Onboarding
Wie Neuberufene schneller ankommen
Forschung & Lehre: Herr Dr. Kischkel, wo liegen typische Probleme beim "Onboarding"?
Roland Kischkel: Wenn Neuberufene erstmals eine Professur antreten, übernehmen sie in einem deutlich höheren Maße als früher Organisations-, Administrations- und Management-Aufgaben. Es gilt, eine neue Arbeitsgruppe aufzubauen und sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden, auch Lehrprogramme müssen häufig neu entwickelt und umgesetzt werden. Schließlich möchte man das Forschungskonzept, mit dem man in eine neue Professur hineingeht, umsetzen. Dieser Prozess ist fast immer mit einer Phase des Rückgangs der Forschungsproduktivität verbunden.
Für die Universität ist es wichtig, diese Produktivitätslücke, die eine technische, eine fachliche und eine persönliche Dimension hat, zu minimieren. Wir haben in Wuppertal schon einen ganz guten Stand, aber in allen Dimensionen ist noch Luft nach oben, sei es bei der Bereitstellung von Räumen, Geräten oder bei Personaleinstellungen, oder beim zügigen Aufbau der Verbindungen zwischen dem Neuberufenen und dem Kollegium. Was noch zu verbessern ist, soll in einer klaren und von allen getragenen Berufungsstrategie erfasst werden, die auch das "Onboarding" einschließt. Und dann ist da auch noch die Frage der dazu notwendigen Ressourcen.
F&L: Sind die Neuberufenen auf diese Produktivitätslücke vorbereitet oder werden manche davon überrascht und reagieren enttäuscht?
Roland Kischkel: Es gibt beides. Ich glaube, dass die meisten nicht wirklich überrascht davon sind. Aber manchmal gibt es auch Enttäuschungen: Wenn erstmals Berufene zum Beispiel davon ausgehen, sie hätten nun viel mehr Freiräume als vorher. Bis zur Übernahme der Professur konnte sich der beziehungsweise die Neuberufene oft, sei es in der Habilitations- oder in einer Nachwuchsgruppenleiterphase, sehr stark auf Forschung konzentrieren. Jetzt sind sie deutlich mehr damit beschäftigt, zu organisieren und Anträge zu schreiben, und viele empfinden das als Störung. Kaum einer, der eine Professur neu übernimmt, findet sich einfach damit ab. Wir sprechen hier über Menschen mit einer ausgesprochen hohen intrinsischen Motivation. Wichtig ist, diese Delle in der Produktivität zu überwinden und die Neuberufenen dabei zu begleiten und zu unterstützen.
F&L: Vor welchen gegenseitigen Erwartungen würden Sie dringend warnen?
Roland Kischkel: Die Betreffenden stehen bei einer solchen Wechselsituation vor einer Dreifach-Belastung. Sie haben nachlaufende Aufgaben von der alten Position, sie stehen vor den Aufgaben der neuen Position und müssen den persönlichen, familiären und auch kulturellen Wechsel bewältigen. Wenn also die Erwartung im Raum steht, ob vom Neuberufenen oder von der Universität, während der ersten 100 Tage müsse das "Onboarding” in jedem Fall erfolgreich bewältigt sein, kann das schiefgehen. Es wird dann ein dichtes Programm abgespult, das aber in dieser Dreifachbelastung seine Wirkung nicht entfalten – oder sogar zu einer zusätzlichen Belastung werden kann. Welche unterstützenden Maßnahmen den Neuberufenen in den ersten 100 Tagen für das Ankommen in der neuen Stelle zur Verfügung stehen sollten, kann daher sehr unterschiedlich sein und lässt sich nicht normieren. Daher sollten solche "Onboarding"-Prozesse sehr individuell gestaltet werden.
F&L: Bleiben wir noch einen Moment bei der Forschungsproduktivität: Wenn zum Beispiel Geräte für die Neuberufenen angeschafft werden müssen: Läuft das relativ reibungslos und zeitnah?
