Das Foto zeigt die Fassade der Alice Salomon-Hochschule mit dem Gedicht Eugen Gomringers
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Gomringer-Gedicht
Akt der Kulturbarbarei

Der Streit um das angeblich sexistische Gedicht Eugen Gomringers an der Fassade der Alice Salomon-Hochschule hat ein vorläufiges Ende gefunden.

Ausgabe 2/18

Trotz internationaler Kritik will die Alice Salomon Hochschule (ASH) in Berlin ein angeblich sexistisches Gedicht an ihrer Fassade übermalen. Der Akademische Senat beschloss mehrheitlich, statt des Schweizer Lyrikers Eugen Gomringer künftig alle fünf Jahre einen neuen Poetik-Preisträger mit Verszeilen zu Wort kommen zu lassen. Gomringer kritisierte die Entscheidung. "Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst und Poesie", sagte der 93-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Er behalte sich rechtliche Schritte vor. Der Deutsche Kulturrat, Spitzenorganisation von 250 Bundeskulturverbänden, reagierte "erschüttert".

Vorwurf der Diskriminierung

Angehörige der Hochschule hatten moniert, Gomringers auf Spanisch verfasstes Gedicht "avenidas" könne Frauen gegenüber als diskriminierend aufgefasst werden. Dabei geht es um den Satz: "Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer". Damit würden Frauen, so die Kritiker, zum Objekt männlicher Bewunderung degradiert. Die Hochschulleitung hatte laut der Zeitung "Die Welt" erklärt, "die von Hass erfüllten verbalen Angriffe und Beschämungsversuche“, die den Rektor erreichten, seien „erschütternd".

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat die geplante Übermalung als einen "erschreckenden Akt der Kulturbarbarei" kritisiert. "Kunst und Kultur brauchen Freiheit, sie brauchen den Diskurs, das ist eine der wichtigsten Lehren aus der Geschichte", erklärte Grütters. "Wer dieses Grundrecht durch vermeintliche political correctness unterhöhlt, betreibt ein gefährliches Spiel."

Warnung vor Zensur

Der Fall hatte bereits im vergangenen Jahr international Aufsehen erregt. Das Deutsche PEN-Zentrum und der Kulturrat warnten vor Zensur. Die Hochschule verteidigte ihre Entscheidung dagegen. Für sie bedeute das Votum "ein klares Bekenntnis zur Kunst", erklärte Rektor Uwe Bettig am Dienstag.

Gomringers Gedicht steht seit 2011 in großen Lettern auf der Südfassade der Hochschule im Stadtteil Hellersdorf. Die Verantwortlichen hatten damit die Vergabe ihres Alice Salomon Poetikpreises an den Lyriker würdigen wollen. Bei einer Fassadenrenovierung im Herbst soll nun stattdessen ein Text der letztjährigen Preisträgerin Barbara Köhler angebracht werden, wie von ihr selbst vorgeschlagen. In fünf Jahren käme dann erneut ein Wechsel. Der Geschäftsführer des Kulturrats, Olaf Zimmermann, sagte der dpa: "Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass eine Hochschule, die selbst Nutznießer der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit ist, dieses Recht dermaßen mit Füßen tritt." Die Hochschule teilte mit, sie werde Gomringers Wunsch nachkommen und auf einer "Tafel" in Spanisch, Deutsch und Englisch an das Gedicht und die Debatte darum erinnern.

dpa/gri