Hochschulbau
Zur prekären baulichen Infrastruktur der Universitäten

Der Hochschulbau in Deutschland ist unterfinanziert und überbürokratisiert. Wo gilt es anzusetzen, damit der Sanierungsstau abgebaut werden kann?

Von Vera Müller 06.12.2024

Forschung & Lehre: Seit der Föderalismusreform 2006 sind die Länder allein für den Hochschulbau verantwortlich. Angesichts von 74 Milliarden Euro Sanierungsstau scheint das dem Hochschulbau nicht wirklich gut bekommen zu sein…

Ulf Richter: Die zusätzlichen Entflechtungsmittel, die die Länder erhielten, haben sie nicht in dem Umfang in den Hochschulbau investiert, wie sie es hätten tun müssen. Das war vor der Föderalismusreform mit der Kofinanzierung anders. Zu jedem Euro, den ein Land in den Hochschulbau investierte, gab es auch einen Bundes-Euro. Die Länder hatten also ein eigenes Interesse, denn durch die zusätzlichen Mittel des Bundes für einen Hochschulbau konnten sie ihr jeweiliges Bundesland aufwerten. Dieser Hebel existierte nach 2006 nicht mehr. Die Länder setzten dann andere Prioritäten. Bereits in der sogenannten Düsseldorfer Erklärung 2012 wiesen die Kanzlerinnen und Kanzler deutlich auf den Sanierungsstau und die damit zusammenhängenden Kosten für die Länder hin. Das ist dann leider auch so eingetreten.

Ulf Richter ist Kanzler der Universität Siegen sowie Vorsitzender des Arbeitskreises Hochschulbau der Vereinigung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten. Universität Siegen

F&L: Wenn man sich den Haushalt einer Universität anschaut: Wie viel von der staatlichen Grundfinanzierung kann in die bauliche Infrastruktur investiert 
werden?

Ulf Richter: Viel zu wenig. Der Sanierungsstau ist entstanden, weil nicht kontinuierlich investiert wurde. Gebäude können etwa 50 bis 55 Jahre genutzt werden. Zwischen drei und vier Prozent des Investitionsvolumens, also mehr als die Abschreibungen, wären optimal, wenn man die Preissteigerung bei den Investitionen berücksichtigt. Der Wert der Gebäude steht fest, aber da die Baupreise steigen, sollte man immer etwas mehr einplanen. Wenn eine Hochschule kontinuierlich drei Prozent vom Gebäudewert investieren könnte, würde ein solcher Sanierungsstau nicht entstehen. Ein Blick in die Bilanzen der Hochschulen oder der Landesbaubetriebe zeigt aber, dass diese drei bis vier Prozent über Jahre beziehungsweise Jahrzehnte nicht investiert wurden. Da darf man sich nicht wundern, dass man nun vor einer großen Sanierungswelle steht. Der Zustand des Hochschulbaus hängt aber auch stark von den einzelnen Bundesländern ab. Das Hochschulbauprogramm Heureka in Hessen zum Beispiel ist nach wie vor eine der besten Varianten, um den Sanierungsstau abzuarbeiten. Hessen stellt planbar langfristig finanzielle Mittel zur Verfügung, um zu investieren.

F&L: Welchen Einfluss haben die Kanzlerinnen und Kanzler auf die jeweils zuständigen Bundesländer, mehr Geld in den Hochschulbau zu investieren?

Ulf Richter: Ich kann nur für Nordrhein-Westfalen sprechen. Bei unseren Kanzlertreffen ist der Hochschulbau immer eines der Topthemen. Alle zwei bis drei Monate steht es in den sogenannten Kanzlerkonferenzen des Landes auf der Agenda. Es geht vor allem darum, bei den Politikerinnen und Politikern ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen, insbesondere im Ministerium für Wissenschaft und Kultur und im Ministerium für Finanzen. Was haben wir erreicht? Zum einen das sogenannte "Optionsmodell Bauherreneigenschaft", womit die Hochschulen selber bauen dürfen, und das nun in fast allen Bundesländern möglich ist. Das ist ein wichtiger Schritt, denn vorher war dafür der Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes zuständig. Für ein besseres und schnelleres Bauen ist aber noch etwas wichtig: der Verwaltungsaufwand, wir kämpfen darum, Prozesse nicht noch stärker zu bürokratisieren. Bau-, Wissenschafts- und Finanzministerium haben alle ihre eigenen Prüflogiken und -verfahren, das führt häufig zu Verzögerungen.

