Minister und die Ministerin der Freien Demokraten (FDP) werden auf den Fluren des Bundestages umringt von der Presse.
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Ende der Ampel-Koalition
Bildungsministerin Stark-Watzinger tritt zurück

Der Bundeskanzler hat die Ampelkoalition beendet. Stark-Watzinger ist zurückgetreten. Offene Fragen und erste Reaktionen aus der Wissenschaft.

08.11.2024

Bettina Stark-Watzinger sagte laut dpa zu ihrem Rücktritt: "Wir haben umfassende Vorschläge für die dringend erforderlichen Strukturreformen und die Wirtschaftswende gemacht. Es ist höchst bedauerlich, dass SPD und Grüne darüber nicht mal beraten wollten." Sie führte fort, dass die FDP dem Bundeskanzler vorgeschlagen habe, gemeinsam eine Neuwahl einzuleiten, um geordnet zu agieren und handlungsfähig zu sein. 

Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Mittwochabend beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier die Entlassung seines Finanzministers Christian Lindner (FDP) beantragt. Nach Aussagen des Kanzlers hätte sich Lindner in den abschließenden Haushaltsverhandlungen kompromisslos gezeigt und eine Neuwahl des Bundestags vorgeschlagen. Mit ihm verlassen auch die restlichen FDP-Mitglieder mit Ausnahme von Verkehrsminister Volker Wissing die Regierungskoalition, unter ihnen die Inhaberin des höchsten Amts im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Bettina Stark-Watzinger. Wissing ist laut "Tagesschau" aus der FDP ausgetreten. 

Wie es im BMBF und mit seinen Projekte weitergeht

Wie es mit dem BMBF weitergeht, ist derzeit offen. Agrarminister Cem Özdemir von den Grünen wird nach Angaben der "Tagesschau" das Amt kommissarisch übernehmen. Einige laufende Projekte und Gesetzesvorhaben werden sich durch den Regierungsbruch weiter verzögern. Darunter die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) und das Forschungsdatengesetz. 

Nach Einschätzung von "Table.Research" ist es eher unwahrscheinlich, dass für das WissZeitVG kurzfristig eine parlamentarische Mehrheit gefunden wird. Die Anhörung von Sachverständigen zu diesem Thema im Forschungsausschuss solle aber kommende Woche wie geplant stattfinden, habe der Ausschussvorsitzende Kai Gehring von den Grünen bestätigt. Das Forschungsdatengesetz würde wohl trotz vorliegendem Referentenentwurf sowie parteiübergreifender Einigkeit eher nicht weiter parlamentarisch diskutiert werden. Weitere BMBF-Projekte wie der Dialog zu Dual Use und Forschungssicherheit oder das Bund-Länder-Programm für "Dauerstellen" sind nach Einschätzung von "Table.Research" vorerst oder sogar längerfristig vom Tisch.

Mitarbeitende im BMBF mit Nähe zur FDP könnten ebenfalls vom "Ampel-Aus" betroffen sein. Laut Medienberichten haben die FDP-Abgeordneten Jens Brandenburg und Mario Brandenburg ihre Ämter als Parlamentarische Staatssekretäre bereits niedergelegt. Auch die Zukunft des Bundeshaushalts 2025 und somit die Entscheidung über das kommende Budget des BMBF sind zeitlich als auch inhaltlich ungewiss. Wird für das laufende Jahr kein Nachtragshaushalt mehr durch den Bundestag beschlossen, drohe "Table.Research" zufolge eine Haushaltssperre. Für das kommende Jahr würde es wohl mit einer vorläufigen Haushaltsführung weitergehen – stark begrenzt auf Ausgaben, die nötig seien, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen.

Die sogenannte "Fördermittel-Affäre", durch welche Stark-Watzinger in den letzten Monaten stark an Vertrauen in den Reihen der Wissenschaft verloren hatte, könnte im Archiv verschwinden. Die beiden ausstehenden Kleinen Anfragen der Union zur Fördermittelaffäre werden trotz des Wechsels an der Spitze des BMBF beantwortet, berichtet "Table.Research". 

Reaktionen aus der Wissenschafts-Community 

"Wir können uns eine längere Phase der Unsicherheit und des einfachen Weiterverwaltens nicht leisten. Zu groß und drängend sind die zu lösenden Aufgaben", ist die Reaktion von Professor Walter Rosenthal, der in seiner Funktion als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) klare Verhältnisse bezüglich des Bundeshaushalts, der zukünftigen Arbeit des BMBF und der Bundesregierung als Ganzes fordert. 

Rosenthals Bilanz der bildungspolitischen Regierungsarbeit der Ampelkoalition fällt gemischt aus: "Für die deutschen Hochschulen war vor allem die Dynamisierung des Zukunftsvertrags Studium und Lehre von elementarer Bedeutung. Auch das Engagement für nachhaltige und vielfältige Hochschulen oder für die Wissenschaftskommunikation haben wir begrüßt". Der Koalitionsvertrag mit seinen vielen wegweisenden Vorhaben sei bislang gleichwohl nur unzureichend abgearbeitet worden. Man warte beispielsweise noch immer auf eine grundlegende Strukturreform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG), auf ein Bund-Länder-Programm für Dauerstellen neben der Professur, das Forschungsdatengesetz, die Steigerung der Programmpauschalen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und eine wissenschaftsadäquate Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG). Auch den bestehenden Vertrauensbruch durch die "Fördermittel-Affäre" spricht Rosenthal als Negativbilanz der Regierungsarbeit an. 

In den sozialen Medien ist die Reaktionstendenz der Wissenschafts-Community eher Erleichterung. Insbesondere der Rücktritt Stark-Watzingers ist dort kein Anlass für Bedauern. 

Ausblick auf Neuwahlen

Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte an, im Januar die Vertrauensfrage stellen zu wollen. Der Bundestag solle darüber am 15. Januar abstimmen, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Verliert er die Vertrauensfrage, müssen bis spätestens Ende März Neuwahlen stattfinden. Bereits Mittwochnacht wurden Medienberichten zufolge Stimmen aus der Politik laut, die auf eine sorfortige Vertrauensfrage und Neuwahl drängten. 

Dieser Artikel wurde am 8. November um 10:40 Uhr aktualisiert. Erstveröffentlich war am 7. November mit einer Aktualisierung am selben Tag (Korrektur kommissarische Übernahme). 

cva/dpa