Nahostkonflikt
Alice Salomon Hochschule spricht mit Protestierenden
Protestierende haben nach Angaben der Alice Salomon Hochschule (ASH) Berlin am 6. Januar das Audimax besetzt. Nach Gesprächen mit der Hochschulleitung verließen sie am Abend friedlich das Gebäude, wie ein Sprecher der Hochschule sagte. Einsatzkräfte waren laut Polizeiangaben vor Ort, mussten aber nicht eingreifen, berichtete die Deutsche Presseagentur.
Die Besetzerinnen und Besetzer hätten in den Mittagsstunden das Audimax nicht mehr verlassen. Hintergrund der Aktion war demnach der Nahostkonflikt. Auf Bannern war etwa der Spruch "Free Palestine" zu lesen. Die Aktivistinnen und Aktivisten hätten mehr Raum für einen Dialog gefordert. Nach Angaben des Sprechers handelte es sich um schätzungsweise 60 Menschen.
Gespräche sollen fortgesetzt werden
Die Präsidentin der Hochschule im Ortsteil Hellersdorf, Bettina Völter, unterhielt sich nach Angaben des Sprechers mit den Besetzenden. Daraufhin hätten die Aktivistinnen und Aktivisten gegen 21 Uhr das Gebäude verlassen. In einer Stellungnahme vom 7. Januar hat die Hochschule den Besetzenden einen Raum zu den Öffnungszeiten der Hochschule für den weiteren Austausch zugesichert. "Wir haben mit den Studierenden vereinbart, dass wir eine Fortsetzung nur akzeptieren können, wenn die Regeln eines respektvollen und gewaltfreien Miteinanders gewahrt bleiben", hieß es in der Stellungnahme.
Antisemitismus und Äußerungen, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, hätten an der Hochschule keinen Platz. "Umgekehrt sehen wir und wenden uns ebenfalls entschlossen gegen das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza, in der Westbank, in Israel und anderen Staaten der Region."
Kritik an ASH-Präsidentin
Das Präsidium sei "während und nach der Besetzung" am Montag "immer im konstruktiven und engen Austausch mit der Polizei" gewesen und dafür "dankbar", so die ASH-Stellungnahme. Ein Video zeigt laut Medienberichten Hochschulpräsidentin Völter, wie sie Polizisten auffordere, den Eingangsbereich des Hochschulgebäudes zu verlassen und sage: "Wir erleben es als Bedrohung, dass sie vorne am Eingang stehen." Sie habe die Polizei nicht gerufen, ein Eingreifen der Einsatzkräfte sei nicht notwendig. "Sie kommen nicht in die Hochschule, ich möchte Sie bitten, vom Eingang der Hochschule Abstand zu nehmen."
Für dieses Verhalten wird Völter von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU) kritisiert: Laut der Deutschen Presseagentur habe Wegner Völters Reaktion auf der Plattform "X" als "völlig unverständlich" beschrieben. Die Beamten hätten "absolut richtig gehandelt". Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) halte die "intensive Kommunikation" mit der Polizei "nicht erst im Ernstfall" für "notwendig". Czyborra danke der Polizei für ihre Unterstützung und der Hochschulleitung für eine Deeskalation der Situation. CDU-Fraktionschef Dirk Stettner habe laut Medien-Berichten sogar den Rücktritt der ASH-Präsidentin gefordert.
Sechs Festnahmen bei Demonstration im Anschluss
Nachdem die Besetzenden den Hörsaal friedlich verlassen hatten, versammelten sich mehrere Menschen für eine Demonstration vor dem Gebäude. Nach Angaben der Polizei nahmen rund 80 Personen an der Versammlung mit dem Titel "Solidarität mit der Besetzung der Hochschule" teil. Etwa 180 Polizistinnen und Polizisten waren den Angaben zufolge vor Ort. Die Polizei nahm sechs Personen vorläufig fest, gegen die sie nun wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, Beleidigung, Widerstands und versuchter Gefangenenbefreiung ermittelt, wie es in einer Mitteilung hieß.
Laut Polizei wurden auf Transparenten und Papierblättern der Aktivistinnen und Aktivisten keine strafbaren Inhalte festgestellt. Antisemitische Äußerungen sind nach Angaben eines Polizeisprechers nicht bekannt. Im Anschluss an die Besetzung habe der Hauseigentümer keinen Strafantrag gestellt. Zur Besetzung sei über die Social-Media-Kanäle der pro-palästinensischen Szene in Berlin aufgerufen worden, heißt es im "Tagesspiegel". Neben ASH-Studierenden könnten sich auch bereits bekannte Akteurinnen und Akteure an der Besetzung beteiligt haben. Bei Protestaktionen an anderen Berliner Universitäten kam es in der Vergangenheit zu erheblichen Sachbeschädigungen und gewalttätigen Angriffen auf Mitarbeitende.
Koordinierungsstelle gegen Antisemitismus im Gespräch
Wie verschiedene Medien berichten, hat Dr. Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bunderegierung, nach den Vorkommnissen an der ASH den Vorschlag einer übergeordneten Koordinierungsstelle gegen Antisemitismus an Berliner Hochschulen aufgebracht. Dieser Vorschlag werde derzeit von Wissenschaftssenatorin Czyborra, dem Regierenden Bürgermeister Wegner und Finanzsenator Stefan Evers (CDU) konkret geprüft, wie der "Tagesspiegel" am Freitag berichtete.