"Hochschulbau ist ein langfristiges Thema, er sollte auf zehn, besser auf 15 Jahre geplant werden." Ulf Richter

F&L: Hochschulbauprogramme wie das von Hessen helfen, den Sanierungs- und Modernisierungsstau im Hochschulbereich abzubauen. Wo könnte man noch ansetzen? Wie stehen Sie zu Public-Private-Partnership-Projekten (PPP) im Hochschulbau?

Ulf Richter: Hochschulbau ist ein langfristiges Thema, er sollte auf zehn, besser auf 15 Jahre geplant werden. Daher sind eine langfristige Finanzierung und Planbarkeit äußerst wichtige Komponenten. Angesichts der aktuellen Zahlen halte ich es für ausgeschlossen, dass die Länder die Auflösung des Sanierungsstaus allein bewältigen können. Es wäre gut, wenn der Bund wieder in den Hochschulbau einsteigen würde, wenn es also zum Beispiel eine Art Sondervermögen gäbe. Meiner Meinung nach sollten wir aber auch über andere Finanzierungsquellen, zum Beispiel Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP) oder Public-Private-Partnership (PPP)-Projekte, nachdenken. Hochschulen sind für private Financiers durchaus interessante Partner. 

F&L: An welche Partnerschaften denken Sie da?

Ulf Richter: Viele Unternehmen haben ein Interesse daran, Teile ihrer Unternehmen in der Nähe von Hochschulen zu platzieren, weil sie mit der entsprechenden Hochschule Forschungsprojekte umsetzen wollen. Sie suchen die Nähe zu den Studierenden, um Personal zu rekrutieren oder weil das Image einer Hochschule auch gut für das Image eines Unternehmens ist. Diesem Wunsch nach räumlicher Nähe kann man dadurch nachkommen, dass man Gebäude gemeinsam errichtet und betreibt. Das bringt Hochschulen und Wirtschaft im Sinne von Transfer enger zusammen. An der einen oder anderen Stelle wie zum Beispiel an der RWTH Aachen beobachte ich, dass so etwas umgesetzt wird. Bei den Beispielen, die ich im Kopf habe, handelt es sich um keine klassischen ÖPP- oder PPP-Projekte, wie man das von früher kennt und wo die Interessenslage der Privaten im Vordergrund stand, nämlich eine Rendite zu erzielen. Ich meine PPP-Projekte, die über dieses eine Interesse hinausgehen. 

F&L: Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Länder dann noch stärker zurückziehen und auf die Finanzierung des Hochschulbaus durch PPP-Projekte verweisen?

Ulf Richter: Dem muss man vorbeugen. Das Potenzial für solche Kooperationen ist in den Fächern unterschiedlich. Man könnte sagen: Von einer guten Universität wird erwartet, dass sie zwischen 20 und 30 Prozent ihres Grundhaushalts über Drittmittel einwirbt. So etwas Ähnliches könnte man auch für die bauliche Infrastruktur festlegen. Es muss klar sein, dass PPP-Projekte lediglich ein Baustein einer Finanzierung sein können. Auf gar keinen Fall darf man dem Finanzministerium eine Hintertür offen lassen, so dass der staatlich finanzierte Hochschulbau noch weiter vernachlässigt 
würde.

F&L: Mitunter benötigen Bauprojekte im Hochschulbau zehn Jahre und länger bis zu ihrer Realisierung. Was sind Ihre Erfahrungen?

Ulf Richter: An der Universität Siegen stellen wir gerade einen sehr anspruchsvollen und hochtechnisierten Laborbau fertig, er wird nächstes Jahr seiner Bestimmung übergeben. Mit der konkreten Planung haben wir 2017/18 begonnen. Mit diesem Zeitrahmen sind wir eher zügig als langsam. Von den circa acht Jahren nahm das eigentliche Bauen lediglich zweieinhalb bis drei Jahre ein. Die übrige Zeit bestand vor allem aus Bürokratie.

"Die Steuerungsmechanismen könnten viel einfacher sein, und dann würde es auch schneller gehen." Ulf Richter

F&L: Was macht das Bauen so bürokratisch?

