erschöpfte Ärztin in Schutzkleidung liegt auf dem Boden und schläft
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Hochschulmedizin
Auf Kosten des ärztlichen Personals

Trotz vielfältigerer Aufgaben erhalten Uniklinika weniger Geld als Krankenhäuser. Die Folgen gehen zulasten von Personal, Versorgung und Lehre.

Von Susanne Johna 08.09.2020

Die Universitätsklinika sind Garanten für Spitzenmedizin. Hochspezialisierte Krankenversorgung, Forschung auf internationalem Niveau und die Ausbildung ärztlichen Nachwuchses zeichnen die 34 Kliniken der Hochschulmedizin aus. Das Aufgabenspektrum ist groß, die Verbindung von Krankenversorgung und Forschung einzigartig. Bei komplizierten und bisher nur ungenügend behandelbaren Krankheiten treiben die Universitätsklinika die Entwicklung, Erprobung und Einführung neuer innovativer Verfahren voran. Die für die Kliniken bereitgestellten Mittel halten damit allerdings nicht Schritt. Mehr Investitionen und eine bessere Abbildung der besonderen, hochschulmedizinischen Leistungen in der Krankenhausfinanzierung sind deshalb unabdingbar, damit der Innovationsmotor Universitätsmedizin nicht ins Stottern gerät.

Die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig die Universitätsklinika im Verbund mit anderen Krankenhäusern sind. Vielfach haben sie eine Steuerungsfunktion für die Patientenversorgung in ihrer Region übernommen oder ihre fachliche Expertise im Kampf gegen das Virus anderen Krankenhäusern zur Verfügung gestellt. Dafür erhalten sie allenthalben Anerkennung gerade auch in der Politik. Bei der Zuteilung von öffentlichen Mitteln sind die Uniklinika aber häufig benachteiligt. Dies liegt nicht allein an der unzureichenden Investitionskostenfinanzierung der Länder, sondern auch an Regelungen, die der Bund zur Förderung von Krankenhäusern erlassen hat.

So ist eine Förderung der Hochschulmedizin durch den Krankenhaus-Strukturfonds nur sehr begrenzt möglich. Ursprüngliches Ziel der Förderung war es, sogenannte Überkapazitäten von Plankrankenhäusern abzubauen, stationäre Versorgungsangebote und Standorte zu konzentrieren sowie Krankenhäuser in nicht akutstationäre örtliche Versorgungseinrichtungen umzuwandeln. Erst mit dem im Januar 2019 in Kraft getretenen Pflegepersonal-Stärkungsgesetz hat der Gesetzgeber – neben neuen Regelungen zur Pflege – auch die Finanzierungsmöglichkeiten im Strukturfonds erweitert. Die bisherigen Kriterien wurden geschärft und neue in das Förderprogramm von jährlich 500 Millionen Euro aufgenommen.

Keine Mittel für Sicherheitsstandards und Extremfälle

Nunmehr können bis 2022 zusätzlich unter anderem die IT-Sicherheit, die Vernetzung und die Ausbildung in der pflegerischen Versorgung aus Mitteln des Strukturfonds gefördert werden. Bisher galt das auch für moderne Notfallkapazitäten. Deren Förderung soll zukünftig aber nur noch aus den Mitteln des geplanten Krankenhauszukunftsfonds möglich sein.

Auch für die Uniklinika sind die genannten Fördermaßnahmen besonders wichtig. Um nur ein Beispiel zu nennen: Angesichts der Bedrohung durch Cyberattacken müssen Großkrankenhäuser als Teil der Kritischen Infrastruktur höchste Sicherheitsstandards einhalten. Auch in den anderen zur Förderung durch den Strukturfonds vorgesehenen Bereichen brauchen Uniklinika genauso wie Plankrankenhäuser zusätzliche Mittel, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Die Mittel aus dem Strukturfonds bleiben ihnen aber weitgehend verwehrt. Förderfähig sind lediglich die in dem Programm genannten Zentren für seltene Erkrankungen und telemedizinische Netzwerkstrukturen der Hochschulmedizin.

