

Wissenschaftsfreiheit
100 Tage Trump und seine Attacken auf die Wissenschaft
Seit seinem Amtsantritt am 20. Januar 2025 verfolgt US-Präsident Donald Trump eine umfassende und radikale politische Umgestaltung der Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung. Er regiert mit großer Vorliebe autokratisch mittels präsidialer Verordnungen und Dekrete, für die er keine Mehrheiten im Parlament braucht. In den ersten 100 Tagen seiner zweiten Amtszeit waren dies bereits knapp 140 sogenannte Executive Orders.
Neil Gross, Soziologieprofessor am Colby College im US-amerikanischen Maine, verglich das Vorgehen der neuen US-Regierung gegenüber ZEIT im Februar mit einer militärischen Taktik, die den Gegner durch massive Schläge lähmen soll: "shock and awe" – sinngemäß "Angst und Schrecken".
Viele Maßnahmen sind Teil der Pläne konservativer Thinktanks wie dem "Project 2025" der Heritage Foundation, der eine stärkere Kontrolle über Hochschulen, die Schwächung progressiver Institutionen und die Förderung privater sowie religiöser Bildungseinrichtungen vorsieht.
Schließungen, Entlassungen und Kürzungen
Berater wie Elon Musk und sein Team der Abteilung für Regierungseffizienz (Department of Government Efficiency, DOGE) unterstützen Trumps Strategie, Ministerien und Behörden so stark zu verkleinern, dass sie faktisch handlungsunfähig werden. Sie haben fast jedes Ministerium und jede Bundesbehörde durchforstet und massive Kürzungen vorgenommen. Nach Schätzungen mehrerer Medien wurden mehr als 200.000 Menschen entlassen, Zehntausende weitere sollen Abfindungen angenommen haben.
Trump begründet die Kürzungen damit, dass die Bürokratie aufgebläht sei, Bundesangestellte beschimpft er öffentlich als faul. In anderen Fällen hatten die Kürzungen ideologische Gründe wie bei der US-Gesundheitsbehörde (NIH) und den US-amerikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) oder der US-Bundesbehörde für Klima, Ozeanographie und Umwelt (NOAA). Die US-Entwicklungshilfebehörde USAID soll bis zum 1. Juli komplett zerschlagen werden. Auch das Bundesbildungsministerium wurde nahezu aufgelöst. Die Institution sei eine Milliardenverschwendung gewesen, argumentierte Trump. Die Bildungsministerin Linda McMahon hat er angewiesen, alle notwendigen Schritte für die Schließung einzuleiten, einschließlich massiver Stellenstreichungen. Die Verwaltung von Studienkrediten soll zwar erhalten bleiben, aber viele Förderprogramme werden gestrichen oder auf andere Ministerien verteilt.
Universitäten Bundesmittel entziehen
Einigen Elite-Universitäten des Landes wirft Trump unter anderem eine linksliberale Haltung und die Duldung von Antisemitismus vor. Mit Mittelkürzungen teilweise in Milliardenhöhe, der Androhung von Sonderbesteuerungen und immer neuen Dekreten legt er ihnen die Daumenschrauben an und bringt sie über kurz oder lang an ihre Belastungsgrenzen. "Das Spiel auf Zeit ist Strategie der Regierung. Ohne jede Rechtsgrundlage und mit sofortiger Wirkung friert sie bundesweit Forschungsgelder ein", fasst ZEIT online die Kürzungspolitik zusammen.
Die Universitäten Harvard und Columbia hätten als präventive Schutzmaßnahme bereits im vergangenen Jahr damit begonnen, mit Lobbyfirmen zusammenzuarbeiten, die gute Kontakte ins republikanische Lager pflegten, um so ihre Einflussmöglichkeiten zu stärken, berichtete ZEIT im Februar. Zudem würden viele Universitäten ihre juristische Unterstützung aufrüsten. Die Elite-Universität Harvard, die Trump als "Bedrohung für die Demokratie" bezeichnet, hat bisher widerstanden, Trumps Regulierungsmaßnahmen abgelehnt und Klage eingereicht. Das Vorgehen der Regierung von Präsident Trump verstoße gegen die im ersten Zusatzartikel zur US-Verfassung festgeschriebene Meinungsfreiheit, argumentiert Harvard unter anderem.
