Es ist ein beleichteter Davidstern zu sehen der glitzernde Strahlen in die Dunkelheit sendet.
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Schutz jüdischen Lebens
Antisemitismus verhindern ohne Freiheitsrechte zu gefährden

Der Bundestag hat den Antrag zum Schutz jüdischen Lebens angenommen. Die Freiheit des Denkens müsse auch für jüdische Menschen gewährleistet sein.

07.11.2024

Der interfraktionelle Antrag für ein entschlossenes Handeln gegen Antisemitismus mit dem Titel "Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken" wurde heute vom Bundestag angenommen. Die sogenannte "Antisemitismus-Resolution" ist als Absichts- und Haltungsbekundung des Bundestags nicht rechtsverbindlich, dürfte aber dennoch politische Wirkung entfalten. 

Der Antrag von SPD, Grünen, FDP und Union kritisiert einen "relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus". Die dem Antragstext zugrundeliegende Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hält unter anderem fest, dass sich Erscheinungsformen des Antisemitismus "auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten" können. 

Die FDP-Abgeordnete Anikó Glogowski-Merten findet es gut, dass der Verweis auf die Definition in den Antrag aufgenommen wurde. Sie fordert: "Nun sollen die Beschlüsse in Schulen und Hochschulen zur einheitlichen Anwendung umgesetzt werden". 

Inwiefern die Antisemitismus-Resolution die Wissenschaft betrifft 

Im Antragstext wird unter anderem der Verfassungsrang der Wissenschaftsfreiheit und ihre Geltung für alle Menschen betont: "Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert die Wissenschaftsfreiheit mit Verfassungsrang. Dies muss uneingeschränkt auch für Lehrende wie Studierende mit jüdischen Wurzeln, israelischer Herkunft oder mit israelsolidarischem Denken gelten." Deshalb seien Schulen und Hochschulen zum Schutz jüdischen Lebens darin zu unterstützen, von ihren rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen oder neue Möglichkeiten zu implementieren. Dazu gehörten die Anwendung des Hausrechts, der Ausschluss von Unterricht oder Studium bis hin zur Exmatrikulation in besonders schweren Fällen. 

Darüber hinaus wird es als "hilfreich" bezeichnet, "den Kampf insbesondere gegen Antisemitismus verbindlich in die entsprechenden Curricula von Studiengängen aufzunehmen, Lehrende entsprechend zu qualifizieren und flächendeckend Beauftragte gegen Antisemitismus an Hochschulen zu ernennen". 

Des Weiteren bekräftigt der Bundestag seinen Beschluss, "dass sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen". Länder, Bund und Kommunen sollten demnach rechtssichere, insbesondere haushälterische Regelungen erarbeiten, damit keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert würden. 

Forschende beurteilen Antisemitismus-Resolution kritisch 

Der Plan einer fraktionsübergreifende Antisemitismus-Initiative war nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 entstanden. Um einen gemeinsamen Beschlusstext wurde seither gerungen. Mögliche Eingriffe in die Freiheit von Kunst und Wissenschaft waren besonders umstritten. Vorab bekanntgewordene Entwürfe der Resolution seien sehr weit in ihren Eingriffen in Grundrechte gegangen, insbesondere durch Antidiskriminierungsklauseln im Zuwendungs- und Förderungsrecht, bewertete unter anderem die FAZ Ende Oktober. Dies hätte laut verschiedener Medienberichte zur Folge gehabt, dass sich Juristinnen und Juristen mit verfassungsmäßigen Bedenken zu Wort gemeldet hätten. 

Bereits im Sommer habe ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Christoph Möllers im Auftrag von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) ergeben, dass eine solche Antisemitismus-Klausel im Förderrecht verfassungswidrig sei, berichtete die "Zeit". Sowohl die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als auch der Deutsche Akademischen Austauschdienst (DAAD) haben sich gegenüber "Table.Research" ablehnend bezüglich einer solchen Klausel geäußert. Der Antragstext wurde seither mehrfach überarbeitet – allerdings weitestgehend hinter verschlossenen Türen ohne Austausch beispielsweise mit Interessengruppen aus Wissenschaft und Kultur, was von diesen mehrfach kritisiert wurde. 

Bis zum 7. November hatten bereits mehr als 4.400 Kritikerinnen und Kritiker des Antrags einen offenen Brief unterzeichnet, darunter zahlreiche Personen aus Wissenschaft und Forschung. Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten im Oktober sogar einen Alternativ-Vorschlag zum Resolutionstext formuliert, welcher im offenen Brief ausdrücklich begrüßt wird. 

Die Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin und Erstunterzeichnerin des offenen Briefes, Barbara Stollberg-Rilinger, sagte laut dpa, die IHRA-Definition sei unbestimmt, und "das führt dazu, dass sie unglaublich missbrauchsanfällig ist". Denn der Antisemitismus-Vorwurf eigne sich "in hervorragender Weise, um politische Gegner zum Schweigen zu bringen und zu diffamieren". Die Schlussfolgerung aus der deutschen Verantwortung für den Holocaust müsse sein, "dass man nicht immer die israelische Politik verteidigt und unterstützt, sondern die Menschenrechte".

cva/dpa