Roland Kischkel: Bei der Beschaffung von Geräten kann es natürlich immer Schwierigkeiten geben – und die gibt es tatsächlich auch, sei es im Vergabeprozess oder bei der Finanzierung. In der Regel kann erst im Moment der Aushandlung der Ausstattung festgelegt werden, was erneuert werden muss beziehungsweise welche spezifischen Forschungsgeräte benötigt werden. Dann geht es um die Frage, wie diese Geräte finanziert werden können. Man kann also erst loslegen, wenn der Wechsel unmittelbar bevorsteht. Oft handelt es sich auch um Geräte, deren Beschaffungsprozess Wochen, manchmal Monate wegen gesetzlicher Fristen bei der Vergabe in Anspruch nimmt. Erschwert wird die Situation noch, wenn die Beschaffungsstelle insgesamt stark in Anspruch genommen wird.
"Eine interessante Frage lautet, ob die Universität imstande und auch bereit ist, die Belange der neuen Professorinnen und Professoren zu privilegieren."
Eine interessante Frage lautet hier, ob die Universität imstande und auch bereit ist, die Belange der neuen Professorinnen und Professoren zu privilegieren. Das ist natürlich schwierig. Aber wenn man einen stärkeren Akzent auf das "Onboarding" setzen will, kommt man um diese Frage nicht herum. Man kann sich natürlich dagegen entscheiden, aber wer die Produktivitätslücke minimieren will, müsste eigentlich die Belange der Neuberufenen immer an die erste Stelle rücken, gleichgültig, ob es darum geht, einen Raum zu sanieren, eine Baumaßnahme durchzuführen oder ein Gerät zu beschaffen.
F&L: Wie geht die Universität Wuppertal bislang mit dieser Frage um?
Roland Kischkel: An der Universität Wuppertal existiert eine solche Privilegierung für Neuberufene nicht. Aber das gehört zu den Themen, die wir auf unsere Tagesordnung setzen, denn die Hochschulleitung möchte das Thema "Onboarding" vorantreiben. Bislang wird das einzelfallbezogen und nach Maßgabe der finanziellen Möglichkeiten entschieden. Bei uns gibt es eine generelle Regel: Wenn es Engpässe bei den Beschaffungsprozessen und besondere Gründe dafür gibt, dass wichtige Geräte vorgezogen werden müssen, dann wird dies schließlich dem Kanzler zur Entscheidung vorgelegt.
F&L: Was spricht dafür, das "Onboarding" strategischer und systematischer anzugehen?
Roland Kischkel: Ohne strategisches "Onboarding"-Konzept steigt das Risiko, dass solch ein "Onboarding"-Prozess zu lange dauert oder schief läuft. Das kommt ja auch tatsächlich vor. Es wird sich nicht in jedem einzelnen Fall verhindern lassen, aber frühzeitig erkennen lässt sich das nur, wenn man eine bestimmte inhaltliche und zeitliche Zielperspektive hat. Und es geht ja nicht nur darum, Produktivitätslücken zu minimieren, sondern es gehört auch dazu, die im Wechsel liegenden Chancen, sowohl für die Neuberufenen als auch für die berufene Universität, zügig nutzbar zu machen. Schließlich sollte man auch einen völlig immateriellen Aspekt im Auge behalten: Wie schnell fasst ein Neuberufener beziehungsweise eine Neuberufene zu der neuen Universität Vertrauen? Das gilt natürlich auch umgekehrt und wird bisher nicht besonders stark beachtet. Es geht bei der Übernahme einer Professur nicht nur um technische Aspekte, sondern auch um den Aufbau eines guten sozialen Netzwerks. Das gelingt nicht einfach dadurch, dass alle das tun, was sie für richtig halten. Es braucht eine gewisse Übereinkunft, eine gewisse Leitlinie, die in der Universität diskutiert, entwickelt und von allen, den Fakultäten und den Dekanen, auch positiv mitgetragen werden muss.
F&L: Wer ist der wichtigste Part beim Thema "Onboarding": die Fakultät, die Hochschulleitung, eine Kombination?
Roland Kischkel: Aus meiner Sicht ist es eine Kombination aller Ebenen – Fach, Fakultät und Rektorat und Verwaltung. Diese Bereiche sind im Prinzip alle gleich bedeutend. Als Zentrum des "Onboardings" sehe ich innerhalb einer Fakultät die engere fachliche Community der Professur. Die Hochschulleitung muss auf der Strategie- und Ressourcenebene einen förderlichen Rahmen schaffen. Die fachliche und persönliche Eingliederung findet eher im engeren Fachkollegium statt. Das Ziel ist das Ankommen und Arbeiten in einer fachlichen Community, denn da befindet sich die zentrale Lebenswelt des Wissenschaftlers.
