Diskriminierung
Braucht es eine Bundestagsresolution gegen Antisemitismus?
Pro
Weniger als 0,3 Prozent der Menschen in Deutschland sind jüdisch, aber 30 Prozent der erfassten Hasskriminalität hatte 2023 einen antisemitischen Hintergrund. Die antisemitischen Straftaten haben sich von 2022 auf 2023 nahezu verdoppelt. Knapp zehn Prozent der erfassten Vorfälle entfielen auf den Bildungsbereich. Deutschland hat ein akutes Antisemitismusproblem, auch auf dem Campus. Hochschulangehörige zeigen im Schnitt nicht mehr antisemitische Tendenzen als der Rest der Bevölkerung, Antisemitismus wird auf dem Campus aber besonders intensiv ausgelebt.
Hinzu kommt die verstärkende Wirkung vieler propalästinensischer Aktionen. Selbst wenn diese geordnet ablaufen und sich ausschließlich für ein unabhängiges Palästina einsetzen, verstärken sie doch die Angst. Zu oft schlagen sie in Antisemitismus um, so gut wie nie positionieren sie sich gegen den palästinensischen Terror oder für Israels Existenzrecht. Antisemitismus ist aber nicht das einzige Problem. Juden kommen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vor, Antisemitismus ist deshalb für viele ein abstraktes, fernes Problem.
Eine von einer breiten Mehrheit getragene Resolution zu Antisemitismus im Bildungssektor verschafft dem Thema die notwendige Aufmerksamkeit. Sie setzt Impulse für Länder, Hochschulen und auch für die Förderpolitik der nächsten Bundesregierung. Viele Punkte des Resolutionsentwurfs finden breite Zustimmung: Erweiterung der disziplinarischen Möglichkeiten, Verbesserung der Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden, Förderung von Antisemitismusforschung und jüdischer Gegenwartsforschung, wissenschaftlicher Austausch mit Israel, Absage an Boykottaufrufe.
Ein wichtiger Punkt fand sich bereits in der Resolution vom 7. November. Sie forderte, dass keine Organisationen und Projekte gefördert werden sollen, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels infragestellen, zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung aktiv unterstützen. Der neue Entwurf bekräftigt dies, stellt aber klar, dass Fördermittel des Bundes auch weiterhin ausschließlich nach dem Maßstab der wissenschaftlichen Exzellenz vergeben werden sollen. Exzellenz und Antisemitismus schließen sich leider nicht per se aus. Die Verantwortung sicherzustellen, dass Fördermittel trotzdem nicht in antisemitische Projekte und Organisationen fließen, liegt damit allein bei den Entscheidungsträgern in Wissenschaft und Forschung.
Diese Klarstellung ist wichtig und richtig, die Kontroversen im Vorfeld der Entstehung der ersten Resolution sollten damit erledigt sein. Der neue Entwurf bekräftigt auch, dass Aktivitäten antisemitischer Bewegungen, zum Beispiel BDS, unterbunden werden müssen und dass deren Unterstützerinnen und Unterstützer in deutschen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen keinen Platz haben dürfen. Es ist verständlich, dass Forderungen wie diese kontrovers diskutiert werden, da ihre Wirkung entscheidend davon abhängt, wie Antisemitismus definiert wird. Kritik an der israelischen Politik ist nicht per se antisemitisch und darf nicht prinzipiell unterbunden werden. Wer aber die Gewalt der Hamas vom 7. Oktober als Freiheitskampf verherrlicht oder Israel das Existenzrecht abspricht, darf an deutschen Hochschulen tatsächlich keinen Platz haben.
Der Entwurf stützt sich auf die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus, ebenso wie dies bereits frühere Bundestagsresolutionen und auch die KMK sowie die HRK getan haben. Von einer verbindlichen Verwendung in Forschung und Lehre ist nirgendwo die Rede, dementsprechend stellt ihre Erwähnung auch keinen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit dar.
Für den praktischen Kampf gegen Antisemitismus braucht es aber eine pragmatische Arbeitsdefinition, die Menschen dabei hilft, sich klarzumachen, wann ein bestimmtes Verhalten eher antisemitisch ist und wann eher nicht. Hierfür hat sich diese Definition bewährt, insbesondere durch ihre praktischen Beispiele von Antisemitismus.
Insgesamt halten wir den Entwurf für nützlich und ausgewogen. Er bezieht klar Position gegen Antisemitismus auf dem Campus. Er unterstützt ein pragmatisches, bewährtes Verständnis von Antisemitismus, das Platz lässt für faire Kritik an der Politik Israels, zugleich aber klare Linien aufzeigt, wann "Israelkritik" in Antisemitismus umschlägt. Er bekennt sich ausdrücklich zur Wissenschaftsfreiheit und überlässt es den Verantwortlichen, in Forschung und Lehre sicherzustellen, dass an deutschen Hochschulen der Antisemitismus keinen Raum bekommt.