Das Ungleichgewicht bei der Förderung aus Mitteln des Strukturfonds, in dem anteilig Mittel des Gesundheitsfonds enthalten sind, ist ebenso wenig zu begründen wie die unzureichende Abbildung von spezifischen Kosten der Universitätsmedizin im Fallpauschalensystem. Weder Extremkostenfälle noch die Vorhaltekosten für die Behandlung von Patienten mit schwerwiegenden und seltenen Krankheitsbildern sind im bestehenden System der Krankenhausfinanzierung hinreichend abgedeckt. Auch die Aufwendungen für die Ausbildung der Medizinstudierenden müssten sehr viel stärker berücksichtigt werden.

Neues Gesetz ergänzt Strukturfonds um Zukunftsfonds

Das Bundeskabinett hat Anfang September das sogenannte Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) beschlossen. Dieses sieht eine Verlängerung des Krankenhausstrukturfonds um zwei Jahre vor. Eine Förderung der Universitätsmedizin durch diesen Fonds bleibt aber weitestgehend ausgeschlossen, teilte der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) mit.

Anders sieht es beim mit dem Gesetzentwurf neu geschaffenen Krankenhauszukunfstfonds aus: Zehn Prozent der Mittel sind für die Universitätsmedizin vorgesehen. Der Fonds fördere und investiere in moderne Notfallkapazitäten, eine bessere digitale Infrastruktur, IT-Sicherheit und regionale Versorgungsstrukturen. Der Verband und der Medizinische Fakultätentag (MFT) begrüßten die Beteilgung der Unikliniken an der Förderung des Bundes.

Das KHZG sieht auch eine Ausgleichsregelung für Mehrkosten und ausgefallene Einnahmen der Krankenhäuser während der Corona-Pandemie vor. Diese gelten auch für die Universitätskliniken. Ob die Höhe der Kompensationen die angefallenen Kosten abdeckt, ist jedoch noch offen.

Rekord-Arbeitszeiten und hoher Bürokratie-Aufwand

Die Politik im Bund und in den Ländern muss erkennen, dass die Universitätsmedizin ihren besonderen Aufgaben nur dann im vollen Umfang nachkommen kann, wenn sie entsprechend angemessen finanziert wird. Der Marburger Bund fordert deshalb schon seit Jahren die Krankenhausfinanzierung so auszurichten, dass die spezifische Situation der Universitätskliniken Berücksichtigung findet.

Eine gute medizinische Versorgung der Bevölkerung Deutschlands benötigt eine ausreichende Anzahl wissenschaftlich und praktisch bestmöglich ausgebildeter Ärztinnen und Ärzte. Im Mittelpunkt aller Überlegungen zur Finanzierung müssen daher die Versorgungsnotwendigkeiten und die Erfordernisse der Lehre stehen. Durch die Fehlanreize und Risiken des DRG-Vergütungssystems ist dieser Anspruch jedoch immer schwerer zu erfüllen. Die betriebswirtschaftlichen Anreize zur weiteren Leistungsverdichtung haben auch in den Uniklinika dazu geführt, dass die Schraube immer mehr angezogen wurde – auf Kosten des Personals.

"Die Anreize zur Leistungsverdichtung haben die Schraube immer mehr angezogen."

Das zeigt sich auch in den Ergebnissen der bundesweiten Mitgliederbefragung MB-Monitor 2019, die der Marburger Bund im September/Oktober 2019 durchgeführt hat. Ärztinnen und Ärzte in Uniklinika haben die längsten Arbeitszeiten und die meisten Überstunden im Vergleich zu anderen angestellten Kolleginnen und Kollegen. Etwa ein Drittel der Befragten (32 Prozent) ist durchschnittlich mehr als 60 Stunden in der Woche im Einsatz. Auch der tägliche Aufwand für Verwaltungstätigkeiten und Organisation ist in den Uniklinika höher als in anderen Krankenhäusern. Deutlich mehr als die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte (54 Prozent) gibt an, drei Stunden und mehr pro Tag mit Bürokratie befasst zu sein. Unterstützung durch nichtärztliches Personal, zum Beispiel bei administrativen Tätigkeiten, ist eher selten der Fall: 83 Prozent der Ärztinnen und Ärzte aus Uniklinika sehen keine solche Entlastung.

