

Forschungsförderung
Wissenschaft effektiv fördern
Stellen wir uns vor, wir sind eine Gruppe von Menschen, die vor einem Problem steht, das nur eine Person unter uns lösen kann. Was würden wir wollen, das diese Person mit ihrer Zeit macht? Höchstwahrscheinlich würden wir uns wie das Management im Spitzensport verhalten: Ablenkungen beseitigen und die Umgebung der Person so organisieren, dass sie sich vollständig auf diese eine Aufgabe konzentrieren kann. Stellen wir uns nun vor, diese Gruppe von Menschen ist die Gesellschaft und das Problem sind deren Grand Challenges (etwa der Klimawandel oder die globale Armut), und die Gesellschaft hat Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dafür ausgebildet, sie zu lösen. Behandeln wir sie wie Spitzensportlerinnen und Spitzensportler?
Das Ziel ist klar: Mit der öffentlichen Förderung der Wissenschaft sollen Fortschritte bei Erkenntnissen und Innovationen bei Technologien erzielt werden, um die Grand Challenges zu lösen. Dazu müssen verschiedene (epistemische) Ziele gleichzeitig adressiert werden, wie etwa die Förderung bahnbrechender Forschung, die Unterstützung inkrementeller Fortschritte innerhalb bestehender Paradigmen oder die Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Da es jedoch mehr Personen mit Ideen für Lösungsansätze als verfügbare öffentliche Ressourcen gibt, müssen wir entscheiden, wie diese Ressourcen sinnvoll und angemessen verteilt werden können. In der Forschungsförderung stehen wir also vor dem Problem der Allokation begrenzter Ressourcen.
Allokationsproblem
Eine weit verbreitete Lösung des Allokationsproblems ist der Wettbewerb – mit dem Versprechen eines effizienten, fairen und verlässlichen Prozesses. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konkurrieren um Fördermittel, indem sie Projektanträge einreichen, die im Peer-Review-Verfahren evaluiert werden. Eine Kommission entscheidet auf der Grundlage der Peer-Reviews über die Förderung oder Ablehnung der Anträge. Dieser Prozess bringt erhebliche Opportunitätskosten mit sich, da viel Zeit und Ressourcen in die Anträge investiert werden müssen. Hinzu kommen die Kosten für das Peer-Review-Verfahren und die Verwaltung des gesamten Prozesses. Die Erstellung eines Forschungsantrags nimmt bis zu 50 Arbeitstage in Anspruch.
"Die Erstellung eines Forschungsantrags nimmt bis zu 50 Arbeitstage in Anspruch."
Die Evaluierung des europäischen Förderprogramms Horizon 2020 ergab, dass bis zu 50 Prozent der bereitgestellten Mittel für das Schreiben und Einreichen von Anträgen aufgewendet werden. Es gibt jedoch auch Förderprogramme, bei denen die Stellschrauben des Wettbewerbs noch enger gezogen sind. Ein Beispiel dafür ist das Australian Consortium for Social and Political Research Fellowship, bei dem in zwei Jahren zwar bis zu 160 Bewerbungen eingingen, jedoch nur eine Person mit 15 000 Euro gefördert werden konnte. Bereits ein durchschnittlicher Zeitaufwand von zwei Tagen pro Bewerbung übersteigt den Wert der Förderung. Selbst bei einer konservativen Berechnung auf Basis des Mindestlohns belaufen sich die Gesamtkosten pro Bewerbung auf 21 000 Euro beziehungsweise 34 000 Euro, ohne die zusätzlichen Kosten für Peer-Review und Verwaltung einzubeziehen.