Contra
Die geplante Resolution ist der Sache nach überflüssig, bedroht aber Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit. Sachlich geboten wäre sie allenfalls, wenn die Hochschulen ein hervorstechendes Antisemitismusproblem hätten und selber nicht willens oder in der Lage wären, ihm entgegenzutreten. Dafür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil lässt sich mit der Untersuchung einer Konstanzer Forschungsgruppe aus dem Jahr 2024 empirisch belegen, dass der allgemeine Antisemitismus unter Studierenden mit acht Prozent deutlich geringer als in der Gesamtbevölkerung mit 18 Prozent verbreitet ist. Das German Internet Panel der Universität Mannheim kommt sogar zu dem Ergebnis: "Der an das junge, linke und akademische Milieu gerichtete Antisemitismusvorwurf ist vorschnell – tatsächlich handelt es sich um die am wenigsten antisemitisch eingestellte Gruppe in Deutschland."
Wenn trotz dieser Befunde die Politik meint, die Hochschulen ermahnen zu müssen, drückt sich darin ein gewisses Misstrauen aus. Der Grund hierfür findet sich in einem weiteren Ergebnis der Mannheimer Untersuchung, nämlich der Aussage: "Was junge, linksorientierte Menschen mit Hochschulabschluss tatsächlich auszeichnet, ist eine ausgeprägte propalästinensische Haltung." Wann eine solche Haltung als antisemitisch zu qualifizieren ist, bleibt eine höchst umstrittene Frage, die in der Politik unter dem – vorsichtig ausgedrückt – nebulösen Begriff der "Staatsraison" ganz anders diskutiert wird als in der Wissenschaft.
Ihre Beantwortung setzt nämlich voraus, "Judentum, Zionismus und Israel wenigstens begrifflich (…) auseinanderzuhalten: Nicht alle Juden sind Zionisten; nicht alle Zionisten sind Israelis; nicht alle Israelis sind Juden", so Moshe Zuckermann, emeritierter Sozialwissenschaftler der Universität Tel Aviv. Sie muss diskursiv geklärt werden, und das traut die Politik den Hochschulen offenbar nicht zu. Genauer gesagt befürchtet sie, dass Hochschulen dabei zu anderen Ergebnissen als die Politik kommen, und das mit Recht.
Im Kern handelt es sich bei Antisemitismus um "Feindschaft gegen Juden als Juden" (Brian Klug), was von politischer Kritik an Israel zu unterscheiden ist. Da sich Israel aber als jüdischer Staat definiert, kommt es zu Überschneidungen. Bei deren genauer Verortung beginnt der Streit um die "richtigen" Definitionen, aber selbst die von Bundestag und Bundesregierung propagierte Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Association (IHRA) präzisiert in ihren Erläuterungen, dass von israelbezogenem Antisemitismus nur gesprochen werden kann, wenn der "Staat Israel (…) dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird", und fährt fort: "Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden."
Ihr Autor, der Jurist und langjährige Antisemitismusbeauftragte des American Jewish Committee, Kenneth Stern, beklagt allerdings mittlerweile, dass sie oft missbraucht werde, um jemanden "als antisemitisch abzuqualifizieren, insbesondere für Kritik an Israel", was "vor allem für propalästinensische Einstellungen" gelte.
Damit dürfen sich durchaus Bundesregierung und Bundestag gemeint fühlen, die – international einmalig – die Definition eigenständig "erweitern" und dabei den zweiten Satz aus der Erläuterung unterschlagen. Wollen sie im Ernst den international vernetzten Hochschulen ein solches Machwerk als "maßgebend" vorschreiben?
An Hochschulen herrschen Meinungs-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit und manchmal sogar, wenn sie Teile ihres Geländes für den allgemeinen öffentlichen Verkehr geöffnet haben, auch Versammlungsfreiheit. Das sind Kommunikationsgrundrechte, und die sind durch die Bundestagsresolution bedroht.
Hochschulen sollten stattdessen im Rahmen ihrer Autonomie eine argumentative Führungs- und Debattenkultur schaffen, in der sie ihre eigenen Antworten auf das Anwachsen von Antisemitismus und Israelkritik entwickeln. Das kann zwar schiefgehen, weil auch eine nicht-antisemitische Kritik unfriedlich werden kann und Besetzungen als letztes Mittel durch Polizeieinsätze beendet werden müssen. Das ist aber etwas anderes als Stimmungsmache "von oben", die solche Konflikte erst anheizt.
"Der richtige Umgang mit israelkritischen Positionen auf Demonstrationen, an Universitäten und in den sozialen Medien spaltet die deutsche Bevölkerung", resümiert die Mannheimer Untersuchung. Micha Brumlik hat anlässlich der ersten derartigen Bundestagsresolution 2019 vor einem "Neuen McCarthyismus" gewarnt. Fünf Jahre später und angesichts einer dritten Resolution hat diese Warnung an Aktualität nichts verloren.
Eine Fassung mit Literaturangaben kann bei der Redaktion angefordert werden.
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