Illustration einer Übergabe im Staffellauf
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Akademische Selbstverwaltung
Wie der Personalwechsel gelingt

Wie kann die akademische Selbstverwaltung besser und effektiver organisiert werden? Ein Teil der Antwort ist ein gelungener Personalwechsel.

Akademische Selbstverwaltungsgremien sowie Fakultäts- und Hochschulleitungen haben wie alle Leitungsorgane von öffentlichen Einrichtungen in einer freiheitlich und demokratisch verfassten Gesellschaft eine inhaltliche und eine strukturelle Dimension.

Zu den inhaltlichen Aufgaben des Senats einer Hochschule bspw. zählen insbesondere die Wahl der Rektoren und Prorektoren, die Beratungen über den Haushaltsplan, die Beratung über die Hochschulentwicklung und über die Zielvereinbarungen mit dem für die Hochschulen zuständigen Ministerium. Dazu gehören auch Beschlüsse über die Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Hochschuleinrichtungen und gemeinsamen Kommissionen sowie insbesondere Studiengängen, Beratung über die Festsetzung von Zulassungszahlen. Auch der Erlass von Grundsätzen zu Prüfungs- und Studienordnungen sowie Entscheidungen in Forschungsangelegenheiten sind von grundsätzlicher Bedeutung.

Strukturell bestehen die Organe aus gewählten und geborenen Hochschulangehörigen. Im Folgenden wird von Gremien gesprochen, obwohl die beschriebenen Phänomene und Herausforderungen nicht nur die Senate (und Fakultätsräte), sondern auch die Fakultäts- und Hochschulleitungen betreffen.  

Struktur der Selbstverwaltungsgremien bietet Konfliktpotenzial

Zunächst einmal muss gesagt werden: Selbstverwaltungsgremien sind keine Freundeskreise, aber auch keine Unternehmen, in denen ideelle oder reale Vermögen (miteinander geteilte Erlebnisse beziehungsweise gut gepflegte Kundenstämme) weitergegeben werden sollen, bezüglich derer es moralisch selbstverständlich oder aber ökonomisch lukrativ wäre, diese auch zu übernehmen. In akademischen Selbstverwaltungsgremien geht es ausschließlich um frei und demokratisch zu beschließende wie auch demokratisch durchzusetzende und frei anzuerkennende Leitungsentscheidungen.

Eigentlich eine leicht scheinende Aufgabe. Aber: Immer wieder prallen auch in akademischen Selbstverwaltungsgremien Mehrheits- und Minderheits-, Leitungs- und Oppositions- sowie auf Einigung zielende, wie auch auf Konfrontation "gebürstete" Meinungen aufeinander.
Besonders deutlich sind Meinungsverschiedenheiten zwischen den etablierten und den neuen Gremienmitgliedern. Dies wäre inhaltlich kein Problem, wenn dieser Dissens nicht die – nur selten untersuchte – strukturelle Kernaufgabe der Selbstverwaltungsgremien berühren würde, nämlich ihre Aufgabe, sich immer wieder zu regenerieren, neue Mitglieder zu finden und den Staffelstab weiterzugeben.

Vier Faktoren für einen gelungenen Staffel­stabwechsel

Soll ein Staffelstabwechsel gelingen, ist – wie oben bereits erwähnt – an der Bereitschaft von zunächst außenstehenden Neuen zur Verantwortungsübernahme in Gremien und zur Eingliederung in die Gremienstruktur zu arbeiten, eine Tätigkeit, die das Wort "Neuenmotivation" gut umschreibt.
Dies erfordert vier aufeinander aufbauende und ineinandergreifende Aktivitäten, die in vielen Gremien zumeist nur informell erbracht werden, ja vielfach nicht einmal in Worte gefasst werden können:

  1. Die Nachfolgeransprache
  2. die Nachfolgervorbereitung
  3. der Neuengruppenaufbau
  4. die Neuengruppenvermittlung

Soll eine Staffelstabwechsel gelingen, ist ebenfalls an der Bereitschaft der Etablierten zur Übergabe und zum Loslassen zu arbeiten und die Etablierten somit als Ehemalige zu konstituieren wie auch zu positionieren. Dies erfordert den gleichen Einsatz im Inneren des Gremiums, über den noch viel schwerer zu reden ist als über die Neuengewinnung: die Begleitung der Etablierten in den Ehemaligenstand. Darunter zu verstehen ist:

  1. Die Etabliertenansprache
  2. die Etabliertenbegleitung
  3. der Ehemaligengruppenaufbau und
  4. die Ehemaligenvermittlung.

Nachfolgeransprache bedeutet, zunächst unbekannte Hochschulmitglieder in Nichtgremienkontexten auf gleicher Augenhöhe anzusprechen, sich mit ihnen bekannt zu machen und sie einzuladen. Nachfolgervorbereitung heißt, wiederholt auf diese Hochschulmitglieder zuzugehen und die zunächst flüchtige Bekanntschaft in Richtung einer themenbezogenen Partnerschaft zu vertiefen und sie für die Mitarbeit im Gremium zu gewinnen.

Neuen(unter)gruppenaufbau, eine andere Kompetenzen und noch mehr Zeitressourcen erfordernde Tätigkeit, soll die Neuen zu Untergruppen zusammenzubringen. So können diese sich austauschen, abstimmen und beginnen, sich in Zweck und Struktur des Gremiums einzuarbeiten.
Neuengruppenvermittlung ist die konfliktreiche Tätigkeit, solcherart zusammengefundene Neuenuntergruppen mit den Etablierten des Gremiums zusammenzubringen, die Neuen also zu vermitteln.