"Beste" Ideen
Jedoch ergibt sich auch bei einem Wettbewerb mit niedrigen Erfolgsquoten in der Regel ein finanzieller Vorteil für diejenigen, die die Förderung erhalten. Ein System mit hohen ökonomischen Verteilungskosten könnte demnach trotzdem gerechtfertigt sein – selbst dann, wenn die Kosten für die Erlangung von Fördermitteln den Wert der bewilligten Gelder erreichen oder sogar übersteigen. Um jedoch die hohen Opportunitätskosten zu rechtfertigen, muss einerseits nachgewiesen werden, dass die "besten" Ideen zuverlässig identifiziert und der Prozess fair gestaltet wird, und andererseits, dass es keine alternativen Verfahren gibt, die das gleiche Ziel mit geringeren Opportunitätskosten erreichen können.
Die Frage, wie zuverlässig die "besten" Ideen durch das Peer-Review identifiziert werden können, wurde in empirischen Studien untersucht. Ergebnisse zur prädiktiven Validität von Förderentscheidungen haben gezeigt, dass sich der Entscheidungsprozess – das Peer-Review-Verfahren – als effektiv darin erweist, die schlechtesten Projektideen auszusortieren.
Während einige Studien darauf hinweisen, dass Entscheidungen des Peer-Reviews mit dem späteren wissenschaftlichen Erfolg korrelieren (gemessen beispielsweise anhand bibliometrischer Indikatoren), zeigen andere Studien, dass es keinen oder nur einen schwachen Zusammenhang gibt. Solche uneinheitlichen Ergebnisse sollten nicht überraschen: Den potenziellen Nutzen von Forschung, vor allem langfristig, vorherzusagen ist extrem schwierig. Wer hätte beispielsweise vorhersehen können, dass ein Forschungsantrag mit dem Titel "Warum schweben Quallen?" zu Entdeckungen führen würde, die die Medizin revolutionieren und den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Nobelpreis einbringen würden?
Curiosity-Driven-Research unter Druck
Neben der Unsicherheit bei der Prognose von Projektvorhaben zeigt sich ein weiteres Problem kompetitiver Fördersysteme: Es wird ihnen vorgeworfen, sichere, vorhersehbare Forschung zu bevorzugen und risikoreiche, potenziell bahnbrechende Projekte zu benachteiligen. Dies steht im Widerspruch zu dem, was wissenschaftlicher Fortschritt eigentlich erfordert, und wie es der Physik-Nobelpreisträger Anton Zeilinger formuliert: "Es geht darum, das Ungewöhnliche zu finden, für das Unvorhersehbare offen zu sein. Es geht nicht um den nächsten Schritt, den man definieren kann. Der nächste offenkundige Schritt ist zu wenig." Zeilinger verweist hier auf einen essenziellen Aspekt von Forschung: die Curiosity-Driven-Research, bei der die Neugier der Forschenden darüber entscheidet, welche Forschungsfragen sie verfolgen und welche Methoden sie anwenden.
Im Kontrast dazu steht die Mission-Directed-Research, bei der staatliche, industrielle oder gemeinnützige Institutionen Forschung zu spezifischen Themen erwarten. Die Coronapandemie hat verdeutlicht, dass beide Arten Forschung zu betreiben unverzichtbar sind. Während das Fundament für die mRNA-Impfstoffe durch Curiosity-Driven-Research gelegt wurde, wurde die Forschung in der Pandemie gezielt auf eine klare Mission hin ausgerichtet. Obwohl das optimale Gleichgewicht zwischen den beiden Arten unbekannt ist, wird in der Wissenschaft davor gewarnt, dass die Curiosity-Driven-Research, die als treibende Kraft von Innovationen gilt, zunehmend unter Druck gerät. Dies zeigt sich beispielhaft an Horizon Europe, dem wichtigsten Forschungs- und Innovationsförderprogramm der EU, das ein Budget von 96 Milliarden Euro aufweist. Nur 17 Prozent dieser Mittel sind für Curiosity-Driven-Research vorgesehen. Diese unausgewogene Mittelverteilung führt dazu, dass viele positiv bewertete Anträge beim European Research Council nicht gefördert werden können.