Professor Samuel Salzborn, Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, befürwortet laut "Tagesspiegel"-Informationen hingegen eine bundesweite Koordinierungsstelle für alle Hochschulen in Deutschland. Während sämtliche Berliner Hochschulen bereits über einen Antisemitismus-Beauftragten verfügten, gäbe es bundesweit noch Nachholbedarf.
Anhaltende Diskussionen über Vorgehen von ASH-Präsidentin
Wie der "Tagesspiegel" berichtet, hat der Regierende Bürgermeister Wegner Wissenschaftssenatorin Czyborra mit der Aufklärung der Vorwürfe gegenüber ASH-Präsidentin Völter betraut. Hintergrund sei ein Schreiben der ASH-Kanzlerin Jana Einsporn, in welchem von Unsicherheitsgefühlen der Hochschulangehörigen angesichts vermummter Protestierender die Rede sei und auf die Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitenden verwiesen werde. Der Staatssekretär für Wissenschaft in der Berliner Senatsverwaltung, Henry Marx (SPD), habe der Zeitung gegenüber bestätigt, dass die ASH zur lückenlosen Aufklärung aufgefordert worden sei. Strafrechtlich relevantes Verhalten müsse zur Anzeige gebracht werden.
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) warf der ASH in einer Pressemitteilung vom 10. Januar Einschränkungen der Pressefreiheit vor. Unter anderem sei der Presse der Zugang zum Audimax verwehrt worden, obwohl die Hochschule dies laut "Tagesspiegel" eigentlich zugesagt hatte. Bevor die Journalistinnen und Journalisten den Raum schließlich betreten konnten, sei von der Hochschulleitung nach Darstellung der dju "belastendes Material von den Wänden" entfernt und damit "systematisch jede Dokumentation" verhindert worden. Laut "Tagesspiegel" habe sich die ASH zu diesen Vorwürfen nicht geäußert, jedoch angekündigt, das vorliegende Material auf strafrechtlich relevante Inhalte zu überprüfen.
Gleichzeitig kam es zu Solidaritätsbekundungen von ASH-Mitarbeitenden mit dem Präsidium. Auf der ASH-Homepage ist etwa das "Statement jüdisch-(deutsch-)israelischer Angehöriger und ehemaliger Angehöriger der Hochschule" vom 12. Januar einzusehen, welches Völters intensive Bemühungen um einen Austausch zum Thema Israel/Palästina seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hervorhebt. Es sei richtig gewesen, die Situation intern zu deeskalieren und nicht polizeilich räumen zu lassen. Weiter heißt es: "Wir stellen uns zudem entschieden gegen die Darstellung, Prof. Dr. Bettina Völter hätte in ihrem Handeln Antisemitismus geduldet, gefördert oder unterstützt."
Nach "Tagesspiegel"-Informationen hat die ASH inzwischen zwölf Anzeigen gegen unbekannt gestellt. Die Vorfälle seien wie gefordert dokumentiert worden, habe Staatssekretär Marx am 13. Januar im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses erklärt. Laut "Tagesspiegel" sei aber nicht erhoben worden, ob es sich bei den Besetzerinnen und Besetzern um ASH-Studierende gehandelt habe. Eine nähere Bewertung der Vorkommnisse durch die Senatsverwaltung stehe noch aus.
Hochschulleitung erklärt sich und zeigt sich selbstkritisch
Die ASH-Leitung erklärte nach Informationen des "Tagesspiegels" mittlerweile ihr Vorgehen. Dass es während der Protestwoche zu antisemitischen Äußerungen kam, bedauere man zutiefst, heiße es in dem zehnseitigen Schreiben an Wissenschaftssenatorin Czyborra und die Mitglieder des Wissenschaftsausschusses des Abgeordnetenhauses. Mit der Duldung der Protestwoche habe man "gemeinsame Bildungsprozesse" ermöglichen wollen. Während dieser Zeit habe man mit einem fachlich ausgewiesenen Team zusammengearbeitet, das zudem auch auf eigene Antisemitismus- und Rassismuserfahrungen habe zurückgreifen können.
Auch gegenüber dem Akademischen Senat musste sich das Präsidium laut "Tagesspiegel" rechtfertigen. Kritisiert worden sei hier vor allem, dass Vermummten Zutritt gewährt und auf die Aufnahme von Personalien verzichtet worden sei. Rückblickend sei es vielleicht nicht richtig gewesen, den Polizeieinsatz um jeden Preis zu verhindern, habe Vizepräsidentin Gesine Bär in dem Gremium eingeräumt. Die Bedingungen für die Durchführung der Protestwoche wären zunächst "sehr allgemein" gewesen, seien aber "nachgeschärft" worden. Auch Hochschulpräsidentin Völter habe sich selbstkritisch gezeigt und ihre vielkritisierte Äußerung gegenüber den Polizeieinsatzkräften zurückgenommen. Sie seien "aus gutem Grund" an der Hochschule postiert worden, zitiert der "Tagesspiegel".
erneut aktualisiert am 16.01. um 12:00 (Abschnitt "Hochschulleitung erklärt sich"), zuvor aktualisiert am 14.01. um 12.50 Uhr sowie am 13.01. um 12.10 Uhr (Abschnitt "Anhaltende Diskussionen über Vorgehen von ASH-Präsidentin"), zuvor aktualisiert am 10.01. um 11.10 Uhr mit Informationen zu einer geplanten Koordinierungsstelle sowie am 08.01.2025 um 14.29 Uhr mit Zitaten aus der Stellungnahme der Hochschule, der Kritik an Präsidentin Völter und den Angaben zu den Festnahmen, zuerst veröffentlicht am 07.01.2025
dpa/hes/cpy