Zensur von Bildungs- und Forschungsinhalten
Er werde die systematische Bevorzugung von Minderheiten durch ein pures, ethnisch blindes Leistungssystem ersetzen, versprach Trump am Abend seiner Amtseinführung. Im dazugehörigen Dekret vom Vereidigungstag des Präsidenten heißt es, die Biden-Regierung habe illegale und unmoralische Diskriminierungsprogramme mit dem Namen "Diversity, Equity, and Inclusion" (DEI) in praktisch alle Bereiche der Bundesregierung eingeführt. Die Verordnung sieht vor, sämtliche Ämter und Posten mit DEI-Bezug zu streichen, Forschungsprojekte zu beenden und alle behördlichen Leitlinien entsprechend inhaltlich anzupassen.
Forschungsdaten zu Gesundheit, Umwelt und sozialen Ungleichheiten verschwinden nach und nach von Regierungsseiten. "Die US-amerikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) haben angeordnet, dass alle wissenschaftlichen Manuskripte ihrer Forschenden, die von einer Fachzeitschrift geprüft werden, zurückgezogen werden, damit bestimmte geschlechtsspezifische Formulierungen aus ihnen entfernt werden können", berichtete die Fachpublikation Nature bereits Anfang Februar online. Forschende zensieren sich aus Angst vor Repressionen selbst.
Die Vereinigung der US-Universitätsprofessorinnen und -professoren (American Association of University Professors, AAUP) warnte bereits im Januar vor Selbstzensur: Eingriffe in das Kursprogramm an Universitäten in Florida und Texas zeugten von "Gehorsamseifer" in den Verwaltungen. Es werde Mut und Ausdauer erfordern, sich den bereits eingeleiteten Bestrebungen zu widersetzen, den besonderen Amtsschutz und die akademische Freiheit zu untergraben, die gemeinsame Verwaltung auszuhöhlen, die Kontrolle der Fakultät über den Lehrplan zu verringern und die Hochschulbildung auf diese Weise neu zu definieren, so dass sie privaten Interessen statt dem Gemeinwohl dient, heißt es seitens der AAUP weiter. Widerstand sei auf allen Ebenen notwendig.
Zum wissenschaftlichen Wert von Vielfalt
Professorin Isolde Karle, Prorektorin der Ruhr Universität Bochum, warnte gegenüber Table.Briefings kürzlich davor, die Bedeutung der Themen Gleichstellung, Diversität und Inklusion für die Wissenschaft zu unterschätzen – auch in Deutschland. Ein aktuelles Leopoldina-Papier rät im Zuge des Bürokratieabbaus dazu, Berichtspflichten und Beauftragte für Diversität und Gleichberechtigung abzuschaffen. Karle betont, dass Gleichstellung und Diversität zu neuen Erkenntnissen und Forschungsschwerpunkten beigetragen hätten. Wissenschaftliche Talente seien durch die Gleichstellungsprogramme erst entdeckt und entfaltet worden.
Durch vielfältige Perspektiven habe sich die Wissenschaft zudem verbessert, da heterogene soziale Erfahrungen vielfach die Voraussetzung für innovative Fragestellungen und Mindsets seien. Außerdem sei beispielsweise in der Medizin durch den Fokus auf Vielfalt festgestellt worden, dass die diversifizierte Auswahl von Probandinnen, Probanden oder Versuchstieren wirksamere Therapien und Medikamente ermögliche.
Politische Einflussnahme auf die Hochschulautonomie
Zum Sinnbild der politischen Regulierungswut bezüglich der Hochschulautonomie ist in den letzten Wochen der Forderungskatalog der US-Regierung an die Universität Harvard geworden. Zusammenfassend verlangt die US-Regierung von Harvard erhebliche Eingriffe in den Zulassungsprozess, die Personalpolitik, Governance, Disziplinarmaßnahmen sowie Transparenzvorschriften. Harvard müsse vierteljährlich Fortschrittsberichte über die Umsetzung der Reformen an die Bundesregierung liefern.