F&L: Wo steht die Universität Wuppertal zur Zeit?
Roland Kischkel: Wir haben uns in den vergangenen Jahren besonders auf die Gewinnungsprozesse selbst konzentriert. Bedingt durch einen notwendigen Generationenwechsel ist in den letzten knapp zehn Jahren mehr als die Hälfte der Professorenschaft (insgesamt circa 260 Professuren) erneuert worden. Unser Blick und unsere Kräfte waren ganz darauf konzentriert, in der Zentrale wie auch in den Fakultäten, neue fachlich hervorragende Persönlichkeiten zu gewinnen, die in das Wuppertaler Profil passen. Die Gestaltung des "Onboarding"-Prozesses haben wir dabei dem Handeln der einzelnen Akteure überlassen, die daran beteiligt waren. Ob die immer klug und effektiv gehandelt haben oder auf der Grundlage eines geteilten Leitbildes, das haben wir bisher nicht zum Thema gemacht. Das werden wir jetzt tun und den Akzent stärker auf Prozessqualität setzen. Und zu dieser Qualität gehört eben auch das schnellere Ankommen, das Überwinden dieser Produktivitätslücke.
F&L: Wie verpflichtend sollten "Onboarding"-Angebote sein?
Roland Kischkel: Die Universität Wuppertal setzt auf eine Kombination guter Angebote und Freiwilligkeit. Wir organisieren Angebote, entweder selbst oder mit externen Dienstleistern, zum Beispiel zum Umgang mit Drittmitteln, für lehrbezogene oder studienmanagementbezogene Aufgaben, oder auch mal ein Coaching im Bereich Mitarbeiterführung. Wer Unterstützungsbedarf äußert, benötigt kein verpflichtendes Einheitsangebot, sondern ein passendes Angebot oder die Unterstützung der Universität bei der Suche danach. Das setzt natürlich voraus, dass die Neuberufenen kommunizieren können, was sie wünschen und auch benötigen, und einen solchen Prozess muss man strukturieren, der entsteht nicht von alleine. Es braucht Menschen, die sich um diesen Prozess professionell kümmern, und auch die nötigen finanziellen Ressourcen.
F&L: Wie machen das andere Universitäten?
Roland Kischkel: Die Berufungskulturen der Universitäten sind sehr unterschiedlich. Mein Einblick als Kanzler einer Universität in die ungeschriebenen Aspekte der Berufungskultur einer anderen Universität ist begrenzt. Vielleicht geben wir uns da gegenwärtig nicht so ganz tiefe Einblicke, weil wir es vorwiegend als ein Feld des Wettbewerbs betrachten. Ich weiß nur, dass viele Universitäten sehr viel offensiver bestimmte Leistungs- und Qualifizierungserwartungen für Neuberufene verpflichtend machen. Hier muss jede Universität ihren Weg finden. Mein Eindruck ist, dass die Neuberufenen der Universität Wuppertal Freiwilligkeit positiv sehen. Unser Problem ist eher ein Erfüllungsdefizit: Wir sind gut darin, einen Rahmen zu schaffen und die Bedürfnisse der einzelnen zu identifizieren, aber an der Umsetzung hapert es noch.
F&L: Gibt es Unterschiede bei den Erwartungen von Neuberufenen, die auf einen Generationenwechsel hinweisen?