Soziale und ethische Dimension
Der Wettbewerb um Fördermittel hat neben der ökonomischen und epistemischen auch eine soziale und ethische Dimension. Hochgradig kompetitive Förderwettbewerbe, bei denen eine einzige Entscheidung über das Ende einer Karriere entscheiden kann, verursachen enormen Stress und treiben talentierte junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu, die Forschung aufzugeben. Durch den Wettbewerb entwickeln sich Gruppen von Gewinnern und Verlierern, wobei der Matthäus-Effekt die Kluft zwischen diesen Gruppen zusätzlich verstärken kann. Der von Robert K. Merton vorgeschlagene Matthäus-Effekt beschreibt eine sich selbst verstärkende Dynamik in der Wissenschaft, bei der frühere Erfolge zukünftige Erfolgschancen deutlich gegenüber denjenigen erhöhen, die diese Erfolge zuvor nicht hatten, und dies unter der Voraussetzung von gleicher gegenwärtiger Leistung.
"Niedrige Erfolgsquoten und die Abhängigkeit von Fördermitteln können zudem Anreize für fragwürdige Forschungspraktiken schaffen."
Niedrige Erfolgsquoten und die Abhängigkeit von Fördermitteln können zudem Anreize für fragwürdige Forschungspraktiken schaffen. Nach der Anomietheorie von Robert K. Merton kann viel Wettbewerb in der Wissenschaft erheblichen Druck auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausüben, bestimmte Ziele, wie das Einwerben von Drittmitteln, zu erreichen. Publikationen in renommierten Zeitschriften können maßgeblich den Erfolg des nächsten Forschungsantrags beeinflussen. Wenn legale Mittel für solche Publikationen nicht ausreichen, könnte dies dazu verleiten, auf problematische Praktiken, wie Datenfälschung oder Plagiate, zurückzugreifen.
Radikale Ansätze: Tiebreaker Lottery
Der Wettbewerb um Fördergeld, der das Problem der Allokation begrenzter Forschungsmittel auf elegante Weise lösen sollte, ist zum administrativen Elefanten im Raum geworden; ein großer Teil der Forschungsgelder fließt nicht in die Forschung selbst, sondern in die Gestaltung und Organisation des Wettbewerbs. Auch wenn kompetitive Auswahlprozesse in der Lage wären, die vielversprechendsten Projekte treffsicher zu identifizieren, stellt sich die Frage, ob nicht alternative Verfahren existieren, die dies in ähnlicher Weise ermöglichen – jedoch mit geringeren Opportunitätskosten. Ein solches System könnte dem kompetitiven Ansatz vorzuziehen sein, da insgesamt mehr Gelder direkt in die Forschung fließen würden.
In den letzten Jahren wurde eine Reihe von radikalen neuen Ansätzen diskutiert. So setzen die VolkswagenStiftung, der Schweizerische Nationalfonds (SNF) und der österreichische Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) in der finalen Entscheidungsrunde – nach dem Peer-Review – Lotterieverfahren bei der Förderentscheidung ein. Diese Lotterie-Systeme (Tiebreaker-Lottery) zielen darauf ab, Verzerrungen im Entscheidungsprozess zu verringern und die Chancengleichheit unter denen, die es in den Tiebreak geschafft haben, zu verbessern. Das Problem der hohen Opportunitätskosten bleibt jedoch bestehen. Zudem kann diese Art der Lotterie nicht verhindern, dass ungleiche Startvoraussetzungen manchem die Teilnahme am Wettbewerb von vornherein erschweren oder unmöglich machen, unter anderem dadurch, dass man nur eine Teilzeitstelle hat, unter unsicheren Anstellungsverhältnissen, wie Kettenverträgen, leidet oder vor Ort kaum Ressourcen für das Schreiben von Anträgen hat.