Neuester Angriffspunkt für die politische Regulierung des Hochschulwesens sind die Akkreditierungsagenturen. Im präsidialen Dekret vom 23. April heißt es, die Aufgabe der Agenturen sei die eines Gatekeeper um festzustellen, welche Institutionen eine qualitativ hochwertige Ausbildung anbieten und daher eine Akkreditierung für staatliche Studiendarlehen und Zuschüsse verdienten. "Leider haben die Akkreditierungsagenturen ihre enorme Autorität missbraucht", unter anderem indem sie "rechtswidrig diskriminierender Praktiken für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion (DEI) zu einem formalen Akkreditierungsstandard" gemacht hätten, führt das Dekret aus.
Trump fordert entsprechend, "Akkreditierer für rechtswidrige Handlungen zur Rechenschaft ziehen". Diese Aufgabe hat er unter anderem an Bildungsministerin McMahon übergeben. Rund 132 Milliarden US-Dollar werden 2025 für Studiendarlehen (Federal Student Loans) und Studienzuschüsse (Pell Grants) neu bereitgestellt.
Verhaftungen und Angriffe auf Einzelpersonen
Musk verschickte ZEIT zufolge bereits kurz nach der Übernahme seines Postens als Effizienzbeauftragter der Regierung E-Mails, in denen er Professorinnen und Professoren anbot, mit einer Abfindung frühzeitig in Rente zu gehen und Kündigungen in Aussicht stellte. Viele Lehrende hätten auf diese Drohungen mit Selbstzensur reagiert. Die US-Behörden gehen weiter mit Festnahmen gegen ausländische Studierende vor, denen beispielsweise die Unterstützung der Hamas vorgeworfen wird.
Die Umsetzung strikter Einwanderungsmaßnahmen führt dazu, dass ausländische Studierende und Forschende inhaftiert werden oder das Land verlassen, was den internationalen Austausch und die Innovationskraft der US-Forschung weiter schwächt.
"Es sind nicht nur die Wissenschaftler selbst, sondern die ganze Wissenschaftsinfrastruktur des Landes, die gerade zerstört wird", äußerte sich Bettina Rockenbach, Präsidentin Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, im Interview mit dem Tagesspiegel. Überraschend sei vor allem das Tempo und die Konsequenz der Eingriffe in das Wissenschaftssystem. Und das weitgehende Ausbleiben einer Reaktion in den USA gegen eine Politik, die für die Wissenschaft fatal sei.
Aufkündigung internationaler Kooperationen
Die US-Forschungsgemeinschaft zieht sich zunehmend aus internationalen Kooperationen zurück, da Unsicherheit über Förderungen und politische Vorgaben herrscht. Projekte wie der Fusionsreaktor ITER oder internationale Teleskop-Initiativen stehen auf der Kippe. Die USA waren traditionell ein zentraler Partner für globale Forschungsprojekte und -infrastrukturen. Der Rückzug und die politische Instrumentalisierung der Wissenschaft führen zu einem erheblichen Vertrauensverlust und gefährden die Lösung globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Pandemien oder technologische Innovationen.
Wie angekündigt, sind die USA per Trumps Beschluss aus dem internationalen Pariser Klimaabkommen zur Begrenzung der Erderwärmung ausgestiegen. Dies ist mit einer einjährigen Frist möglich. Er hat außerdem angeordnet, dass die USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) austreten sollen, um Kosten zu sparen.
Grundlegende Einschnitte bei Forschungsbehörden betreffen nicht nur die Grundlagenforschung, sondern auch angewandte Bereiche wie die biomedizinische Forschung, deren Ergebnisse weltweit genutzt werden. Die Kürzungen bei der NIH werden beispielsweise gravierende Auswirkungen auf die globale medizinische Forschung und die Entwicklung neuer Therapien haben.
Flucht ins Ausland als letzter Ausweg
Dreiviertel der Forschenden können sich inzwischen vorstellen, das Land zu verlassen, schreibt das Wissenschaftsmagazin Nature. 1.650 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten an einer Umfrage teilgenommen, zu der das Magazin im Laufe des Monats März online aufgerufen hatte. Besonders viel Aufmerksamkeit erregte, dass drei Trump-kritische Top-Forschende der US-Universität Yale die USA verlassen und nach Kanada wechseln werden: der Historiker Professor Timothy Snyder und die Historikerin Professorin Marci Shore sowie der Faschismusforscher Professor Jason Stanley. Künftig würden die Übergriffe der Regierung systematisch zunehmen, warnte Stanley. "Und was wir jetzt sehen – das ist Faschismus", so Stanley.
