Kompassnadel, die auf den Schriftzug "University" zeigt. In der Mitte eine Glaskugel mit der brasilianischen Flagge.
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Brasilien
Bolsonaro setzt Hochschulen unter Druck

Der brasilianische Präsident greift in die Autonomie der Universitäten ein. Erhebliche Budgetkürzungen haben Folgen für das dortige Hochschulsystem.

Von Martina Schulze 01.08.2019

Als der ultrakonservative Politiker Jair Messais Bolsonaro am 2. Januar 2019 die Präsidentschaft in Brasilien antrat, verschärfte das die Sorge um das eigene Wohl bei Vertreterinnen der Frauenbewegungen, Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Identitäten, kurz LGBTI, und Indigenen. Bolsonaros diffamierende, frauenfeindliche und homophobe Äußerungen machen international immer wieder Schlagzeilen. Zuletzt, als er im Juni 2019 gegen eine Entscheidung des Obersten Verfassungsgerichtes protestierte, welches die Diskriminierung wegen sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität unter das Rassismusgesetz von 1989 und damit unter (Haft-)Strafen von bis zu fünf Jahren stellte.

Schon im Wahlkampf hatte Bolsonaro aber auch massiv gegen die öffentlichen Universitäten gewettert: Sie seien das Geld nicht wert, das man in sie hineinstecke, und sie bildeten auch noch schlecht aus. Mit den "Rattennestern", den studentischen Freiräumen an den Hochschulen, werde er aufräumen, die Hochschulen von kommunistischem Gedankengut befreien und möglichst privatisieren. Die ersten Monate seiner Amtszeit sah es aber nicht danach aus, als würde sich der Präsident wirklich mit den über hundert, zum Teil sehr forschungsstarken Bundesuniversitäten anlegen.

Einsparungen mit erheblichen Folgen

Das Wissenschaftsministerium MCTI wurde mit dem ehemaligen Astronauten, Marcos Pontes, besetzt, der den Forderungen der Evangelikalen, Wissenschaft im Sinne der Schöpfungsgeschichte neu zu definieren, bis heute widersteht: "Man soll Wissenschaft nicht mit Religion vermischen". Allerdings ist es die evangelikale Fraktion im Parlament, auf die sich die Regierung Bolsonaro stärker noch als auf das Militär stützt. Nach drei Jahren extremer Einsparungen, die eine massive Entschleunigung der Forschung, selbst in den nationalen Spitzenbereichen Agrar- und Biowissenschaften, Immunologie, Mikrobiologie sowie Medizin zur Folge hatten, sahen mit Pontes an der Spitze des Ministeriums viele Wissenschaftler ein Licht am Horizont. Aber schon Mitte April wurde das MCTI mit einer überproportionalen Haushaltssperre von 42 Prozent belegt.

"Das Wissenschaftsministerium wurde mit einer Haushaltssperre von 42 Prozent belegt."

Da war der kurze Traum von einem Wiederanknüpfen an die früheren Forschungsleistungen Brasiliens bereits ausgeträumt. Dem Ministerium stehen 2019 gerade einmal 661 Millionen Euro statt der geplanten Summe von 1,16 Milliarden Euro zur Verfügung. Die erneute Einsparung hat auch Auswirkungen auf nationale Prestige-Projekte wie den ultramodernen Teilchenbeschleuniger Sirius in Campinas, dessen Inbetriebnahme schon mehrfach verschoben wurde.

Auch im Nachbar­ressort Bildung herrschte die ersten Monate Ruhe vor dem Sturm: Bildungsminister Ricardo Vélez sah die "Befreiung" der 107 Bundesuniversitäten von linkem Gedankengut nicht auf seiner Prioritätenliste. Ganz anders sein Nachfolger, Abraham Weintraub, ein Macher, der das Amt im April übernahm und den Grabenkämpfen zwischen den pragmatischen, technokratischen Militärs und den Olavisten (so genannt nach dem religiös-faschistoiden Einflüsterer Bolsonaros, Olavo de Carvalho) ein Ende setzte. Seither sollen die Universitäten mit allen Mitteln auf Olavo-Linie gebracht werden. Kaum hatte Bolsonaro Ende April getwittert, dass man kein Geld mehr für "Philosophie und Soziologie" an den Hochschulen ausgeben solle, ordnete der neue Minister weitreichende Kürzungen der Haushalte der Bundesuniversitäten an.