Weitere Ansätze zur Reform des Fördersystems
Um solche Probleme zu beseitigen, wurde die Idee einer initialen Lotterie (Lottery-First) vorgeschlagen, die darüber entscheidet, wer überhaupt einen Antrag stellen darf, der später im Peer-Review begutachtet wird. Im Gegensatz zur Tiebreaker-Lottery können durch Lottery-First die Opportunitätskosten gesenkt werden. Mit Lottery-First können Finanzierungsentscheidungen getroffen werden, die vor allem auf der Grundlage wissenschaftlicher Kriterien getroffen werden ("der Antrag ist hervorragend und wird gefördert") und nicht auf der Grundlage von Kriterien, die kaum etwas mit Wissenschaft zu tun haben können ("zehn Anträge sind hervorragend, aber nur einer wird gefördert"). Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beauftragte Stiftung Innovation in der Hochschullehre (StIL) zeigt, dass ein Lottery-First-Ansatz in der Projektförderung praktikabel ist und erfolgreich angewendet werden kann.
Neben den verschiedenen Lotterieverfahren werden auch andere Ansätze für eine mögliche Reform des Fördersystems in der Wissenschaft diskutiert. Im Rahmen einer Pilotuntersuchung in Australien wurden beispielsweise Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darum gebeten, bis zu zehn Kolleginnen und Kollegen zu nennen, die ihrer Meinung nach eine Förderung verdienen. Hier bedient man sich der Wisdom of the Crowd, um Förderentscheidungen herbeizuführen. Da sich die Förderentscheidungen auf Personen und nicht auf Projekte beziehen, besteht allerdings die Gefahr, dass hier der Matthäus-Effekt eine größere Rolle als beim traditionellen System spielt. Ein weiterer innovativer Vorschlag für die Forschungsförderung ist ein System der Basisfinanzierung, bei dem man zwar eine bestimmte Fördersumme erhält, jedoch verpflichtet wird, die Hälfte davon an andere weiterzugeben, die für förderungswürdig gehalten werden. Ein solches System hat jedoch auch potenzielle Nachteile, wie die Gefahr, dass sich Förderkartelle etablieren.
"Um letztlich zu entscheiden, wie wir Fördergelder verteilen wollen, haben wir etwas, das sich in solchen Situationen immer bewährt hat: die wissenschaftliche Methode."
Um letztlich zu entscheiden, wie wir Fördergelder verteilen wollen, haben wir etwas, das sich in solchen Situationen immer bewährt hat: die wissenschaftliche Methode. Diese Methode besagt: mehr Experimente und weniger Plattitüden sowie mehr Daten und weniger Dogma. Um traditionelle und alternative Fördersysteme zu evaluieren und inkrementelle Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten, sollten Daten aus Anträgen und Entscheidungsprozessen des Peer-Review-Verfahrens der Wissenschaftsforschung häufiger als bislang zugänglich gemacht werden. In der Literatur wurden verschiedene Ansätze vorgeschlagen, wie sensible Daten geschützt und dennoch für Forschungszwecke genutzt werden können.
Ein Beispiel dafür ist OpenSAFELY, eine während der Coronapandemie entwickelte Plattform zur datenschutzkonformen Analyse elektronischer Gesundheitsdaten. Das Konzept dieser Plattform ließe sich auch auf die Analyse von Peer-Review-Verfahren übertragen: Forschende reichen ihren analytischen Code ein, dieser wird von der Förderorganisation auf die Verfahrensdaten angewendet, und die Forschenden erhalten anschließend die Ergebnisse, ohne direkten Zugriff auf die sensiblen Daten gehabt zu haben.
Wenn bürokratische Belastungen und Opportunitätskosten in der Forschungsförderung minimiert würden, könnte in der Wissenschaft ein Umfeld entstehen, das dem des Spitzensports bei der Unterstützung der Sportlerinnen und Sportler ähnelt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätten die Möglichkeit, sich stärker auf das zu konzentrieren, was sie am besten können: Wissenschaft.
Zum Weiterlesen
Schweiger, Gerald et al. "The costs of competition in distributing scarce research funds", PNAS 121 (50), 2. Dezember 2024.