Führung);
  • Teachability: Offenheit für Feedback und die Ideen anderer, Bereitschaft zum lebenslangen (Dazu-)Lernen, anhaltende Neugierde, Akzeptanz sozialer und technologischer Veränderungen; nicht zufrieden beim Erreichten stehenbleiben.

Ein Wandel in Führungspersönlichkeiten

Vera/Rodriguez-Lopez definieren Humility als "the mid-point between the two negative extremes of arrogance and lack of self-esteem". Und Humility bedeutet nicht nur die Abwesenheit negativer Traits oder Handlungen; sie verkörpert beziehungsweise erfordert vielmehr aktives Tun und stellt somit eine wichtige Tugend für alle Personen dar, die Leitungsverantwortung tragen und sich einer sozialverträglichen Unternehmensführung im Sinne des "New Leadership" verpflichtet sehen.

Intern geht es letztlich um die Etablierung guter, das heißt gehalt- und vertrauensvoller zwischenmenschlicher Beziehungen auf der Basis von Vertrauen, Akzeptanz und Selbstverpflichtung. Mahatma Ghandi soll gesagt haben: "Service without humility is selfishness and egoism".

"Geschäftsmoral beginnt immer bei der einzelnen Führungskraft. Im Idealfall lernt diese, sich als Diener des Ganzen zu begreifen."

Führungskräfte müssen heute viel konsequenter als früher auf die veränderten Erwartungen von Mitarbeitern, Kunden und Investoren eingehen – zum Beispiel das gewachsene Sinn- und Autonomiestreben der Beschäftigten. Dieses Desideratum erstreckt sich auch auf ganz konkrete Fragen der Strategie- und Organisationsgestaltung (Stichworte: Gemeinwohlorientierung, Delegation, Empowerment). Geschäftsmoral beginnt immer bei der einzelnen Führungskraft. Im Idealfall lernt diese, sich als Diener des Ganzen zu begreifen (sogenannte "Servant leader­ship”).

Und die bislang nachgewiesenen Wirkungen einer solchen Führungsmoral sind durchaus ermutigend. Diverse Studien zeigen: In der Regel wird der interne Wissensaustausch intensiver, die Lernkurven von Managern wie Beschäftigten steiler, das Arbeitsklima besser, die Teamkreativität größer. Sogar Gehaltsdifferenzen zwischen den Hierarchieebenen scheinen sich mit der Zeit abzuflachen und der Firmenwert insgesamt zu steigen.

Vor Blauäugigkeit bei der Implementation dieser schönen Idee muss indes gewarnt werden. Trägheit, partikularistische Machtinteressen, Strukturkonservatismus und finanzdominierte Anreizsysteme könnten (nicht nur) diese überfällige Reform verhindern. Ein ethisch aufgestelltes Unternehmen braucht ethisch eingestellte Führungskräfte. Am Lehrstuhl interessiert uns die Frage: Kann man ethisches und demütiges Verhalten zum Beispiel durch systematische Trainings anerziehen?

Literatur

Argandona, A.: Humility in Management, in: Journal of Business Ethics, Nr. 132 (2015), S. 63-71

Oelsnitz, D. von der /Brunzel, J.: Demütiges Führen. Philosophische Grundlagen und Bedeutung für die Wirtschaftswelt, in: Universitas, 75. Jg. (2020), Nr. 7, S. 67-81

Ou, A./Waldman, D. & Peterson, S.: Do Humble CEOs Matter? An Examination of CEO Humility and Firm Outcomes, in: Journal of Management, 20. Jg. (2015), Nr. 10, S. 1-27

Owens, B./Johnson, M. & Mitchell, T. Expressed humility in organizations: Implications for performance, teams, and leadership, in: Organ. Science, 24. Jg. (2013), S. 1517-1538

Vera, D./Rodriguez-Lopez, A.: Humility as a source of competitive advantage, in: Organ. Dynamics, 33. Jg. (2004), Nr. 4, S. 393-408