Etabliertenansprache heißt, das schwierige Thema der Engagementbeendigung und der Perspektiven für Personen, auf die dies zukommt (in ihrem wie auch im Interesse der Gremien), persönlich zu besprechen. Etabliertenbegleitung erfordert, das Gespräch zur Thematik Engagementbeendigung zu wiederholen (dabei aber nur die Beendigung eines Engagements, keinesfalls die Aufkündigung einer gewachsenen Beziehung zu signalisieren) und für einen spezifischen, dem Gremium verbundenen Ehemaligenstatus zu werben.

Ehemaligengruppenaufbau ist die Tätigkeit, ausscheidende Etablierte möglicherweise zu einer Gruppe zusammenzubringen, in der sie gut begleitet lernen, Ehemalige zu werden und mit dem Status von ehemaligen Engagierten umzugehen und zu leben.
Ehemaligenvermittlung bedeutet, die Bedürfnisse und Interessen der vormalig etablierten Ehemaligen so zu vermitteln, dass – wenn auch nicht ohne Reibung – Begegnung und hin und wieder auch Kooperation zwischen ihnen und den neuen Engagierten möglich ist.

Drei-Ebenen-Struktur in allen Gremien

Werden in einem Selbstverwaltungsgremium die beschriebenen Schritte gegangen und mit Leben gefüllt, so wird deutlich, dass in jedem dieser Gremien eine Drei-Ebenen-Struktur vorhanden ist:
Die Ebene der neuen Gremienmitglieder, die Ebene der etablierten Gremienmitglieder und die Ebene der Gremienleitung.

Die Leitung ist für die Schritte der Neuenmotivation und Etabliertenbegleitung verantwortlich.
Auf der Ebene der Neuen findet sich der Nachwuchs, der an Neuschöpfungen interessiert, sich zunächst in ein "fragendes" und zurückhaltendes Verhältnis zur Ebene der Leitung sowie zur Ebene der Etablierten begibt.  

Auf der Ebene der Etablierten finden sich die Alteingesessenen, die aufgrund ihrer Erfahrung agierend, gern ein Kontinuitäten betonendes, sich häufig "antwortwissend" gebendes Verhältnis zur Ebene der Leitung sowie ein distanziertes Verhältnis zur Ebene der Neuen einnehmen.
Bei allem kommunikativen Selbstverständnis dieser beiden Gruppen muss jedoch gesagt werden: Es ist nicht allzu häufig, dass die Neuen und die Alteingesessenen selbstständig und systematisch aufeinander zugehen.

Mit diesen unterschiedlichen Beziehungs- und Interaktionsmustern umzugehen erfordert von der Leitung, die sich um die Neuen wie auch die Etablierten kümmern will, ein hohes Maß an Frustrationstoleranz.

Sie hat zu ertragen, dass Neue "ihr Ding" machen und entwickeln und vielleicht auch nichts vom Bisherigen übernehmen (und dieses so sterben lassen) wollen und Etablierte "ihr Ding" weitertreiben, Gewohntes sichern und häufig nichts vom Bisherigen loslassen wollen.
Ankommen, Hineinfinden und Übernehmen ist ebenso schwer wie auch Gastgeber sein, sich zurücknehmen und loslassen können. Unsicherheiten auf der einen und Entwertungsängste auf der anderen Seite sind zu erkennen, anzunehmen, zuzulassen und zu bearbeiten.

Für die Gremienleitung ergeben sich aus dem Gesagten Aufgabe für den Staffelstabwechsel. Neben der Leitung der Gremiensitzungen und der Kommunikation der Gremienergebnisse hat die Gremienleitung in Bezug auf die Mitglieder zwei weitere Leitungsaufgaben sehr ernstzunehmen: die Aufgabe der Neuenmotivation und die der Etabliertenbegleitung. Es dürfte keine Gremiensitzung mehr geben, bei der die Leitung nicht auch über die Gewinnung neuer Gremienmitglieder und die Hebung ihres Potenzials sowie über die Sicherung der Erfahrungskompetenzen von Ehemaligen spricht.

Ein Staffelstabwechsel, der die Etablierten nicht im Blick hat und ihr Ausscheiden nicht als Neupositionierung (als Ehemalige) in den Blick nimmt, unterschätzt deren Einfluss, lässt Erfahrungswissen verdunsten und isoliert Kompetenzen und ihre Träger.

Ein Staffelstabwechsel, der die Neuen nur als schnell zu überredenden oder zu vereinnahmenden Nachwuchs bzw. Nachfolger ansieht, ist naiv, innovationsfeindlich und ausbeuterisch.
Die Anerkenntnis, dass bei einemStaffelstabwechsel in Gremien neben den zwei Fraktionen im Inneren – den Neuen und den Etablierten – zwei Personengruppen außerhalb der Gremien in den Blick genommen werden müssen – die Gruppe potenzieller, zukünftiger Gremienmitglieder (Nachfolger) und die Gruppe bereits ausgeschiedener Gremienmitglieder (Ehemalige) – ist der Erkenntnisschlüssel zum Gelingen der Staffelstabwechsel.