Ulf Richter: Ich bin seit elf Jahren Kanzler der Universität Siegen und habe währenddessen drei Referatsleiter im Wissenschaftsministerium erlebt, die für Hochschulbau zuständig sind. Jeder musste sich erst einmal in die Materie einarbeiten, dabei geht es nicht nur um eine, sondern mehrere Hochschulen, das benötigt selbstverständlich Zeit. Diese Fluktuation auf der Referatsleitungsebene spielt eine große Rolle. Ganz schwierig wird es, wenn sich Rahmenbedingungen grundlegend ändern, wenn das Land zum Beispiel neue Kennzahlen zugrunde legt. Früher gab es ein Kennzahlensystem, wonach die einzelnen Hochschulen ihre Raumprogramme aufgestellt haben. Irgendwann gab es ein genehmigtes Raumprogramm, das für alle weiteren galt. Wenn sich aber die Bedingungen ändern, zum Beispiel durch Corona, digitale Entwicklungen oder den Rückgang der Studierendenzahlen, fängt man wieder von vorne an. Dann muss alles neu berechnet werden und alles wird mehrfach geprüft. Diese vielen Prüfschritte verlangsamen den Hochschulbau. Obwohl viele Kanzlerinnen und Kanzler sich mit dem Thema beschäftigen und damit auch eine gewisse Kompetenz erlangt haben, mangelt es offensichtlich am Vertrauen in die Hochschulleitungen. Dabei gibt es für alles Kontrollmechanismen, die wir als Hochschule selbst anwenden können. Bei der Akkreditierung von Studiengängen hat man die Hochschulen ebenfalls in die Selbstständigkeit entlassen. Das wäre auch beim Hochschulbau möglich: Es könnten die Kennwerte des HIS-Instituts für Hochschulbildung – seit Neuestem minus 20 Prozent durch mehr Flächeneffizienz, bedingt durch mehr Homeoffice –, (sogenannte Bauminister-Kennwerte), gelten. Selbstverständlich muss das regelbasiert funktionieren. Solange die einzelne Hochschule beim Bauen innerhalb dieser Kennwerte bleibt, ist es in Ordnung. Wenn eine Hochschule darüber liegt, muss sie es begründen. Wenn man darunter liegt, wäre es meines Erachtens auch kein Problem, das Geld wieder freizugeben. Die Steuerungsmechanismen könnten viel einfacher sein, und dann würde es auch schneller gehen.

F&L: Die Universitäten stehen auch vor der Herausforderung, beim Bau und der Sanierung von Gebäuden Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele einzuhalten. Braucht es hier nicht eine stärkere finanzielle Unterstützung durch Bund und Länder?

Ulf Richter: Das Thema Nachhaltigkeit spielt eine sehr große Rolle. Hochschulen haben einen immensen Energiebedarf, der Strombedarf wird immer stärker steigen. Wir erleben Druck von innen – von Studierenden, aber auch teilweise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – und von außen, wir sollen jedes Jahr zwei Prozent Energie sparen. An der Universität Siegen lasse ich auf allen geeigneten Hochschulgebäuden eine Solar-Anlage anbringen. Aber selbst dann gelingt es im besten Fall, zehn Prozent unseres Eigenbedarfs an Strom zu decken. Eine RWTH Aachen oder eine andere Technische Universität hat einen ungleich größeren Strombedarf. Der zweite Energieblock, und das ist der deutlich größere, ist die Wärme- und Kälteenergie, die wir für die Gebäude benötigen. Hier spielt der Sanierungsstau eine große Rolle. Ich hatte die Idee, aus dem Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung einen Teil des energetischen Sanierungsbedarfs zu finanzieren. Von den 74 Milliarden Euro Sanierungsstau könnten 20 Milliarden in energetische Sanierung gesteckt werden. Das würde sich am Ende bezahlt machen, weil durch eine bessere Isolierung, effizientere Pumpen und intelligente Stromnetze (Smart Grids) in der Gebäudetechnologie die laufenden Betriebskosten um 30 bis 40 Prozent gesenkt werden könnten. Während sich Strom über erneuerbare Energien herstellen lässt, ist es schwieriger, aber auch umwelttechnisch nachhaltiger, auf fossile Brennstoffe und Technologien zu verzichten. 