Angriff auf die Autonomie

Zunächst sollten nur drei Universitäten, die aus seiner Sicht ihre Aufgaben besonders schlecht erfüllten und an denen nur Durcheinander ("balbúrdia") herrsche, fast ein Drittel ihres Haushalts verlieren: Die Bundesuniversität Fluminense in Rio de Janeiro (UFF), die Universität Brasilia (UnB) und die Bundesuniversität Bahia (UFBa), alles drei renommierte und hoch in Ranking stehende Universitäten. Zwei Tage später besann sich der Minister eines Besseren und weitete die 30prozentige Kürzung auf alle Bundesuniversitäten aus. Da aber hatte sein Vorgehen schon heftige Reaktionen im Ausland und lange Protestnoten mit Unterschriftslisten von internationalen Fachverbänden zur Verteidigung der Gesellschafts- und Geisteswissenschaften ausgelöst.

"Aktionen der Regierung lassen die Sorge wachsen, dass die angestrebte fachliche Säuberung der Bundesuniversitäten tatsächlich umgesetzt wird."

Nach den großen landesweiten Straßenprotesten für die Bildung am 15. Mai blieb von den verordneten Kürzungen nicht mehr viel übrig: Die Sperre wirkt sich jetzt nur noch auf einen kleinen Teil der Haushalte der Universitäten aus, da Gehälter und Pensionen davon ausgenommen werden. Eine fachliche Umorientierung der Universitäten weg von den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften hin zu auf Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) wird man durch derartige Einsparungen sicher nicht erreichen. Es sind andere Aktionen der Regierung, die die Sorge wachsen lassen, dass die angestrebte fachliche Säuberung – oder positiv formuliert die fachliche Neuaufstellung – der Bundesuniversitäten, tatsächlich umgesetzt wird.

Um die Hochschulen auf die (MINT-)Linie der Regierung zu bringen, greift Bolsonaro nun zu Mitteln, die direkt auf die Autonomie der Hochschulen zielen. Am Tag der Proteste gegen die Bildungspolitik seiner Regierung verabschiedete er ein Dekret, das es der jeweiligen Universitätsleitung untersagt, Vizerektoren und Dekane zu ernennen. Diese Aufgabe kommt jetzt dem Leiter des "Regierungsbüros" zu, einem Minister, der auch schon die NGOs und internationalen Organisationen im Land kontrollieren und steuern soll.

Damit nicht genug, im Juni ernannte der Präsident drei neue Universitätsrektoren, die jeweils nicht als Erstplatzierte aus einer Wahl an ihrer Hochschule hervorgegangen waren, darunter eine Interimsrektorin, die gar nicht erst an der vorausgegangenen regulären Wahl teilgenommen hatte. Kein brasilianischer Präsident vor ihm hat je das Vorschlagsrecht der Universitäten in dieser Weise missachtet. Weiterer Ärger und weitere Proteste sind damit vorprogrammiert.

Die Reaktion der Förder­agentur Capes

Anders als die Hochschulen scheint die große Förderagentur Capes (Koordinierungsstelle für Weiterbildung auf Hochschulebene) unter der neuen Präsidentschaft wieder enger an das formal übergeordnete Bildungsministerium heranzurücken, mit finanziellen und programmatischen Konsequenzen: Zum ersten Mal seit mehr als einer Dekade muss die Capes 2019 einen sehr hohen Einsparungsbeitrag erbringen. Um das Ziel zu erreichen, kassierte die staatliche Agentur alle zeitweilig vakanten Stipendien an den Graduierten-Programmen (PPG) ein und kürzte, nachdem damit das Soll nicht erfüllt war, weitere 2.700 Stipendien für weniger gute PPG (Bewertung 3 oder 4 bei einer Höchstnote von 7). Die 36 Hochschulen, die Mittel aus dem Internationalisierungs-Programm "Print” erhalten, müssen diese von vier auf fünf Jahr strecken.