Die Ergebnisse sind nur ein Ausschnitt aus einem größeren Bild, sie zeigen aber, dass die Klinika selbst viel zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen könnten. Die im März dieses Jahres zwischen dem Marburger Bund und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder vereinbarten Regelungen sollen in diese Richtung wirken. So haben die Ärztinnen und Ärzte mit Wirkung vom 1. Oktober 2020 grundsätzlich höchstens vier Bereitschaftsdienste im Kalendermonat zu leisten. Zusätzlich darf einmal im Quartal ein fünfter Dienst angeordnet werden. Durch die neue Höchstgrenze haben Ärztinnen und Ärzte erstmalig einen klaren Anspruch auf zahlenmäßige Begrenzung ihrer Dienste bezogen auf den jeweiligen Kalendermonat. Eine vergleichbare Regelung gilt künftig für Wochenenddienste in der Zeit von Freitag ab 21 Uhr bis Montag 5 Uhr. Sie führt grundsätzlich dazu, dass für Ärztinnen und Ärzte nur an zwei Wochenenden im Monat Arbeitsleistung (Vollarbeit, Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft) angeordnet werden darf.

Die Lehre ist oft nicht "eingepreist"

Qualitative Verbesserungen wünschen sich die Ärztinnen und Ärzte auch in der Lehre. Defizite sind zum einen in der Zunahme von unterschiedlichen Modellen mit länder- und standortübergreifender, privatfinanzierter Medizinerausbildung begründet, zum anderen und weitaus größeren Teil aber im Finanzierungssystem, in dem die Lehre schlichtweg nicht "eingepreist" ist. Auch hier haben es die Universitätsklinika vielfach selbst in der Hand, die Lage der Betroffenen zu verbessern, indem sie beispielsweise die Anzahl der Befristungen in Arbeitsverträgen reduzieren und primär wissenschaftlich tätigen Ärztinnen und Ärzten eine dauerhafte berufliche Perspektive bieten. Kurze Vertragslaufzeiten von häufig nur einem Jahr verhindern nicht nur eine verlässliche private und berufliche Lebens- und Karriereplanung – sie schaden auch dem wissenschaftlichen Renommee der Kliniken.

Daneben gibt es einen gesetzgeberischen Reformbedarf, den der Marburger Bund immer klar artikuliert hat: Im Wissenschaftszeitvertragsgesetz müssen feste Mindeststandards von wenigstens zwei Jahren bei den Vertrags­laufzeiten normiert werden. Außerdem ist die aus dem Hochschulrahmengesetz übernommene Tarifsperre aufzuheben, um flexiblere und an die jeweilige Berufsgruppe angepasste Regelungen zu ermöglichen.

Einen Sonderfall stellt im Bereich der Universitätsklinika die Befristung von Arbeitsverträgen für Ärztinnen und Ärzte dar, die sich in der Weiterbildung befinden. Sollte der Gesetzgeber hier den Abschluss der Facharztweiterbildung als Qualifizierungsziel im Sinne des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ansehen, ist die Befristungsdauer zwingend so zu bemessen, dass die "für eine selbständige Vertretung des Fachs Medizin in der Lehre erforderliche" Fach­arzt­wei­ter­bildung (BAG, 2.9.2009 – 7 AZR 291/08) auch abge­schlossen werden kann. Andernfalls kann auch der einzig im Bereich der Medizin auf neun Jahre ausgedehnte Qualifizierungszeitraum in der Postdoc-Phase nicht mehr gerechtfertigt werden.