Hochschulbau – Schwerpunkt in "Forschung & Lehre"

Die Dezember-Ausgabe von "Forschung & Lehre" widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt dem Hochschulbau und fragt, welche Möglichkeiten angesichts des enormen Sanierungsstaus im Raum stehen, Hochschulbauten zeitnah zu modernisieren.

Die Beiträge:

  • Grit Würmseer: Idealerweise ein Begegnungsraum – Stand und Perspektiven des Hochschulbaus in Deutschland
  • Im Gespräch mit Ulf Richter: Langfristig planen und finanzieren – Zur prekären baulichen Infrastruktur der Universitäten
  • Im Gespräch mit Edgar Dingeldein: Volle Verantwortung - Erfahrungen mit der Bauautonomie an der Technischen Universität Darmstadt
  • Aus der Redaktion: Nachhaltig und flexibel – Beispiele modernen Hochschulbaus
  • Im Gespräch mit Jan Gerken: Altes mit Neuem verbinden – Zum Umbau des Fritz-Foerster-Baus der Technischen Universität Dresden

Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – Reinlesen lohnt sich!

F&L: Was bedeutet dieser immense Sanierungsstau für die Leistungsfähigkeit der deutschen Universitäten? So lassen sich kaum die "besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler" gewinnen…

Ulf Richter: Die Beeinträchtigungen durch den Sanierungsstau lassen sich zahlenmäßig nur schwer messen. Jede Kollegin beziehungsweise jeder Kollege könnte anekdotenhaft erzählen, dass diese oder jene Berufung gescheitert ist, weil die entsprechenden Laborflächen nicht zur Verfügung gestellt werden konnten. Ich behaupte, wenn Sie zehn Kolleginnen und Kollegen dazu fragen würden, könnten acht oder neun Beispiele nennen. Berufungen scheitern also regelmäßig an der nicht vorhandenen Infrastruktur. Aber auch bei den Berufenen kann es später zu großen Enttäuschungen kommen: wenn in Berufungsverhandlungen zum Beispiel ein neues Labor in Aussicht gestellt wurde, aber dessen Bau und Fertigstellung Jahre braucht. Das ist nicht die beste Werbung für eine Hochschule.

"Berufungen scheitern regelmäßig an der nicht vorhandenen Infrastruktur." Ulf Richter 

F&L: Wie stark ist das Berufungsgeschehen von diesen Problemen betroffen, konkret gefragt: Was sehen die Bewerberinnen und Bewerber im Rahmen des Berufungsverfahrens vom Sanierungsstau?

Ulf Richter: Im Bewerbungsverfahren zeigen die Fakultäten selbstverständlich immer die Schokoladenseite. Im Zuge der Verhandlungen mit dem Erst- oder Zweitplatzierten ergibt sich dann ein realistischerer Blick auf die Hochschule und ihre Infrastruktur. Schließlich gibt es den Termin mit der Kanzlerin oder dem Kanzler. Hier können sogenannte Berufungsbaumittel gewährt werden, aber das ist im Vergleich zum Sanierungsstau bestenfalls Kosmetik.

F&L: Der Präsident der Leibniz Universität Hannover, Volker Epping, beklagte jüngst den Verfall vieler Universitätsgebäude, die Universität spare bereits bei Professuren und anderem Personal. Müssen die Universitäten nun entscheiden, ob sie die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel in Gebäudesanierungen investieren oder in Professuren?

Ulf Richter: Das habe ich noch nie gehört, aber ich schließe nicht aus, dass das passieren könnte. Ich kenne die Situation in Niedersachsen und weiß, wie schlecht ausgestattet dort der Hochschulbau ist. Die niedersächsischen Hochschulen haben es noch schwerer als andere. Insgesamt sehe ich die Gefahr, dass die Hochschulen durch die Geldknappheit genötigt werden, ihr Profil an die vorhandenen knappen Mittel anzupassen. Wirtschaftlich zu handeln könnte in dem Fall für eine Kanzlerin oder einen Kanzler bedeuten, dass sie beziehungsweise er teure Fächer – technische Fächer, aber auch Medizin – aufgeben muss. Das wäre für die Attraktivität der jeweiligen Hochschulstandorte und die Wettbewerbsfähigkeit nicht gut. Vielfalt fördert den Wettbewerb, auch in der Forschung. Dazu braucht es viele Wettbewerbsteilnehmerinnen und -teilnehmer sowie die Voraussetzungen, sich dem Wettbewerb erfolgreich stellen zu können.