Berliner Protestcamps
BMBF prüft Sanktionen gegen Hochschullehrende
Dem ARD-Magazin "Panorama" zufolge hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) prüfen lassen, ob Hochschullehrende für das Unterzeichnen eines offenen Briefs gegen die polizeiliche Räumung von pro-palästinensischen Protestcamps an der Berliner FU sanktioniert werden können. Der Redaktion liege der entsprechende E-Mail-Verkehr aus dem Ministerium im Original vor.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hatte sich früh – beispielsweise in der "Bild"-Zeitung – gegen den offenen Brief der Lehrenden positioniert. Bei der beauftragten juristischen Prüfung des Ministeriums sollte es darum gehen, ob relevante Verstöße vorlägen und welche Sanktionen in Frage kämen. Im Mail-Verkehr sei laut "Panorama" die Rede vom Vorwurf der Volksverhetzung und dem Vorhaben, Förderungsbewilligungen zu widerrufen. Mitarbeitende des Ministeriums hätten in ihren Antworten direkt angezweifelt, ob das BMBF hier Handlungs- und Einflussmöglichkeiten habe.
Staatssekretärin Professorin Sabine Döring bestätigte gegenüber Table.Briefings, dass es eine rechtliche Prüfung gegeben habe. Auf der Plattform "X" hat das BMBF ein Statement der Staatssekretärin veröffentlicht, in welchem sie erläutert: "Die Hausleitung hat sehr zeitnah nach Erteilung des Prüfauftrags klargestellt, dass zuwendungsrechtliche Aspekte nicht Bestandteil dieser rechtlichen Prüfungen sein sollen". Die rechtlichen Prüfungen des offenen Briefes hätten ergeben, dass sein Inhalt von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Damit erübrigten sich Diskussionen über formale Konzequenzen. Der Entzug von Fördermitteln in Reaktion auf den offenen Brief habe in der Hausleitung nicht zur Debatte gestanden.
Irritierte bis verärgerte Reaktionen aus Politik und Wissenschaft
Inzwischen gibt es laut weiteren Medienberichten zahlreiche kritische Bewertungen des BMBF-Vorhabens aus der Politik und der Wissenschaft. Auch erste Rücktrittsforderungen in die Richtung der Bildungsministerin Stark-Watzinger wurden geäußert – beispielsweise in einer öffentlichen Stellungnahme des "Netzwerks für gute Arbeit in der Wissenschaft" (NGAWISS).
In einer weiteren offenen Stellungnahme, die inzwischen von über 2.000 meist Hochschulangehörigen unterschrieben wurde (Stand 14.6.), heißt es dazu: "Die interne Anordnung, eine derartige politische Sanktionierung dennoch zu prüfen, ist ein Zeichen verfassungsrechtlicher Unkenntnis und politischen Machtmissbrauchs; sie verdeutlicht einen zunehmenden Bruch zwischen Entscheidungstragenden im Bundesministerium für Bildung und Forschung und denjenigen, die das Wissenschaftssystem durch ihre Forschung und Lehre tragen". Diese Handlungsweise mache Stark-Watzinger als Ministerin "untragbar".
Der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Thomas Jarzombek, äußerte sich gegenüber dem "Deutschlandfunk" skeptisch, dass sich bei Stark-Watzingers Verhältnis zur Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit die Frage stelle, ob die Ministerin noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. Anja Reinalter, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, meint gegenüber der "taz": "Wir müssen entschieden gegen Antisemitismus vorgehen. Allerdings irritiert mich die Idee von Bettina Stark-Watzinger, die Streichung von Fördermitteln zu prüfen. Das könnte […] ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sein."
Im "Deutschlandfunk Kultur" nannte der Präsident der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Professor Walter Rosenthal, das Vorgehen besorgniserregend für die Wissenschaftsfreiheit und ein Angriff auf das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung der Unterzeichnenden. Gut sei, dass es zu diesem befremdlichen Vorstoß im BMBF offensichtlich ganz unmittelbar einen kritischen internen Dialog und entsprechend klare warnende Hinweise gegeben habe, ist der offiziellen HRK-Stellungnahme zum Thema zu entnehmen.
Professor Lambert T. Koch, Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV) äußert sich kritisch zum Vorgehen des BMBF: "Die Hausspitze hat, wie der 'Panorama'-Bericht zeigt, mit dem Prüfauftrag über das Ziel hinausgeschossen, zumal offensichtlich keine dienstrechtliche Zuständigkeit bestand. Die internen Kontrollmechanismen im Ministerium haben aber funktioniert. Insofern sollte der Vorgang, auch wenn er befremdlich bleibt und nachdenklich stimmt, nicht überbewertet werden".
Dieser Artikel wurde am 14.6. um 9:55 Uhr zum zweiten Mal aktualisiert und am 12.6. erstmals veröffentlicht.
cva