Im Ausland kursieren seit längerem Gedanken, die politische Lage in den USA zum Vorteil für den eigenen Wissenschaftsstandort zu nutzen und von einem möglichen Braindrain zu profitieren. Verschiedene Wissenschaftsorganisationen haben sich in der Frage, wie man Forschenden in den USA helfen könnte, bereits geäußert.
Die USA seien für die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ein "neuer Talentpool" sagte MPG-Präsident Professor Patrick Cramer. Professor Wolfgang Wick, Vorsitzender des Wissenschaftsrats, sieht eine "Chance für Deutschland und Europa". Auch die Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (ERC), Professorin Maria Leptin, unterstützt die Idee, dass Europa ein "Zufluchtsort" für US-Forschende sein könnte. Kritisch bewertete die Vorschläge etwa der Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), Professor Joybrato Mukherjee.
Gegenwehr: Stellung beziehen als demokratische Pflicht
Die Präsidentin des US-amerikanischen Verbands besorgter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Union of Concerned Scientists, UCS), Gretchen Goldman, mahnte kürzlich: "Wir, die Verfechterinnen und Verfechter der Wissenschaft, haben jetzt die Chance, die Führung zu übernehmen, mutig zu sein und alles in unserer Macht Stehende zu tun, um auf einer Verwaltung und einer Welt zu bestehen, die die Wissenschaft zum Guten nutzt." Die wissenschaftliche Leistung der Nation werde dezimiert, warnen 1.900 gewählte Mitglieder der National Academies of Sciences, Engineering and Medicine in einem Offener Brief die US-amerikanische Bevölkerung.
Die Vereinigung der US-amerikanischen Hochschulen (American Association of Colleges and Universities, AAC&U) hat am 22. April eine Erklärung veröffentlicht, in der sie sich explizit gegen die "beispiellose staatliche Übergriffigkeit und politische Einflussnahme" ausspricht. Mit dem Titel "Aufruf zum konstruktiven Engagement" äußern sich die amtierenden Hochschulleitungen erstmals in großer Zahl gemeinsam zu diesem Thema. Die Leitungskräfte seien zwar "offen für konstruktive Reformen und stellen sich nicht gegen legitime staatliche Aufsicht", machen aber in ihrem Aufruf zugleich deutlich, dass sie sich gegen Versuche zur Einschränkung oder Untergrabung der grundlegenden Freiheiten der Hochschulbildung stellen werden.
Daniel Ziblatt, Eaton-Professor für Regierungswissenschaften an der Harvard Universität und Co-Autor des Buchs "Wie Demokratien sterben", erklärt im Interview mit Forschung & Lehre, wann und warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Stellung beziehen müssen: "Sie haben aus meiner Sicht die Aufgabe, sich öffentlich zu Themen zu äußern, die weitreichende Auswirkungen haben, beispielsweise zur Wissenschaftsfreiheit, zur Freiheit der Universitäten und zur Demokratie, falls diese angegriffen wird. Die Demokratie ist das einzige System, das die Redefreiheit, die Wissenschaftsfreiheit, den freien Austausch von Ideen und die Freizügigkeit schützt."
Was Wissenschaft bewegt – Schwerpunkt in Forschung & Lehre
Die Mai-Ausgabe von Forschung & Lehre widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt allem, was die Wissenschaft bewegt.
Die Beiträge:
Lambert T. Koch
Konstitutives Wechselspiel: Wissenschaft als Bewegte und Bewegerin
Armin Nassehi
Selbstkritik am Vorverständnis: Die Rolle der Wissenschaft in der heutigen Zeit
Wolfgang Ketter | Anna Taudien
Wer trägt die Verantwortung? Ethische Leitplanken für den Einsatz von KI
Jochem Marotzke
Wissenschaft und Widersprüche: Von zwei unbekannten Krisen in der Klimaforschung
Karl-Rudolf Korte
Organisierte Freiheit: Wie wird Demokratie in Deutschland gelebt?
Wissenschaft unter Trump:
Im Gespräch: Todd Wolfson
"Es ist ein sehr gefährlicher Moment": Wie die Trump-Regierung die US-Wissenschaft verändert
Alan M. Garber
Offener Brief des Präsidenten der Universität Harvard – Dokumentation
Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – Reinlesen lohnt sich!