Roland Kischkel: In der Tendenz lässt sich das so festhalten. Wir berufen in einem wahrscheinlich höheren Maß als andere Universitäten auf Erst- oder auch Zweitrufe, sprechen also die jüngere Generation an, die neu in den Professorenberuf kommt. Von der Grundtendenz her ist es so, dass die jüngere Generation viel pragmatischer an die Übernahme dieses Berufs herangeht, so auch pragmatischer mit der Einsicht umgeht, dass man mit dem erfolgreich erhaltenen Ruf oder mit dem ganzen Prozess, der dem vorausging, noch nicht unbedingt in allen Aspekten dieses Berufs fit ist. Neben den Altersunterschieden gibt es allerdings auch Fächerunterschiede. Ältere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hatten möglicherweise mehr Schwierigkeiten, das zu akzeptieren, und gingen mit dem, was sie nicht so gut konnten, nicht so offen um. Aber auch das schwankt von Fach zu Fach. Es ist noch nicht solange her, dass man sich mit Antritt einer Professur als allumfassend qualifiziert gesehen hat und jedes Angebot einer Fort- und Weiterbildung eher als Respektlosigkeit betrachtet wurde.
F&L: Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Bedarf an Management-Fortbildungen für Neuberufene?
Roland Kischkel: Den Startprozess in den Professorenberuf würde ich nicht überfrachten wollen mit einer Art umfassender Management-Ausbildung. Ich weiß, dass das viele für notwendig und auch richtig halten. Aber meiner Meinung nach sollte man den Karriereprozess eher so anlegen, dass in dem Moment, in dem man die Berufungsreife erlangt, auch die wesentlichen managementlichen Grundkompetenzen vorhanden sind, also in Mitarbeiterführung und Budgetmanagement, der Steuerung einer Arbeitsgruppe, im Aufbau von Netzwerken zu den verschiedenen Communities, in denen man sich in der Regel weltweit bewegt und so weiter.
"Man kann nicht in diesen anspruchsvollen fordernden Beruf gehen und wesentliche, das Management betreffende Teile erst in der Berufsausübung selbst lernen."
Es geht in der ersten Phase des Professorenberufs meines Erachtens eher um ein Komplettieren und Nachsteuern. Man kann nicht in diesen anspruchsvollen fordernden Beruf gehen und wesentliche das Management betreffende Teile erst in der Berufsausübung selbst lernen. Das muss in der Vorbereitungsphase erfolgen, zum Beispiel in einer Juniorprofessur oder einer Nachwuchsgruppe. Deswegen beschäftigen wir uns in Deutschland zurzeit überall mit den neuen Karrierewegen. Die zielen auch darauf, die Anforderungen des Professorenberufs in der Phase vor der ersten Übernahme einer Tenure-Professur stärker zum Thema zu machen. Und das betrifft ja nicht nur die fachliche, die wissenschaftliche Qualifizierung, sondern auch die Qualifizierung in den managementlichen, organisatorischen und berufsbezogenen Dingen.
Wir sollten unbedingt an dem Leitbild festhalten, dass der Professorenberuf mit einem besonders hohen Maß an Selbstverantwortlichkeit ausgestattet sein muss, in dem man seine akademischen und materiellen Geschicke selbst lenken kann. Macht man Fachvertretern, die man doch als Experten ihres eigenen Fachs berufen hat, zu viele Vorschriften, wie sie in den Beruf hineinfinden, widerspricht das in wesentlicher Weise dem Sinn dieses Berufs. Auch deswegen sollte es beim "Onboarding" nicht um einen Einheitsprozess gehen, der für alle ablaufen muss.
F&L: Gehen wir zum Abschluss noch kurz auf das "Offboarding" ein. Auch dabei lässt sich vieles richtig und falsch machen. Wie entlässt die Universität Wuppertal ihre Professorinnen und Professoren?
Roland Kischkel: Das "Offboarding” verläuft auf so unterschiedliche Weise, dass es hierfür kein Konzept wie für die Startphase geben kann. Aber gleichgültig, ob der Weggang durch das Angebot einer anderen Universität oder den Wechsel in den Ruhestand ausgelöst wird – im Vordergrund sollte stehen, dass er am Zweck der Universität ausgerichtet ist. Wer altersbedingt ausscheidet, soll so lange wie eben möglich aktiv im wissenschaftlichen Geschehen stehen können. Und die Arbeitsfähigkeit derjenigen, die mit oder ohne Bleibeverhandlung an eine andere Einrichtung wechseln, soll möglichst wenig unter dem Wechsel leiden. Alles Weitere, also vor allem der angemessene Abschied voneinander, bedarf keines besonderen Leitbildes. Man muss dafür einfach nur gerne, respektvoll und kollegial miteinander umgehen.