In direkter Linie mit Präsident und Bildungsministerium versuchte die Capes außerdem, in der internationalen Kooperation eine Beschränkung auf die MINT-Fächer durchzusetzen. Aufgrund der vorangegangenen Äußerungen des Präsidenten weigerten sich verschiedenen Länder, darunter Norwegen und Deutschland, auf diese Weise indirekt die "Entideologisierung" der brasilianischen Hochschulen abzusegnen. Mit Erfolg: In den gemeinsamen Programmen werden auch weiterhin die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften neben allen anderen wissenschaftlichen Fächern gefördert.

Abkehr von Quotenregelung

Wenn man die Entwicklungen der letzten zwei Monate zusammennimmt, deuten jetzt alle Zeichen darauf hin, dass die Regierung Bolsonaro die Hochschulen nicht nur "entideologisieren", sondern wie schon die Vorgängerregierung, die Universitäten auch schrumpfen will. Längerfristig sollen die Universitäten wieder einer "intellektuellen Elite" vorbehalten sein. Diese Politik zeigt jetzt schon Wirkung: An der Hochschulzugangsprüfung ENEM 2019 nahmen 2,3 Millionen Schulabgänger weniger teil als 2016, wo ein Höchststand mit 8,3 Milionen Studienwilligen erreicht wurde.

"Die Universitäten sollen längerfristig wieder einer 'intellektuellen Elite' vorbehalten sein."

Da seither die staatlichen Studienkredite für bedürftige Studierende massiv gekürzt wurden, zeigt dieser Rückgang vor allem, dass schwarzen und anderen Sekundarschulabgängern aus ärmeren, bildungsfernen Schichten von vorne herein die Möglichkeit genommen werden soll, aus einem unterfinanzierten, schlechten öffentlichen Schulwesen in eine gute öffentliche Hochschule zu wechseln. Eine Quotenregel, die ab 2012 an allen Universitäten Pflicht war, und ein leichter Zugang zu Studienkrediten hatten dies einige Jahre lang möglich gemacht.

Wie störanfällig der durch die Quotenregelung an den Universitäten angestoßene Inklusionsprozess ist, zeigte sich 2017 an der Staatlichen Universität Rio de Janeiro (UERJ). Sie konnte wegen der Finanzkrise ein Jahr lang keinen Unterricht anbieten. Im folgenden Studienjahr fanden nur 40 Prozent der früheren Studierenden den Weg zurück.

Internationalisierungsprozess auf Eis

Große Auf- und Abs gehören zu Brasilien, dem Land, das von 2011 bis 2016 in dem Mobilitätsprogramm "Science without Borders" (SwB), fast 100.000 Brasilianer ins Ausland brachte und damit für wenige Jahre als Shooting Star auf dem internationalen Hochschulmarkt gehandelt wurde. Nach Deutschland kamen in dieser Zeit 6.500 Stipendiaten. 315 neue Abkommen zwischen deutschen und brasilianischen Hochschulen wurden geschlossen und warten nach dem Zusammenbruch des Programms 2016 schon viel zu lange auf eine konkrete Umsetzung.

Mittlerweile haben sich die meisten der damals neugewonnenen Partner enttäuscht zurückgezogen. Eine Aussicht auf Besserung der Situation scheint derzeit nicht in Sicht. Bleibt zu hoffen, dass die alten, bereits mit Leben gefüllten Kooperationen, und davon gibt es etliche, trotz aller Widerstände fortbestehen. Wie sagt doch das Sprichwort: "Brasilien ist nichts für Anfänger".